Version 2
Kapitel 0
München, 07.04.2050
„Was jetzt?“
Tomashs Augen huschten hin und her, beobachteten und analysierten.
Die Gruppe um ihn, Christin und Manfred war vor ein paar Stunden mitten im bayerischen Wald abgesetzt worden. Man hatte ihnen gesagt, dass sie sich zum nächsten Haus durchschlagen und dann eine bestimmte Nummer wählen sollten. Es hatte sich nach einem einfachen Test angehört, doch schon nach einer viertel Stunde war ihnen bewusst geworden, dass dies hier ein Testgelände war. Mit höchster Wahrscheinlichkeit eines vom Genetischen Sicherheitsdienst. Einer Organisation, die metaphysisch begabte Wesen schulte, um sie in die menschliche Gesellschaft zu integrieren. So zumindest die offizielle Verlautbarung. Inoffiziell war der GSD dafür Verantwortlich, dass die Metas nicht außer Kontrolle gerieten. Also suchte er nach Metas, um aus ihnen Agenten zu machen, die ihresgleichen jagten. Allerdings hatte auch das Militär und die öffentliche Sicherheit Interesse an Metas. Erstere, um sie gegen feindliche Mächte einzusetzen; letztere, um Verbrecher dingfest zu machen.
„Rücken an Rücken.“
Manfred hatte die feindlichen Agenten als erstes gewittert. Als ein Wilder besaß Manfred die Fähigkeiten eines Tieres. Eines so genannten Totems. Seines war der Wolf. Die Fähigkeiten eines Metas waren in mehrere Stufen unterteilt. Die erste hatte Manfred bereits gemeistert: Das Nutzen seiner tierischen Instinkte als Mensch. Auch die zweite Stufe, das Verwandeln einzelner Körperteile, hatte er schon gut drauf. Auch die nächsten Stufen, das Verwandeln in einen Wolf und Werwolf, wollte Manfred meistern.
„Ich wittere drei Gegner. Counterparts.“
„Häh?“ Christin machte ein fragendes Gesicht.
„Einer riecht nach Ozon, einer nach Asche und der Dritte nach einem Fuchs.“
Tomash fasste Manfreds Worte für Christin neu zusammen. „Wahrscheinlich ein Feuerelementar, ein Elektroelementar und ein Wilder.“
Jetzt ging auch Christin ein Licht auf. „Ihr meint, dass man Gegner ausgewählt hat, die unseren Fähigkeiten entsprechen?“
„Vielleicht.“ Manfred schien davon aber nicht überzeugt zu sein. „Eventuell sind sie auch besser als wir. Das hier scheint mir eine Herausforderung zu sein.“
„Man will uns testen.“ Tomash sah sich auf der Lichtung um und wartete, bis sich einer der Gegner zeigte.
„Dann sollten wir zusehen, dass wir bestehen.“
Christin kniff die Augen zusammen und versuchte etwas in der Dunkelheit zu erkennen. Ihre Augen leuchteten hellblau auf, als sie ihre Kräfte anwandte.
„Ich kann zwei Gegner ausmachen. Die bioelektrische Aura des Dritten entzieht sich mir. Anscheinend tarnt er sie.“ Das Mädchen mit den blonden Haaren deutete zu Tomash. „Ich schätze, er kommt von dort.“
Auch Tomashs Augen leuchteten rot auf. „Das Selbe bei mir. Ich kann zwei Hitzesignaturen von Personen wahrnehmen. Aber das Loch ist diesmal bei Manfred.“
„Dann bin ich wohl der Einzige, der alle drei wahrnehmen kann.“ Manfred benutzte seinen Geruchssinn, um den Fuchs aufzuspüren. „Der Fuchs nähert sich Christin. Aber ich frage mich, wieso er seinen Geruch nicht mit etwas anderem überdeckt oder sich entgegen der Windrichtung nähert.“
„Eine Falle?“ Tomash war nervös.
„Möglich.“ Christin konzentrierte sich und sammelte elektrische Energie an ihren Fingerspitzen. „Aber wir sind bereits umzingelt. Worin sollte also die Falle bestehen?“
„Vielleicht sind es andere Schüler.“ Manfred begann zu flüstern.
Tomash tat es ihm gleich. „Egal wer sie sind, unsere Aufgabe besteht darin zu einem Haus zu gelangen und eine Nummer zu wählen.“
Alle nickten. Sekunden der Stille vergingen, in denen jeder darauf wartete, dass etwas passierte. Doch der Gegner ließ sich Zeit.
