Hierbei handelt es sich um eine Geschichte, die ich im letzten, nun defekten Forum veröffentlicht habe, und an der ich noch immer arbeite.
Was soll ich sagen, es ist pures Fantasy in einer fiktiven mittelalterlichen Welt, die vielen Herr der Ringe- und Game of Thrones-Fans gefallen dürfte.
Im Mittelpunkt dieser Geschichte stehen mehrere Figuren, und ich denke, es wäre schwer, dies alles in einem Klappentext zusammenzufassen, ohne irgendetwas wichtiges vorweg zu nehmen, also würde ich sagen lest einfach drauf los.
Ihr könnt HIER euren Senf dazu abgeben!
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Das Erwachen
Es lag ein frischer, gutriechender und natürlicher Duft über den Wiesen und Hügeln des Weidenwaldes. Vögel, von ungeahnter Schönheit, sangen mit ihren lieblichen Stimmen die unterschiedlichsten Lieder. Zusammen ergab ihr Gezwitscher ein unverwechselbares Orchester, bestehend aus hellen und seichten Klängen. An den Anmutigen Eichen, Buchen und Weidenbäumen flogen die flinksten und schnellsten Bienen, Fliegen, und anderes Kleingetier, vorbei, mit einem leisen, aber dröhnenden Summen. Durch die Blätter und das Geäst drangen feine Sonnenstrahlen bis zum Grund des Plätschernden Baches hindurch, auf dessen Grund wunderschöne Kieselsteine starr und regungslos der Strömung standhielten. Leise, fast unhörbar, raschelten die Blätter über den Baumstämmen in der Brise des Windes. Zwei, Drei oder höchstens Vier Blätter rieselten bei den Böen herab, alle anderen jedoch waren noch fest verankert mit dem Holz, denn es ist Sommer. Die letzte Maiwoche, um genau zu sein.
Die schönsten Blumen sprossen am Wegesrand. Buschwindröschen, Schlüsselblumen und gelbe Hahnenfüße wuchsen wie die Weltmeister, des Weiteren waren die letzten Maiglöckchen, Grasnelken und die gelben Johanneskrautblüten sehr schön anzusehen. Abseits des Weges erstreckten sich, zwischen den mannshohen Grasbüschen, die unterschiedlichsten und schrillsten Pilzsorten, gepaart mit wunderschönen Farnen, und mit Moos bedeckten Ebenen, soweit das Auge nur reichen konnte.
Plötzlich erschien eine Gestalt über der Anhöhe, über die der Waldweg seinen Lauf nahm. Mit Pfiffen und heiterem Gesang tippelte sie von Kopfstein zu Kopfstein, immer mit Vorsicht und Bedacht. Behaglich tänzelte sie um Stock und Wurzeln herum. Sie trug ein altes, grünes Hemd, was den Anschein machte, als sei es einst weiß gewesen. Dazu hielt ihr Kopf einen Faserigen, mit Stofffetzen verkleideten Hut, den sie bei so manchem Sprung gut festhalten muss, damit er nicht davon segelt. Sie trug auch eine Hose. Diese war bräunlich, und dazu viel zu kurz. Und Schuhe? Ob man diese Lumpen Schuhe nennen konnte, blieb jedem selbst überlassen; Sie waren grün, wie das Hemd, das die Gestalt trug, und übersät mit Flecken und Löchern, wie der Hut, den sie trug. Mit einem gewagten Hechtsprung überschritt sie den Bach, und summte anschließend weiter, während sie sich hüpfend davon bewegte.
Diesmal führte es die Gestalt abseits der Wege, zwischen Gras und Baum hindurch. Den Weg, den sie nun einschlug, führte vom Pfad weg, sah aber aus, als hätte es schon öfters jemanden hierhin verschlagen. So manches Gebüsch und Geäst schien hier zertreten und übertrampelt. Plötzlich erreichte die Gestalt, nach weiterem Hüpfen und Tanzen, eine breit ausgelegte Lichtung, die sich weit erstreckte. Zur Rechten der Gestalt befand sich ein weiterer kleiner Fluss, der höchst wahrscheinlich ein Ausläufer des Baches am Wegrand war. Auf der anderen Seite, links von der Gestalt aus, lag ein riesiger, bemooster Felsen, der nach hinten in ein weiteres Waldstück mündete. Zwischen Bach und Berg, in der Mitte dieser Freifläche, stand eine kleine, leicht eingefallene Holzhütte. Eine krumme, aus Holzplanken bestehende Tür, die leicht offen stand, (vermutlich weil man sie nicht mehr schließen konnte) machte es möglich, einen Blick ins Hüttchen zu werfen. Direkt daneben befindet sich ein großes Loch, das wahrscheinlich ein Fenster darstellen soll. Nebst Tür und „Fenster“ ist auf dem Dach ein Eisenrohr vorzufinden, welches, mit einem Kamin im inneren der Hütte verbunden, als Schornstein diente.
Vor dem Haus angekommen, zog die Gestalt sich den Hut vom Kopf, und zu sehen war ein grünliches, knolliges und dickliches Gesicht. Der Mund, der bloß als feiner Strich zu erkennen war, fügte sich zu einem närrischen Grinsen. Kurz darauf öffnete das Wesen seine Augen. Sie waren giftgrün, noch viel grüner als die Haut der Kreatur, und viel leuchtender und glänzender. Die Ohren waren spitzer als so manches Messer, und die Fingernägel länger als so mancher Dolch. Der Hut diente wohlmöglich als Sonnenschutz, denn Haare hatte er keine auf dem Kopf. Es war wahrlich kein schöner Anblick, denn es handelte sich um Egrin, den Kobold vom Weidenwald.
Als er das Häuschen betrat, folgen seine Schuhe, mit zwei Tritten in die Luft, quer durch den Raum und landeten Zielgenau in einem Fach in einer ärmlich zusammengenagelten Holzkiste. Müde schmiss er sich auf seinen Holzstuhl und hielt ein Nickerchen. Nebenbei pfiff und summte er die Melodie der Vögel, doch er wurde zunehmend leiser, denn er glitt in die Welt der Träume.
