She's sick of this town, she's sick of this boy,
She's sick of dreams that never take flight.
There's got to be more than the same old Stories,
so she's gonna turn the page tonight.
she's got the radio on. She's got the windows down.
She's got the pedal to the flore
in a hand me down Ford,
So the only thing that's left to do
Is catch a couple green lights
And this Baby blue eyes
Are leaving nothing in that rearview,
Nothing, but dust
(Eli Young Band: Dust)
First Part: Strangeness, Charm & a Hot Pursuit
„Lee! Lee! Komm endlich runter. Daddy hat gekocht.“, tönte es aus dem Untergeschoss.
Lee sah zum Fenster hinaus über die goldenen Weiden. Die Sonne dachte noch nicht im Geringsten daran, unterzugehen. Es war warm diesen Sommer. Und es war gerade einmal sechs Uhr am Nachmittag. Aber wenn sein Vater sich entschlossen hatte, zu kochen, sollte er der Aufforderung trotzdem nachkommen. Zumal er wirklich nichts Besseres zu tun hatte, außer Computer zu spielen. Allerdings hatte er in den letzten Wochen viel zu viel gespielt, und auf Dauer wurden auch die besten Spiele langweilig. Also schaltete er den Rechner ab, während er rief: „Sicher, Mum, bin schon unterwegs.“
Schwungvoll stieg er die alte Holztreppe des Ranchouses hinunter und schwang sich an den Tisch. Sein Vater musste sehr früh frei gehabt haben, aber das kam oft vor. Das, dachte Lee, ist Teil des Lebens in Butterflycreek County.
Willkommen in Wyoming. Lees Mutter verteilte Braten und Salat. Lees Augen wurden größer, während ihm das Wasser im Mund zusammenlief. An seinem Vater war ein großer Koch verloren gegangen. Aber Anthony Crow war nun mal Richter geworden, und an dieser Sache würde sich auch nichts mehr ändern.
„Irgendwas Interessantes bei der Arbeit passiert?“, fragte er seinen Vater zwischen zwei Bissen.
Der Richter schüttelte den Kopf, aber es war keine verneinende Geste.
„Der Curlington-Fall zerbricht mir den Kopf. Die Öffentlichkeit erwartet von mir, dass ich diesen Trucker zum Tode verurteile. Schließlich sind es Deirdre Scott und ihre Kinder gewesen, die Opfer des Unfalls wurden. Aber wenn man das Gesetz betrachtet, ist einschlafen am Steuer grob fahrlässig, mit der Fahrerflucht kann man auch einen Todschlag daraus drehen. Aber das hier ist kein Mord. Warum musste das ausgerechnet auf unserem Stück Highway passieren?“, erzählte Anthony.
Lee nickte langsam, während er antwortete.
„Deirdre war die Schwester des Pfarrers und auf jeden Fall ein besserer Mensch als Er. Ich kann die Leute verstehen. Sie wollen Rache für den wohl liebsten Menschen im County. Andererseits hast du Recht. Curlington ist ein Idiot, aber es war keine Absicht hinter dem Vorfall. Er ist sicher kein Mensch, der aus Spaß unschuldige Leute über den Haufen fährt.“
Der Richter schüttelte noch einmal den Kopf.
„Ich frage mich, warum seine Anwälte mich nicht ablehnen. Es wäre ein sehr leichteres, mich der Befangenheit zu bezichtigen. Schließlich werden eine Menge Leute eine Zeit lang nicht mehr mit mir reden, wenn ich aus ihrer Sicht zu nett zu ihm bin. Und ich sage euch, die Auswahl zwischen mit all meinen Prinzipien zu brechen oder sich die Bevölkerung dieses liebenswerten Ortes zu Feinden zu machen, ist nicht wirklich nett. Fast hoffe ich auf einen Verfahrensfehler, und dass sich damit die ganze Sache in Wohlgefallen auflöst.“
Nun schaltete sich auch seine Frau in das Gespräch ein. Susanne Crow war meist eine recht schweigsame Frau. „Vielleicht solltest du aus Befangenheit ablehnen. Wenn du darlegst, das hier kein fairer Prozess gemacht werden kann, soll sich doch ein anderes County darum kümmern.“
„Bloß nicht!“, erwiderte Lee sofort.
Seine Eltern stoppten mitten im Essen und wandten sich ihm zu. Energische Ausrufe waren sie von ihrem Sohn nicht gewohnt.
„Die Ablehnung dieses Falles wäre ein öffentliches Eingeständnis von dir, Dad, dass du dir die Öffentliche Meinung zu sehr zu Herzen nimmst. Ich sehe schon die Schlagzeilen in Misses Willcox‘ Käseblatt vor mir. Die Leute werden schreien, dass du Feige bist, und falls du jemals noch mal Karriere machen möchtest, kannst du es auch vergessen. Jemand der wegen so etwas einen Fall ablehnt, ist höheren Behörden nicht integer genug.“, erklärte Lee seinen Standpunkt.