„Ich hab eine Idee.“ Manfred erläuterte sie kurz. „Zwei unserer Gegner können ihre Signatur tarnen.“
„Aber nur für seinen Gegenspieler.“ Der Einwurf kam von Christin.
„Richtig. Könnt ihr beide das mit uns machen? Christin, du unsere EM-Felder tarnen und Tomash, du unsere Hitze-Signaturen? Dann wären wir für zwei komplett unsichtbar und könnten als erstes den Wilden ausschalten.“
„Die Idee ist genial.“ Tomash war hellauf begeistert, aber seine Euphorie verschwand so schnell wieder, wie sie gekommen war. „Ich kann allerdings nur meine Hitzeabgabe regulieren.“
Christin schloss sich Tomash an. Sie hatte nie trainiert anderer Lebewesen Auren zu tarnen, nur ihre eigene.
„Allerdings könnte ich, wenn ich euch berühre, eure Auren synchronisieren.“
Tomash dachte nach. „Eine Gleichschaltung? Das könnte ich mit unserer Körperwärme vielleicht auch hinbekommen. Aber dazu müsste ich ebenfalls Körperkontakt herstellen.“
„Damit dürften wir als eine Person erscheinen.“ Manfreds Plan veränderte sich kaum. „Am Besten wäre es, wenn ihr meine Signaturen übernehmt.“
Tomash und Christin nickten. Manfred bedeutete beiden, dass sie beginnen sollten.
Der Fuchs blieb plötzlich stehen. Etwas hatte sich verändert. Er horchte. Seine Kollegen waren stehen geblieben. Da es galt Funkstille zu wahren, auf diese Distanz konnte der Wolf schon mithören, schnupperte er. Die Witterung der drei Schüler war noch immer vorhanden, aber etwas war anders. Seine Augen wurden gelb geschlitzt, als er seine Fuchssicht benutzte. Er konnte nur noch mehr den Umriss von einem Zielobjekt ausmachen. Und eben jenes bewegte sich nun auf ihn zu. Aber was war mit den anderen beiden geschehen? Der Fuchs mutmaßte, dass auch seine beiden Kollegen das selbe Phänomen vor sich hatten. Der Fuchs fand es interessant, dass die Schüler bereits solch einen Trick auf Lager hatten. Vielleicht würde dieser Test doch noch interessant werden. Auch wenn er nicht glaubte, dass sie ihn bestehen würden. Zumindest nicht beim ersten Mal. Denn er wurde noch nie beim ersten Versuch geschlagen.
Ein Knacken brachte den Fuchs wieder in die Realität. Er war auf der Hut und ließ seine Fingernägel zu Krallen werden. Der Geruch der drei Schüler näherte sich ihm, doch noch immer konnte er nur einen von ihnen ausmachen. Er verstand und grinste. Sie hatten ihren Trick durchschaut und wandten ihn nun gegen sie an. Ein nicht dummer Zug. Aber nicht gut genug, um den Fuchs zu besiegen. Doch eines störte ihn. Der Geruch der drei kam aus der Richtung der Person, die sich ihm näherte. Das war eindeutig der Wolf. Sein Geruch war stärker als der der anderen. Doch wo waren der Feuerelementar und die Blitznutzerin?
Behutsam schlich sich der Fuchs vorwärts. Ging nicht gerade, sondern schlug Haken und versuchte das verwirrende Detail ausfindig zu machen. Dann schien ihm die Lösung zu zufliegen. Sie gehen dicht hintereinander!
Der Fuchs wollte seine Kollegen per Funk benachrichtigen, aber es drang nichts als Statik heraus. Als seine Haare anfingen sich aufzustellen, wusste er, dass die Blitznutzerin ein elektrostatisches Feld erzeugt hatte, das kein Funk durchdringen konnte.
Plötzlich wurde der Fuchs von den Füßen gerissen, als etwas gegen seine Brust traf. Er spürte eine Wunde und roch sein eigenes Blut. Knurrend kam er auf alle Viere und sah den Wolf vor sich. Aber er spürte auch noch die Elektrostatik und eine immer größer werdende Hitze. Die Chancen standen schlecht für ihn, doch es war nicht unmöglich zu gewinnen. Er musste nur so lange durchhalten, bis seine Kameraden zu ihm stießen.