Um ihn herum, im kompletten Haus verteilt, Hingen die verschiedensten Mäntel, Hemden, Schürzen und Jacken allerlei, bestehend aus den exotischsten und außergewöhnlichsten Stoffen und Pelzen. Es war kaum zu glauben, wenn man sich den mickrigen Egrin ansah, aber er gehörte zu den besten Schneidern des ganzen Landes. Aber warum trug er diese üblen, dreckigen und alten Kleidungsstücke? Ohne jede Frage waren Egrins Hände die begabtesten, die man von der Válinküste bis zu den roten Dünen finden konnte. Es war ihm möglich, mit nur kurzen Blicken die perfekte Kleidergröße für jede erdenkliche Kreatur zu finden. In schnellster Eile nähte, stickte und häkelte er die besten und schönsten Schuhe, Hemden und Hosen. Sein Problem war jedoch, dass er seine eigene Größe nie in seinen Stoff umsetzen konnte. Mal waren die Schuhe zu klein, mal das Hemd zu weit, und oftmals riss die Hose beim ersten Tragen. So entschloss er sich schon vor Jahren, einfach immer das Selbe zu tragen.
Letztendlich wurde aus Egrins Pfeiffen und dem Summen ein dröhnendes Schnarchen. Während seines Schläfchens kamen drei Vögel, eine Drossel, eine Taube und eine Amsel, an Egrins Hütte vorbei. Angelockt vom Geschnarche, das der Kobold verursachte, blickten sie flatternd durch das Fenster, und sahen den Kobold dort friedlich ruhen. Egrin, stets ein treuer Freund der Natur, merkte gänzlich nichts von der Vogelversammlung, die sich vor seinem Haus befand. Mit Gezwitscher und Geschnatter versuchten sie, den Kobold aus seinen Träumen zu reißen. Mit lauter Kehle und hastigen Bewegungen, und nervenaufreibendem Geflatter strengten sie sich unaufhörlich an, doch der grüne Halbling regt sich nicht, bis auf seine Nase, die sich röchelnd beim Atmen auf- und ab bewegte. Wenn er doch nur geahnt hätte, was diese Plagegeister wollten! Doch auch wenn Egrin aufgewacht wäre, hätte er die Vögel nicht verstanden, denn selbst erfahrene Vogelflüsterer wären bei dem wirren und eiligen Geschnatter verzweifelt geworden. All ihr Gequietsche und Fiepsen klang wie ein wirrer Brei aus Satzbruchstücken und einem unaufhörlichen, unrhythmischen Pfeifen. Als sie nach einer gefühlten Ewigkeit (Es handelte sich um fünf Minuten) sich damit abfinden mussten, dass ihre grellen Laute den Kobold nicht aus seinem Schlaf reißen konnten, flatterten sie flink durch das Fenster ins Häuschen, und schauten sich flatternd nach einer Möglichkeit, Egrin zu wecken, um. Kleinlaut blickten die Vögel rasch um sich, und wurden beim Anblick der unzähligen Kleidungsstücke plötzlich ganz starr, doch ohne weiteres großes Zögern machten sie sich daran, den müden Kobold wieder in die Welt der Lebenden zu locken. Sie gaben sich unendlich viel Mühe, und strengten sich an, als ginge es um Leben und Tod. Sie piekten ihm in die Nase, in die Zehen, machten Lärm, schmissen ihn mit Steinen ab, und machten noch viel mehr Lärm.
Schon gar verzweifelt, kam der Amsel, Merúl war ihr Name, eine Idee: Sie suchte den Raum nach dem schönsten, saubersten und am wertvollsten wirkenden Mantel ab. Nach abgehackten und wild herumwirbelnden Blicken fand sie, was sie suchte. Der Mantel befand sich am anderen Ende der Hütte, und hing behaglich an einem morschen Holzkleiderständer. Geschützt wurde das Meisterstück aus Stoff durch einen alten, faltigen Ledermantel, der komfortabel über den Mantel gelegt wurde. Die edle Jacke selbst bestand aus mehreren Stoffarten, aus den verschiedensten Farben, die durch ein unbeschreiblich schönes Muster miteinander im Einklang waren. Gar betäubende Wirkungen entfaltete der Blick auf die Farbmuster. Dazu waren die einzelnen Farbschichten mit Stickmustern, Ketten und Glitzereffekten verschönert worden. Beim genaueren Betrachten konnte man genau erkennen, dass jeder Faden und jede Masche perfekt angeordnet waren. Nichts an dieser Klamotte wirkte ungenau oder gar hässlich.
Merúl selbst zweifelte beim Anblick des Mantels an ihrem Plan, weil die Schönheit des Selben sie so fesselte. Nach der kurzen Betrachtung flatterte sie geschwind zum Kleiderständer, packte den verschrobenen Ledermantel, und zog ihn mit ihrem Schnabel herunter. Schon fast einschüchternd wirkte die nun komplett sichtbare Jacke, die prachtvoll leuchtend und nun ungeschützt war. Nachdem der steife Ledermantel zu Boden fiel, regte sich der, Kobold, als würde er etwas von all dem bemerken, und sein Schlaf wirkte auch nicht mehr gänzlich so entspannt. Merúl bemerkte, dass sie schwerere Geschütze auffahren muss, damit der Kobold aufwacht. Also nahm sie all ihren Mut zusammen, führte ihren Schnabel zur mittleren Naht, und klemmte ihn unter einen Faden.
Keine Sekunde später, vom einen Moment zum anderen, sprang Egrin auf, und landete direkt vor Merúls Schnabel. „Was in aller Welt soll diese Unordnung und dieser Vandalismus in meinem Heim, und vor allem an meinem besten Stoff?“ schrie der grüne Winzling. Eingeschüchtert flatterten die Vögel davon, in die andere Ecke der Hütte. Mit finstrer Miene drehte Egrin sich wieder den Vögeln zu. Zwischen ihren zitternden Schnäbeln brachten sie bloß ein, zwei leise Piepser raus, die Egrin mit seiner Fähigkeit, Tierstimmen zu verstehen, mit den Worten entzifferte: „Wir mussten dich wecken, oh Egrin! Eigenartiges passiert im Walde! Wir sahen uns gezwungen, dich zu kontaktieren!“.