Ein kurzer Moment des Schweigens legte sich über das Abendessen.
„Leland Quayle Crow, du erstaunst mich immer wieder. Nicht nur das du absolut recht hast. Übrigens, auch wenn mich die Öffentliche Meinung schwarz ärgert, werde ich mich ihr niemals beugen. Du bist sehr viel heller, als du scheinst. Hast du dir endlich überlegt, was du mit deinem Leben machen möchtest? Du hast das Zeug zu einer Menge Dinge, was immer du studieren willst. Das wird schon werden.“, antwortete sein Vater.
Doch Lee machte nur eine wegwerfende Handbewegung. Er hatte gerade nicht die geringste Lust, über seine Zukunft zu reden. Also gab er nur seine Standartantwort:
„Das sag ich euch, wenn in diesem County ein College aufmacht.“
Sein Vater wusste, dass er ihm nur auswich, aber er hatte nach diesem anstrengenden Tag nicht die geringste Lust, mit seinem Sohn zu diskutieren. Also redeten sie über andere Dinge, wie etwa die anstehende Bürgermeisterwahl.
Nach dem Essen sprang Lee als erstes auf. Er griff sich seinen Hut und rief halb im Gehen: „Ich geh noch eine Runde raus.“, als ob das nicht offensichtlich war.
Aber er musste raus, weit weg von jenem Haus. Nur mit Gehen hatte seine Beschäftigung nicht viel zu tun, wenn man von dem Gang zu Garage absah.
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Lee schob das große Holztor der Scheune zur Seite und befestigte es. Dieser Ort war sein Reich, und dort stand er. Der 65 Ford Mustang, in wunderschönem Feuerrot.
Eigentlich alle Jungs in der Gegend hatten ein Auto, viele auch einen Klassiker, aber Lees Stück war etwas ganz besonderes. Seit er etwa fünf Jahre alt war, hatte er eine solches Auto haben wollen, und seit damals auch auf eines gespart. Er war viel zu Stolz, Geld von seinem Vater anzunehmen. Der Mustang war sein Projekt. Als er schließlich 15 war, hatte er genug Geld gehabt, um einen zu kaufen.
Allerdings war das Fahrzeug damals in einem katastrophalen Zustand gewesen. Es konnte fahren, allerdings sah es fürchterlich aus. Zwei Wochen verbrachte Lee damals nur damit, es zu säubern. Das Ergebnis war ernüchternd.
Der Vorbesitzer hatte das Fahrzeug viel genutzt, daher waren stets die nötigen Reparaturen durchgeführt worden, so dass die Technik in einem brauchbaren Zustand war. Der Rest sah allerdings aus, als hätte man ihn zur Feldarbeit missbraucht.
Das Verdeck hatte man seit Ewigkeiten nicht mehr geöffnet, was auch bei all den Löchern nicht nötig schien. Also ging erneute Sparerei los. Den Innenraum restaurierte Lee hauptsächlich selbst, mit allen möglichen Teilen, die er im Internet beschaffen konnte. Das dauerte eine Ewigkeit, schließlich hatte Lee all diese Dinge noch nie gemacht.
Dazu musste er das Fahrzeug komplett neu lackieren lassen, was fast genauso teuer war, wie es zu kaufen. Aber irgendwann war es komplett, und Lee war immer noch stolz auf all seine Arbeit und Geduld. Nun konnte er behaupten, dass er das am besten gepflegte Auto im ganzen Bundesstaat besaß, und damit hatte er wahrscheinlich sogar Recht.
Wenn das Wetter im gerade nicht erlaubte, mit seinem Lieblingsstück durch die Gegend zu rasen, polierte er den Lack oder pflegte die Ledersitze. Heute aber musste er fahren.
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Mit einer schwungvollen Bewegung sprang er in den Fahrersitz, ohne die Türen zu öffnen – und ohne mit den Schuhen das weiße Leder zu berühren. Er drehte den Schlüssel und hörte sich ein Moment das melodische Brüllen des alten Reihen-Sechszylinders an. Dann gab er vorsichtig Gas und fuhr vom Hof.
Raus, das Radio an, ein wenig Wind in den Haaren. Er hatte kein Ziel, er musste nur raus. Die Worte seines Vaters gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf.
Er lenkte seinen Wagen auf eine Wenig befahrene Landstraße. Eine Sache hatte er sehr schnell gelernt. Der Highway war kein guter Ort, um schnell zu fahren. Die Highway-Patrole hatte nur diese paar Straßen zu bewachen, und dafür eine Menge Leute.
Die vielen Straßen zwischen den unzähligen Kleinstraßen hatten nur einen Scheriff und vielleicht fünf Deputies, die meistens mit entlaufenen Kühen, kleineren Diebstählen und anderen Vorfällen überarbeitet waren, und somit eher selten Zeit hatten, sich mit Geschwindigkeitskontrollen zu beschäftigen.