Ohne zu überlegen verwandelte sich der Mann in ein Werfuchs. Dabei zerriss seine Kleidung. Mit der Geschicklichkeit seines Totems wich er den Angriffen seiner Gegner aus. Er nutzte Bäume und kleine Felsen als Deckung, sprang zwischen ihnen hin und her oder kletterte an ihnen hoch. Blitze zucken an ihm vorbei, genauso wie Feuerbälle. Er hörte, wie sich der Wolf an ihn heran schlich, aber auch wie seine Kollegen auf den Kampfort zu preschten.
Nur noch ein paar Sekunden und wir haben die Oberhand!
Als Christin sah, wie sich der Mann mit den roten Haaren in einen Werfuchs verwandelte, hatte sie alle Mühe, ihre Blase daran zu hindern sich zu entleeren. Zwar hatte sie schon in Filmen gesehen, wie sich Wilde in ihre Totems oder Wergestalten verwandelten, aber das in der Realität zu erleben, noch dazu aus wenigen Metern Entfernung, war etwas vollkommen anderes.
Mit einem Seitenblick auf Tomash, kam wieder etwas Ruhe in Christin. Er schien die Verwandlung des GSD-Agenten - um jemand anderes konnte es sich für Christin nicht handeln, da der Mann einfach zu alt war, um als Schüler durch zu gehen und er zudem noch seine Fähigkeiten so gut beherrschte - seelenruhig hinzunehmen und auf den richtigen Augenblick zum Handeln zu warten.
Wann auch immer Christin Tomash ansah oder an ihn dachte, bekam sie am ganzen Körper ein Kribbeln, das sie auch jetzt spürte. Doch als es immer intensiver, ja schmerzhaft wurde, war ihr klar, dass sie in ihrer Aufmerksamkeit nachgelassen hatte. Schnell baute sie einen elektromagnetischen Schild auf und nahm die Situation in sich auf.
Der gegnerische Blitzelementar war auf dem Weg zu ihr und hatte bereits begonnen die Teilchen in der Luft zu ionisieren. Christin glaubte, dass er damit erreichen wollte, dass seine energetischen Entladungen mehr Schaden anrichten würden und zugleich auf mehrere Gegner überspringen könnten. Allerdings würde er damit auch seinen Kampfgefährten gefährden, sofern der Blitzelementar nicht seine Entladungen kontrollieren konnte. Christin machte es Kopfschmerzen all die Möglichkeiten zu bedenken. Sie wusste, dass sie nicht dafür geeignet war als Gruppenleiter zu agieren. Tomash war dafür besser geeignet. Er konnte von Natur aus Dinge mit einer Geschwindigkeit erfassen, die für Christin geradezu metaphysisch war.
Anstatt all die Möglichkeiten zu bedenken, die ihr Gegner machen könnte und was diese anrichten oder für Folgen haben könnten, ging sie zum direkten Gegenangriff über.
Die Energien in Christins Fingerspitzen ließ sie auf ihren Gegner zuzucken, der sie mit einer Handbewegung wegwischte. Als Antwort erhielt das Mädchen mit den blonden Haaren und blauen Augen einen gewaltigen Blitz, der direkt in ihren EM-Schild einschlug und sie von den Füßen riss. Der Schild platzte in einem Funkenregen und Christin fand sich auf dem Boden wieder. Kurz bevor sie durch einen großen Elektroschock das Bewusstsein verlor, sah sie, wie der Feuerelementar in das Geschehen eingriff.
Tomash wusste, dass Wilde grundsätzlich eine Abneigung gegen Elementare hatten. Dies war darin begründet, dass Tiere sich vor den Naturgewalten fürchteten. Darin versuchte er nun einen Vorteil zu ziehen. Während sich Christin um ihren Gegenspieler kümmerte, konnten Manfred und er sich um den Werfuchs kümmern.
Während Manfred seine Fingernägel zu Krallen werden ließ und seine Zähne zu einem Raubtiergebiss, deckte Tomash den Werfuchs mit Feuerbällen ein. Dass dabei der Wald langsam anfing zu brennen, bemerkte er. Tomash versuchte deshalb eine Schneise zwischen dem Wald und der Lichtung zu ziehen, um dem Fuchs keine Möglichkeit mehr zu geben hinter Felsen Deckung zu suchen oder an Bäumen hoch zu klettern.