Während Egrins grimmiges Gesicht zum eher fragwürdigen Dreinblicken wurde, antwortete er den Vögeln: „ Eigenartiges? Erklärt, ihr Vögel, was passiert Eigenartiges?“. Die immer hektischer werdenden Vögel wollten nicht länger ins Detail gehen und keine Zeit verschwenden, und sagten so im Chor: „Keine Zeit für Worte! Keine Zeit! Du musst dich aufmachen, dorthin, wo es geschieht!“.
Da Egrin relativ schnell bemerkte, dass es keinen Sinn mache, mit den Vögeln zu diskutieren, nahm er seine Schuhe, schnürte sie zu und schnappte sich seinen Wanderstock, der gleichzeitig als seine Waffe diente, weil er ja nicht wusste, was auf ihn zukommt. Egrin trat in Eile aus dem Haus, und man sah ihm Müdigkeit Lustlosigkeit an. Die Vögel waren bereits aus dem Fenster geflogen und schlugen kräftig mit ihren Flügeln, und plapperten munter aber besorgt vor sich hin. Der Kobold war sichtlich schnell entnervt, und folgte trampelnd dem Zwitschern. Seine Schritte ähnelten seinem anfänglichen Getänzel in keinster Weise mehr, auch kein Hopsen oder Pfeifen war mehr aus Egrins Mund zu hören.
Die Vögel wurden immer schneller, und Egrin rannte den Plappermäulern angestrengt hinterher.
Es ging über Stock und Stein, und zuerst verfolgten sie den Weg zurück, den der Kobold zu seinem Häuschen zurückführte, doch hinter dem Bach, über den Egrin sprang, lenkten die Vögel scharf an einer großen Eiche vorbei, und schlugen eine Richtung ein, der er selbst nur selten folgte. Nach seinem fließenden Hopsen, wurde Egrin langsamer, und er hüpfte nun mit Bedacht über die Steine und Wurzeln, denen er auf dem unbekannten Pfad begegnete. Er spürte deutlich, dass dieser Weg nicht oft eingeschlagen wurde.
„Nicht so schnell, ihr flinken Viecher!“ grölte der Kobold den Vögeln hinterher, so sehr es auch seiner angestrengten und ausgetrockneten Kehle wehtat, die flatternden Tiere schienen dies jedoch nicht zu hören, und plapperten weiter vor sich hin. Für eine kurze Zeit verlor Egrin die drei aus den Augen, doch hüpfend, schneller als er sonst hüpfte, holte er seine Geflügelten Kameraden ein. Als er sie erreichte, wurde es ruhiger um die Vögel. Sie flatterten in der Luft, ohne Geräusche von sich zu geben. Ohne das Zwitschern und Schnattern, und ohne das wilde Flattern.
Es war Egrin nicht bewusst, was die Vögel dringendes zu melden hatten, aber er kannte diesen Ort. Er kannte ihn schon, bevor er den Weidenwald bewohnte. Er besuchte ihn nicht oft, es war ihm nicht geheuer, diesen Ort zu betreten. Was der grüne Schneider vor sich sah, war ein alt anmutender Tümpel, gezeichnet von der Zeit, umgeben von Ruinen altertümlicher Bauten, aus alten Epochen, die von Ranken und Gestrüpp überwachsen Waren. Wenn man die Trümmer dieser alten Bauwerke genauer betrachtet, erkennt man Schriftzeichen und grobe Linien in die grauen Steine eingemeißelt. Doch diese Überbleibsel waren nicht der Auslöser für die Panik der Tiere. Inmitten des Teiches brodelte und blubberte es Gewaltig, als würde das Wasser Kochen, oder als würde eine riesige Ansammlung an Luft ans Ufer strömen. Nebenher ist ein unangenehmes und eindringliches Dröhnen zu spüren, wenn man dem Teich näher kommt. Wellen und Schaum peitschten auf, und werden an Land gespült. Das Unkraut und Gesträuch, das an den Ruinen hochwächst, bleibt nicht von Spritzern verschont, so sehr brodelte das Wasser.
Nachdem Egrin und seine gefiederten Freunde den Schauplatz ausgiebig begutachteten, konnten sie ein unheimliches Leuchten am Grunde des Teiches erblicken, dass langsam, aber sicher, anfängt, heller zu werden. Folglich erreichte das Lichtspektakel seinen Höhepunkt, und es wurde dermaßen hell, dass der Kobold und die Vögel sich die Augen zukneifen mussten. Schließlich mussten sie sich hinter eines der Bauwerke verstecken, dass anmuten ließ, als sei es einst eine Mauer oder eine Wand gewesen. „Bockmist noch eins, so etwas hab ich in meinen 500 Lebensjahren noch nie gesehen!“ sagte Egrin, und versuchte, mit seinen Worten das Rauschen des Brodelnden Wassers zu übertreffen. Die Vögel wurden hektischer, und schließlich hielten sie es nicht mehr aus, und es packte sie die bloße Panik, und sie Flatterten nach oben, zu den Baumkronen, und beobachteten das Geschehen zitternd mit einem Sicherheitsabstand. Egrin, dem es nicht möglich war, in die Lüfte aufzusteigen, blieb kauernd am Boden liegen, und hält sich die Ohren zu, da das Dröhnen erhebliche Ausmaße angenommen hat, sodass selbst der Boden zu Beben begann. Die Ruinen und Mauern fingen an, Risse zu bekommen und zu Staub zu zerfallen, Blätter wurden von den Zweigen und Ästen gerissen, und die Einwohner des Waldes, seien es Eichhörnchen oder Kaninchen, verließen diesen Ort panisch.