Allerdings sollte man sich niemals darauf verlassen, und sobald man irgendein anderes Fahrzeug sah, lieber vernünftig fahren.
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Aber über all diese Dinge machte sich Lee an jenem Tag sowieso keine Gedanken. Er war über den Punkt hinaus, an dem er sich selbst beweisen musste. Er wusste, was er konnte, und er war viel zu durcheinander um am Limit zu fahren. Er brauchte nur den Wind und seine Einsamkeit.
Er schaltete das Radio wieder aus. Die Musik machte ihn anders als sonst nervös.
Was wollte er mit seinem Leben anstellen? Auf welches College gehst du? Eigentlich hatte Lee nur einen einzigen Traum, und das war Rennfahrer werden. Allerdings gab es dafür keine Colleges. Mitten in Wyoming gab es noch nicht mal einen Motorsportclub. Hier trafen sich Dirtbiker und 4x4 Fahrer, für die gab es auch alle möglichen Strecken. Aber für klassische Autorennen? Dafür musste man in die großen Städte. Überhaupt, alle erfolgreichen Rennfahrer fuhren bereits als Kinder Kartrennen und wuchsen mit diesem Sport auf.
Es gab einfach keinen Ort, wo man hingehen konnte und sagen: „Hey, ich möchte Rennfahrer werden.“
Soweit war sich Lee darüber klar, und er konnte akzeptieren, dass er niemals Rennen fahren sollte. Aber der andere Punkt war, dass er unheimlich an seiner Stadt hing. Er wollte nicht weg aus Butterflycreek County, nicht einmal aus seiner Heimatstadt.
Allerdings die Frage war nur, was er in dieser Stadt anstellen sollte. Es gab nicht gerade einen Mangel an Arbeit, aber er war nicht in einen Betrieb geboren, den er einfach eines Tages übernehmen sollte. Was konnte man in einer Kleinstadt werden? In Wyoming eigentlich eine ganze Menge. Jedes County hatte sein Krankenhaus, seine Verwaltung, und alles was so dazu gehörte. Lee hatte die nötigen Noten um Medizin zu studieren, wenn er nur wollte. Oder Jura.
Aber er fand noch immer nichts, was ihn faszinierte. Er schüttelte etwas frustriert den Kopf. Es war immer dasselbe.
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Ein merkwürdiges Geräusch ließ ihn auffahren. Irgendwas an seinem Auto stimmte nicht. Der Motor sollte ganz und gar sauber laufen, und er konnte die geringste Ungenauigkeit hören.
Bevor die Geräusche schlimmer wurden, hielt er lieber an. Er fuhr an den Rand und stellte sein Auto ab.
Harry wird sich freuen, dachte er. Harry war ein guter Freund von Lee, der auf einer Farm außerhalb der Stadt lebte und für seinen Truck einen Hänger besaß, auf den man Autos laden konnte.
Es kam nicht oft vor, das Harry ihn abschleppen musste, aber wenn es vorkam, dann zu unmöglichen Tageszeiten. Samstagabends um neun zum Beispiel.
Lee fuhr in seine Tasche und machte ein gequältes Gesicht. Hatte er doch tatsächlich sein Handy auf seinem Schreibtisch liegen gelassen.
Er blickte die Straße rauf und runter. Samstagabends war die kleine Straße, die nicht mehr verband als ein paar abgelegene Höfe, nicht gerade viel befahren. Es sei denn, jemand kam von Highway und wollte nach Perlington.
Aber Perlington war auch für wyominger Verhältnisse eine sehr kleine Stadt. Die Einwohner fragten sich seit Jahren, wann man ihnen die Verwaltung abnehmen und sie irgendwo eingemeinden würden, zwecks Einsparungen. Inzwischen war man sich fast einig, dass das dafür nötige Dokument wahrscheinlich hinter irgendeinen Schrank gerutscht war und damit auch in den überarbeiteten Gehirnen der Bürokraten verloren gegangen war. Aber in Perlington störte sich keiner daran.
Umso überraschter war Lee, als er von Highway her ein Auto kommen hörte. Er starrte in die Ferne, doch sein Mut wurde kleiner als er das Fahrzeug erkennen konnte.
Es war ein kleiner Zweisitzer, exotisch, ein Europäer. Er brauchte einen Augenblick, um einzuordnen, was er dort sah. Audi TT.
Audis gehören zu den selteneren Gefährten auf Amerikas Straßen, und in Wyoming sah man sieh erst recht nicht häufig.
Sie waren teuer und nicht besonders bekannt. Aber wer einen Audi Flitzer fuhr, der hielt sicher nicht an, um irgendwem zu helfen. Lee winkte trotzdem heftig, und zu seinem Erstaunen wurde das Fahrzeug wirklich langsamer und hielt an.
Es dauerte einen kleinen Moment, bis sich die Tür öffnete.