Und plötzlich, kurz bevor die Felswände komplett zu Staub zerfallen, hörte das Lichterschauspiel auf, und vom einen Moment zum anderen herrschte beängstigende Ruhe. Egrin öffnete langsam seine Augen. Er nahm seine Hände von seinen Ohren und schnappte sich leise seinen Wanderstock, der ihm während des Bebens aus den Händen glitt, und nun neben dem Mauerwerk lag. Als er den Stab mit seinen langen Koboldfingern erreichte, erhaschte er einen Blick auf den Tümpel, in dem sich dieses Spektakel abspielte. Das Wasser war bereits wieder spiegelglatt und Klar.
Die Gräser und Sträucher um den Teich herum waren nass, und durch die Wucht des Brodelns in alle Himmelsrichtungen ausgelegt. Doch dies bemerkte Egrin kaum, denn sein Hauptaugenmerk lag auf einer Gestalt, die durch diesen eigenartigen Vorgang in den Wald gefunden hat.
Sie tropft, ist klatschnass, und es macht den Anschein, als sei sie aus dem Wasser gekrochen. Sie lag auf dem Bauch, die Beine steckten noch im Wasser. Sie trug einen bleichen, dünnen Anzug, der anmuten ließ, als sei es eine Mischung aus einem Schlafanzug und einem Sträflingshemd. Sie schien geschwächt, denn sie ließ Schmerzensschreie- und Stöhne von sich. Egrin konnte das Gesicht der Gestalt nicht erblicken, denn sie lag mit gesenktem Kopf auf dem Boden.
Über die hohen Grasbüschel hinweg, die den Kopf der Figur verdeckten, konnte der Kobold nur die kastanienbraunen Haare des Wesens erkennen. Als Egrin sich seinen Stab mit zitternder Hand schnappte, schien das fremde Lebewesen den grünen Schneider zu bemerken, und es blickte auf. Geschwind versteckte Egrin sich hinter dem Stein, und hielt seinen Wanderstock fest zwischen seinen Fingern. Angsterfüllt bewegte er sich keinen Millimeter, und Angstschweiß lief von seiner Stirn an seinen ovalen, knallgrünen Augen und seiner knorpeligen Nase vorbei, bis zu seinem spitzen, knolligen Kinn. Seine Handflächen zitterten, doch er übte mehr Druck auf den Stock zwischen seinen Fingern aus, um zu versuchen, starr sitzen zu bleiben. Er fühlte jeden Pulsschlag, und jeder Atemzug wehte wie eine Böe durch seine Lungenflügel. Ihm schossen Dutzende Bilder und Gedanken durch den Kopf. „Was ist das für ein Ding, und durch was für ein unheiliges Ritual ist es in meinen Wald gekommen? Ist das einer von diesen ungesitteten, und nach Fäulnis stinkenden Ogern? Wollen diese eroberungslustigen Monstren jetzt auch mein Territorium einnehmen und es das ihre nennen? Das kann eigentlich gar nicht der Fall sein, Oger haben meist Glatzen. Ist es ein Golem, eines von den Magiern und Alchemisten geschaffenes Wesen, dass einzig und allein den Zweck erfüllt, Krieg zu führen? Nein, das kann es auch nicht sein. Golems sind generell aus Gestein geformt, und tragen Kriegsgewänder und Rüstungen, und nicht solch eine Klamotte.“
Die Neugierde drängte den Kobold, und er fühlte sich gezwungen, einen erneuten Blick zu wagen. Er hielt seinen Wanderstab schlagbereit, und bewegte sich auf seinen Knien von der Mauer weg, bis sein Kopf an der Seite hinausragte. Just in diesem Moment stand die Gestalt vom Boden auf, und Egrin bekam es direkt zu Gesicht: Es handelte sich um einen stattlichen Burschen jungen Alters, athletisch und muskulös anmutend, wie Egrin bemerkte. Doch eine Sache fiel besonders an dem jungen Mann auf: Er war ein riesiger, knapp drei Mann großer Koloss, neben dem Egrin wie ein Kleinkind wirkte.
Unwissend und ahnungslos blickte der Riese wild um sich. Er schien orientierungslos und unwissend, und als hätte er keinen blassen Schimmer, wo er sich gerade aufhielt. Als sein Blick das Mauerwerk traf, hinter dem der Kobold sich verbarg, versteckte Egrin sich rasch hinter dem Stein, um nicht von dem Hünen entdeckt zu werden.
„Wer bist du? Was willst du hier?“ fragte Egrin, der immer noch hinter dem Fels hockte.
Zuallererst bekam er keine Antwort, da der große Kerl nach wie vor verwirrt schien.
„Mein, mein Name ist Ogon. Wo bin ich hier? Und wer spricht da?“ erwiderte er schließlich. Egrin, der stets von Panik ergriffen war, schlich behutsam hinter ein anderes steinernes Überbleibsel, damit der Riese nicht herausfinden konnte, von wo die Worte des Kobolds kamen. Als er eine andere Mauer erreichte, und sich duckte, gab er Ogon eine Antwort:
„Du befindest dich im Weidenwald, oder bessergesagt, in meinem! Ich habe mich selbst zum Wächter dieses Ortes ernannt, und seit ich hier bin, herrscht ein friedvolles Klima, und das soll auch so bleiben. Sag, woher kommst du, und was ist deine Absicht?“
Während Egrin über den Boden kroch, antwortete der Riese: „Ich weiß es selbst nicht. Ich… War einfach hier. In diesem Teich bin ich aufgewacht. Alles, was vorher geschehen ist, ist mir ein Rätsel.“
„Also, du willst mir sagen, dass du ohne jede Erinnerung an diesem Ort hier auftauchst? Das soll ich dir glauben? Ich kenne diesen Ort im Walde gut genug, und ich meide ihn nicht ohne Grund.“ Sagte der Kobold, der langsam immer schneller um die Felsen und Steine rumschleicht. „Ich schwöre es! Mit wem auch immer ich da sprechen mag, ich habe keine Ahnung was ich hier suche, geschweige denn, wie ich durch dieses Wasser herkam!“
Egrin blieb stehen. Bei all seinem Misstrauen, und seiner Angst, stellt er sich wieder auf seine Füße, schlängelt sich zwischen den Steinen hindurch, und steht hinter dem Riesen.
„Für einen Menschen bist du ganz schön groß geworden.“ Sagte er, und Ogon erschrak und drehte sich um. „Ihr… Ihr seid ein Kobold!“ „Gut erkannt, Junge. Was bist du genau?“
Ogon blickte auf sich und seine unvorteilhaften Kleider hinab. „Ich bin ein Riese, wie ihr scheinbar bemerkt habt. Ich komme aus dem Hause Dondur, dem letzten großen Riesengeschlecht weit und breit.“ Daraufhin nahm Egrin den Hut von seinem Kopf, und blickte zu Boden. „Dondur… Der Name sagt mir etwas… Aber nur im Entfernten. Und du weißt nicht, was du hier suchst, geschweige denn, wie du hier hergekommen bist?“
„Nein. Wenn ich darüber nachdenke, erscheinen Bilder, ruckartig und kurz. Ich denke, dass dies etwas mit meinem Auftauchen hier zu tun hat, es sind aber bloß Bruchstücke meiner Erinnerung.“ Lautete die Antwort Ogons.
„Gut, aber es muss doch irgendeinen Punkt geben, an den du dich erinnern kannst! Was ist das letzte, was du noch von deiner Vergangenheit weißt?“ Entgegnete ihm Egrin.
„ Wenn ich genau drüber nachdenke, ist das schon eine ganze Weile her…“ Sagte der Riese, und runzelte nachdenklich die Stirn. Er schloss die Augen, und versuchte sich an alles, jede erdenkliche Erinnerung, zu klammern, und sie zu erläutern. „Ich sehe eine Stadt. Ein Schloss. Verwinkelte Gassen. Kleine und große Häuser, Ställe und Höfe. Eine Brücke, Wasser und… Schwerter. Klingen, die aufeinandertreffen. Schmerz- und Kampfgeschrei. Eine Schlacht! In der Stadt!“. „Das ist ja schon mal einiges…“ Erwiderte Egrin. „Hast du mitgekämpft, in dieser Schlacht?“. „Ich sehe vieles, aber nicht mich… Ich weiß es nicht, ich muss es aber gesehen haben!“. „Gut… Und wie sieht dein Plan aus? Wo willst du hin, und was willst du als Nächstes machen?“ Fragte Egrin den verwirrten Ogon. „Ich weiß es nicht… Ich schätze, ich werde diese Stadt suchen, um Antworten zu finden.“
„Ich könnte dir bei der Suche helfen. Ich habe genug Ausstattung daheim, um dich für die Reise vorzubereiten.“ Ein Grinsen breitete sich auf dem Gesicht Ogons aus. Doch dieses Grinsen wurde kurzerhand zu einem misstrauischen und ungläubigen Dreinblicken. „Du… Würdest das für mich tun? Obwohl du mich nicht kennst?“ Fragte er den kleinen Schneider. „Als Wächter des Weidenwaldes sehe ich mich gezwungen, als Gastgeber zu fungieren und Neuankömmlingen die Ankunft und die Abreise zu erleichtern. Mit anderen Worten: Ja. Und übrigens, in diesem Aufzug kann ich dich nicht in die weite Welt hinausschicken. Der Schneider in mir hat nämlich auch ein Wörtchen mitzureden.“
„Ihr seid Schneider?“ Fragte Ogon, während Egrin seinen Hut aufsetzte, losschlenderte, und dem Riesen den Weg zu seiner Hütte zu zeigen. „Ja, ein sehr begabter, um nicht in Selbstlob zu versinken, aber ich schätze mich als ein sehr Talentierter Finger an der Nähmaschine ein.“
Einen Moment tritt Ruhe ein, und Ogon und Egrin lauschen den Vögeln, die nach der Unruhe im Wald wieder munter und begeistert begannen, Lieder und Melodien zu singen. „Diese drei Vögel verfolgen uns schon, seit wir losgegangen sind.“ Bemerkte Ogon. „Du, oder besser gesagt, dein Erscheinen haben aber auch ganz schön erschreckenden Eindruck bei den Waldbewohnern hinterlassen. Um ehrlich zu sein, dieses Trio hat mich erst auf die Unruhe aufmerksam gemacht.“
Sie erreichen nun einen Pfad aus Pflasterstein, der neben dem Bach entlang verläuft, der zum Haus des Kobolds führt. „Sagt, sind Kobolde nicht selten in solchen Gefilden? Suchen Wesen wie ihr nicht wärmere und trockenere Gebiete auf?“
„In der Tat, Riese. Ich bin im Kreise meiner Vertrauten und Verwandten tatsächlich ein Einzelgänger, oder wie ich es zu sagen pflege, etwas Besonderes. Meine Eltern, und Gebrüder, bewohnen die roten Dünen, sie leben also ganz am anderen Ende der Welt. Den Weidenwald habe ich entdeckt, als wir meinen Vetter Grill besuchten, der in den Buckelländern lebt, also gar nicht weit von hier. Außerdem lebt ein Cousin von mir in Valinstadt, liegt eine Woche Fußmarsch südlich von hier. Und wo kommst du ursprünglich her, wenn ich fragen darf? Du weißt doch bestimmt noch den Ortsnamen deiner Geburt, oder wo du gewohnt hast, oder?“. Ogon blickte zu Boden. „Nein, das weiß ich nicht. Seit ich mich daran erinnern kann, lebten wir dort, wo unsere Füße uns hintrugen. Wir waren Nomaden, hatten keinen festen Wohnsitz, oder etwas Vergleichbares. Wir lebten in einer Art großen Familie, ohne, dass wir alle miteinander verwandt waren, abgesehen davon, dass wir alle Riesen waren.
Wir wanderten durch Dörfer und Städte, über Berge und Täler, trafen Menschen, die uns vergötterten, aber ebenfalls welche, die uns verabscheuten. Wir halfen ihnen, Häuser zu bauen, Streit zu schlichten oder Feinde in die Flucht zu schlagen. Wir kamen ganz schön weit rum, doch selten wusste ich, wo wir waren. Mein Vater, Baldren, war der Führer unserer Gemeinschaft. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, weitere Wesen unserer Art zu finden und aufzunehmen, da wir Riesen schon immer eine Randgruppe waren. Das ist so ziemlich der größte Teil von dem, woran ich mich erinnern kann, Kobold.“
Die beiden erreichten nun die Stelle des Bachs, an der sie das Gewässer überqueren mussten, um zu Egrins Waldhäuschen zu gelangen. Wieder einmal wurde der Größenunterschied zwischen den beiden deutlich, denn um über den Bach zu gelangen, benötigt Egrin einen gekonnten Hechtsprung, während Ogon ihn mit einem kleinen Schritt zu überqueren wusste. Das Geäst und das Dickicht wurden enger und tiefer, und der Riese musste in einer niedrigeren Haltung durch den Wald, während Egrin vor ihm, tänzelnd und springend, und schnell, wie immer, den Weg weist.
Nach einem wilden Marsch durch Gebüsche und Blätter, erreichen Egrin und Ogon die Waldlichtung. Nachdem engen Marsch durch die Wildnis fühlte der Riese sich wieder frei, und genoss es, nicht weiter von Bäumen, Büschen, und anderer Natur, eingeengt zu sein. Egrin bat Ogon zu sich hinein, doch schnell bemerkten die beiden, dass Ogon viel zu groß ist, um sich zu Egrin in die Hütte zu gesellen.
Letztendlich blieb dem Riesen nichts anderes übrig, als seinen Kopf durch das kleine Fenster zu stecken, um einen Blick in das Haus zu werfen, und er erblickte die Vielzahl an Kleidungsstücken, die Egrin anfertigte. „Wie du sehen kannst, bin ich ein recht fleißiges Kerlchen, was mein Handwerk angeht.“ Betonte der Kobold, während er schwungvoll seine Schuhe auszog. Er ging nun zu seinem kleinen Nachttisch, und holte einen eisernen, prachtvoll glänzenden Schlüssel zwischen einigen Putzlappen und Handtüchern hervor. Dann trat er ein Stück Teppich zur Seite, und eine Holzlucke war auf dem Boden sichtbar geworden. Schnell öffnete Egrin das Türchen, und zu sehen war ein kleiner Kellerraum, vollgestellt mit Zetteln, Akten und Kleinteilen. Der Kobold stieg eine kleine Treppe hinab, vorbei an Kisten und Truhen, die meist größer waren, als der Schneider selbst. Im Zentrum der Abstellkammer war eine Bronzene, aus Drähten, Zahnrädern und Eisenstangen bestehende Nähmaschine. Egrin durchsuchte Schubladen, Schränke und Kommoden. „Suchst du etwas Bestimmtes?“ fragte Ogon. „Mein Urgroßonkel Bartin hat mich vor ein paar Jahren mal hier besucht. Er ist Kartograf, und zusammen haben wir eine Karte vom Weidenwald und dem anliegenden Gebiet erstellt. Wenn ich bloß wüsste, wo ich die Karte gelassen hab!“
Während Egrin sich weiter umsah, bemerkte er, wie Ogon die Nähmaschine staunend betrachtete. „Sie ist wunderschön, nicht? Ich habe sie selbst gebaut, zusammen mit Eglar, meinem kleinen Bruder, der zusammen mit meinem alten Herrn in Dornún wohnt. Sie gehören zu den besten Mechanikern jenseits der Sumpftäler.“ Erzählte Egrin stolz.
„Ich merke schon, Egrin, du hast einen beachtlichen Stammbaum.“ Antwortete Ogon.
„Da hast du nicht ganz unrecht, werter Ogon. Wenn man so bedenkt, haben wir Kobolde schon viel Erwähnenswertes geleistet.“
„Gibt es auch Krieger unter euch?“ fragte Ogon den Schneider. Einen kurzen Moment kam kein einziger Ton mehr aus der Abstellkammer. „Jetzt wo du es sagst, nein, mir sind keine wahren Kämpfer unter den Kobolden bekannt. Wir beschäftigen uns mit Dingen, die uns und unsere Umwelt bereichern, doch die Kunst des Krieges und des Kämpfens ist uns fremd. Man überlege auch, wie unnütz ein Kobold auf dem Kriegsfeld wäre, mit unseren dünnen Fingern könnten wir kein anständiges Schwert in der Hand halten, und für einen Konflikt wären wir nicht standhaft genug, von unserer Größe ganz zu schweigen…“ antwortete Egrin nachdenklich. „Da scheinst du nicht ganz unrecht zu haben, Kobold. Aber sag mir, warst du je in einen Kampf verwickelt?“ entgegnete ihm der Riese. „Nun, weißt du, Ogon, wir Kobolde haben ein perfektioniertes Gespür dafür, wann Situationen zu brenzlig für unser Gemüt werden. Dann helfen uns unsere Flinken Füße, und wir können mit einer unwahrscheinlichen Schnelle Gefahren überwinden. Das ist uns angeboren, für das Kämpfen wurden wir nicht geschaffen. Was nicht heißen soll, dass ich mich nicht zu verteidigen weiß!“
Egrin stopfte seinen Kopf wieder zwischen Zettel und Altpapier. Es schien fast, als würde er gänzlich in einem Haufen aus Blättern und Notizen verschwinden, doch dann sprang der Kobold auf, mit erhobenen Händen, und einem unverwechselbaren Jubeln: „Ha! Da ist sie ja, direkt neben meinem Reisepass, den mir meine Tante Fari vor Jahren ausgeschrieben hat!“
Geschwind kletterte der Schneider die winzigen Holzstufen hoch, und mit wenigen Bewegungen war die Bodenlucke zu, und der Teppich lag wieder Flach auf den Holzplatten. Der Kobold zog sich die Schuhe an, verließ das Haus, und breitete die riesige Karte auf einem Baumstumpf aus. Mit großen Augen begutachtete Ogon den Plan, den Egrin und sein Urgroßonkel erstellt haben. Sie war an den Rändern leicht vergilbt, kleine Falten und Risse waren an vielen Stellen bemerkbar. Egrin wischte mit seinen Händen eine Menge staub vom Papier, sodass eine große Staubwolke sich den Weg durch die Lichtung bahnte. Ein Käfer lief über die Karte, doch ein Atemstoß des Kobolds genügte, und das Insekt segelte durch die Luft. Oben auf dem Plan stand in großer Schrift das Wort „Fartaris“, dies war der Name des Landes, indem sich der Weidenwald befand. Der Wald nahm gut ein Drittel des ganzen Landes in Anspruch. Östlich vom Weidenwald befanden sich etliche Seen, in deren Mitte ein großes Gewässer war. Auf diesem Wasser war die Insel Arthá, auf der sich die Hauptstadt von Fartaris befand, Gromburg, die Stadt, die auch „Fackel des Nordens“ genannt wurde. Im nördlichen Teil der Karte lag das Grollgebirge, und südlich, unterhalb des Weidenwaldes, floss ein Fluss, der Drosselbach, neben dem sich die Stadt Harin befand.
„Gromburg!“ rief Ogon. „Gromburg, dieser Name sagt mir etwas. Vielleicht ist das ja die Stadt, die ich in meinen Träumen sah.“
Der Kobold sprang auf, reib sich die Hände, und sagte: „Hah! Da haben wir es doch! Dein Reiseziel!“
„Gromburg, das wird es sein!“ sagte der Riese unaufhörlich. „Könntest du mich auf dem Weg aus dem Weidenwald hinaus begleiten, Egrin?“ fragte Ogon. „In der Tat, mein großer Freund. Aber nicht nur das, Ogon. An deiner Kleidung muss ich noch so einiges Korrigieren und Verbessern!“ antwortete Egrin, während er mit einem Grinsen seine Hände rieb, woraufhin der Riese bloß fragwürdig dreinblickte. Egrin hüpfte Kichernd in seine Hütte, als Ogon fragte: „Inwiefern meinst du denn, ‘Verbessern‘?“
Ogon folgte dem Schneider, der jedoch nicht auf die Frage des Riesen einging. Es klimperte und knatterte im Haus des Kobolds, und kaum versah sich der Riese, kam Egrin mit Bergen an Stoffen, Fäden und anderem Atelier aus der Hütte heraus. „Sieh dich doch an, Riese! Wollt ihr etwa in diesem Aufzug die weite Welt aufsuchen? Ich hoffe nicht!“ entgegnete ihm der Kobold. „Du willst doch nicht als Witzfigur in Gromburg erscheinen.“
Egrin kramte und wühlte in den Wäschebergen, während er zu Summen begann. Dann blickte er zu Ogon, und beobachtete ihn aus verschiedenen Blickwinkeln. Er rannte geradezu um den Riesen herum, und aus dem Summen wurde eine laute Melodie. Er fing an, um Ogon herum zu hüpfen, maß mit seinen Augen und seinen Händen Längen und Breiten aus, huschte mit Fäden und Stoffen um Ogon herum, kletterte an seinen Armen hoch, und stand auf seinen Schultern. Ogon blieb nichts anderes übrig, als still und starr da zustehen, und den begeisterten Schneider seine Arbeit machen zu lassen.
Egrin war bereits so in seine Arbeit vertieft, dass wenn man ihn ansprechen würde, man nur ein stutziges Brummen als Antwort bekäme. Die Aktion des Schneiders ging noch eine Weile, und nachdem er gefühlte hunderte an Kleidung, Pelzen, Flicken, Leder und anderen Dingen benutzte, die der Kobold aus seinem Keller auftreiben konnte, um Ogon einzukleiden.
„Und… Mein Meisterwerk ist vollendet!“ Gab Egrin selbstlobend von sich. Er ging einige Schritte rückwärts, und Ogon schien wie ein neuer Riese zu sein; Anstatt einen übergroßen Schlafanzug trug er ein dunkelblaues Hemd, gepaart mit einer schulterfreien, schwarzen Lederweste, und einer grauschwarzen Hose. Außerdem waren seine Kleidungsgegenstände ausgestattet mit Gürteln und Taschen. Dazu kamen braune Stiefel, die Egrin noch fertigstellte.
„Wie gefällst du dir?“ fragte der Kobold, während er ihm die Stiefel übergab. „ich finde es großartig, Egrin. Ich weiß nicht, wie ich es dir danken kann.“
„Verlasse einfach meinen Wald, dann sind wir Quitt, du Unruhestifter.“ Sagte Egrin lachend.
„Nein, um ehrlich zu sein, hatte ich den Stoff sowieso übrig, und es ist besser, dass er sinnvoll verarbeitet wird, anstatt dass er in meiner Bude versauert.“
Ogon war noch lange damit beschäftigt, seine neue Ausstattung genauer zu begutachten. Er bewegte sich viel, und merkte, wie gut sich die Kleider an seinen Körper anpassten, fast wie eine zweite Haut. Er kam aus dem Staunen über Egrins Künste nicht mehr heraus, so beeindruckt war er von den Kleidern. Der Kobold verschwand in seiner Hütte, und traf letzte Vorbereitungen für die Abreise. Unter seinem Bett holte er einen Rucksack hervor, und von dem Kleiderständer nahm er einen lilafarbenen Mantel. Kurzerhand griff er nach seinem Wanderstab, den er an die Wand lehnte, und er klappte hinter sich die knackende und quietschende Holztür zu. „Ich habe alles bereitgestellt, wir können losgehen!“ ließ er verkünden. Ogon machte sich bereit, und begann, die Lichtung zu verlassen. „Stopp!“ hörte er den Kobold rufen. „Wir können noch nicht los! Der Mantel, den ich mitnehmen wollte, er ist zu groß für mich.“
„Wie kann das sein?“ Fragte Ogon. „Du bist ein Meisterschneider, wie kannst du so etwas falsch machen?“
Egrin blickte demotiviert zu Boden. „So gut ich für die anderen auch sein mag, wenn ich etwas für mich anfertige, passt es nicht! Entweder es ist zu groß, zu klein, oder es sitzt nicht richtig.“ Ogon überlegte kurz, doch es kam ihm eine Idee: „Warum schneidest du die Langen Ärmel nicht einfach ab?“
Egrin blickte ungläubig auf. „Und dann? Dann ist er unten rum auch noch zu lang.“ Gab er deprimiert von sich. „Dann schneidest du unten rum auch noch was ab.“ Antwortete der Riese. Egrin blickte überrascht auf. „Auf… Auf die Idee bin ich sonst nie gekommen… Sonst schmeiße ich die Sachen immer weg, wenn sie nicht passen! Ich danke dir, Ogon! Du, mein lieber, bist ein schlaues Köpfchen!“
Eilig wie der Wind rannte Egrin in sein Hüttchen. Ein schnippeln war zu hören, ein wenig Rumkramen, und der grüne Schneider kam mit grinsender Miene und perfektioniertem Mantel aus der Tür. „Wofür ist der Rucksack gedacht?“ fragte Ogon. „Der ist für unseren Proviant, du Einfallspinsel!“ Antwortete Egrin. Fragend blickte Ogon auf die Tasche. „Aber die ist leer. Wo ist denn unser Proviant?“ Fragte er den Kobold. Egrin lachte daraufhin bloß, und fing an, lautstark zu pfeifen, so laut, dass der Riese sich die Ohren zuhalten musste. Eine bizarre Melodie entstand, und zwischen den Bäumen kamen Scharen von Vögeln, Kaninchen, Eichhörnchen und sogar Käfer hervor, die allesamt Nüsse, Beeren, Körner und anderes Essbares mit sich trugen. Egrin hielt seinen Rucksack offen, und die Tiere begannen reihenweise ihre Mitbringsel in den Rucksack zu tun. „Ich schätze, wir werden gut versorgt sein.“ Sagte Egrin daraufhin mit einem fiesen Lächeln. „Egrin, du strotzt nur so vor Überraschungen.“ Antwortete Ogon staunend und mit großen Augen. „Ich hoffe doch, dass es sich dabei nur um positives handelt.“ Warf der kleine Schneider lachend ein.
Gemeinsam verließen die beiden die Lichtung, und marschierten heiter den gewohnten Weg entlang, am Fluss vorbei, geradewegs den Gepflasterten Weg entlang.
Egrin breitete währenddessen die Karte aus, die er mitgenommen hatte. Er betrachtete den Weidenwald, und erzählte die erwähnenswertesten Dinge, die er über den Wald weiß: „Wir befinden uns im mittleren Teil des Waldes. Ich habe genau beim Mittelpunkt mein Häuschen gebaut, um an jedem der verschiedenen Orte gleichentfernt zu sein. Hier oben, beim Grollgebirge, dem nördlichsten Teil des Waldes, herrschten einst die Trollbrüder. Sie waren zu viert, zwei regierten über die Berge, die an den Wald grenzen, und die anderen beiden teilten sich den nördlichen Weidenwald. Doch irgendwann fingen sie an zu streiten, der eine wollte die Berge, der andere das Grün, und wie man die Trolle und ihre Intelligenz kennt, haben sie sich gegenseitig zerfleischt, anstatt einfach zu tauschen. Ich denke, du kennst die Leier mit den Trollen. Das geht nie gut aus. Derzeit leben dort die verschiedensten Tiere, ich kenne viele von dort. Nur selten trauen sich noch Trolle und anderes Unwesen in die Wälder. Hier, im Osten, ist es am düstersten, die Bäume am dichtesten, und ebenfalls unwahrscheinlich gefährlich: Hier bin ich öfters mal dem einen oder anderen Troll begegnet, und das nicht ganz ohne Kampfhandlung. Wenn du diesen Ort aufsuchen solltest, hüte dich vor den dicken, schwungvollen Bäumen, die ein leises Summen von sich geben, denn wenn du dich einmal versiehst, fressen sie dich!
Der Süden bietet nicht viel Spannendes, viel Wasser, viele Hügel, und Wiesenlandschaften. Ab und an sind hier Menschen anzutreffen, denn der Süden des Waldes ist eine weit verbreitete Touristenattraktion. Und zu guter Letzt, der Westen, unser Reiseziel: Hier, am Rande des Waldes, ist die Heimat von Yra, der Waldhexe. Sie kann dir bei deiner weiteren Reise helfen, sie kann dich mit Waffen und genügend Proviant, mehr, als ich und meine Kumpanen dir jemals bieten könnten, ausstatten. Sie ist eine alte Freundin von mir, und nebenbei sehr hübsch anzusehen. Sie lebt in einem Turm auf einem Hügel, der zwischen den Bäumen herausragt. Du wirst ihn nicht übersehen können, wenn wir diesen Weg weitergehen.“
„Und diese Hexe…Yra… Wie kann sie mir bei meiner weiteren Reise behilflich sein? Hat sie zufälligerweise besonders große Pferde, auf denen ich reiten kann?“ Fragte Ogon.
„Nein, sie ist im Besitz von Reisespiegeln, die sie teilweise selbst erschaffen hat. Das sind Spiegel, die als Tore dienen. Mit denen kann sie dich an die Orte deines Wunsches transportieren.“
Die Zeit verlief wie im Sande, die Sonne verschwand langsam hinter den Baumkronen, und lange, rötliche Schatten wurden geworfen. Die Grillen wurden lauter, und im Dickicht konnte man vereinzelt Glühwürmer erkennen, insofern man gut geschulte Augen hatte. Kaum mehr ein Vogel begegnete den zweien, dem Egrin mit wilden Pfiffen hätte grüßen können. Als der Mond aufging, der die obersten Zweige wie feine Schatten darstellen ließ, und die Blätter grell durchleuchtete, erreichten Ogon und Egrin eine mit Gras bedeckte Anhöhe, unter der sich ein kleiner Höhlenspalt befand.
„Ich denke, es ist Zeit, Rast zu machen, und unseren müden Knochen eine Pause zu gönnen.“ Sprach Egrin mit erschöpfter Stimme, und einem anschließendem, lauten Gähnen. Sie kletterten in die Höhle, legten sich in das weiche Gras, und gaben sich ihren Träumen hin. Es wurde finster im Wald, und das einzig sichtbare waren die Sterne.