Doch der Fuchs schien das zu bemerken, denn er brachte immer öfters Manfred oder Christin in die Schusslinie. Tomash hingegen bemerkte, dass der gegnerische Feuerelementar versuchte den Brand einzudämmen. Da das gegnerische Team also darauf bedacht war Kollateralschäden so gering wie möglich zu halten, setzte Tomash genau zum Gegenteil an. Mit einem Reigen aus Feuer verursachte er viele neue Brände, aber darauf bedacht keinen seiner eigenen Teamkameraden zu treffen.
Als er kurz zu Christin blickte, bemerkte Tomash, dass sie bewusstlos war. Vielleicht tat sie aber auch nur so, da Tomash meinte immer wieder Zuckungen wahrzunehmen. Nichts desto trotz machte er sich große Sorgen um Christin und wäre am liebsten zu ihr geeilt. Seine Aufmerksamkeit ging jedoch rasch wieder zu Manfred über, als Tomash lautes Geheul und das Knacken von Ästen hörte.
Beide, der Fuchs und Manfred, waren in ein Glutnest gefallen und rollten sich darin herum. Tomash kam dabei ein zündende Idee - im wahrsten Sinne des Wortes. Da das Fell des Fuches bereits kokelte und sich hier und da noch Glutreste darin befanden, konzentrierte sich Tomash darauf diese wieder anzuheizen. Von einer Sekunde zur anderen loderten die Flammen wieder auf und der Fuchs brannte. Ein Jaulen ging durch den Wald und ließ alle zusammen zucken, als der Fuchs vor Schmerz heulte. Manfred nutzte seine Chance und trieb seine Krallen tief in den Körper des Gegners. Blut floss und als ein elektrischer Schlag den Fuchs traf, brach er zusammen.
Tomash sah zu Christin, die am Boden lag und angestrengt lächelte. Doch an ihren Augen erkannte er, dass er auf der Hut sein musste. Just in diesem Moment traf ihn und Manfred ein Blitz, der sie beide von den Füßen riss und die Sinne schwinden ließ.
Während der Feuerelementar den in Flammen stehenden Fuchs löschte und auch die anderen Brandherde zum vergehen brachte, bereitete der Elektroelementar seinen nächsten Angriff vor. Tomash hörte das Knistern von elektrostatisch geladener Luft und spürte, wie ihm all seine Haare zu Berge standen. Mit einem Blick nach rechts sah er, dass sich Manfred nur schwer von diesem Angriff erholte. Tomash selbst hingegen bekam seine Sinne mit purer Willenskraft schnell wieder unter Kontrolle.
Als Christin sah, wie der gegnerische Elektroelementar zu einem neuen Angriff ansetzte, nutzte sie dessen freigesetzte Elektrostatik, um sich selbst wieder aufzuladen. Als sie genügend Energie gesammelt hatte, riss sie sich zusammen, lehnte an einen Baum und entließ die geballte Energie in den Rücken des Feuerelementars. Dieser brach mit einem Schrei zusammen.
Der Elektroelementar wirbelte herum und entließ dabei eine Sphäre aus purer Elektrostatik. Diese hatte auf Manfred die größte Wirkung. Er heulte auf und brach besinnungslos zusammen. Christin selbst konnte die auftreffende Energie absorbieren und in ihre eigene umwandeln. Tomash hatte noch mit dem zweiten Angriff zu kämpfen, rappelte sich jedoch schnell auf.
Obwohl sie wusste, dass es ein Fehler war, humpelte sie auf Tomash zu. Wäre sie dort geblieben wo sie war, hätte der andere Elektroelementar sich auf zwei Seiten konzentrieren müssen, von denen Angriffe kamen. Doch so musste er nur einen Angriff von Vorne befürchten.
„Tomash.“
Christins geflüstertes Wort belebten den jungen Mann schneller wieder, als es jedes Erste Hilfe Kit nicht machen konnte. Zwar bemerkte sie seinen missbilligendem Blick, konnte jedoch nichts dagegen machen, dass sie sich um ihn sorgte.
„Gemeinsam.“
Das war sein einziges Wort und Christin wusste sofort, was er von ihr wollte. Sie setzte sich hinter ihm und ließ ihn an sich lehnen. Obwohl es in dieser Situation völlig unangebracht war, reagierte ihr Körper auf den seinen. Sie ignorierte es so gut so konnte und leitete ihre letzten Energiereserven in ihre Hände, die sie mit denen von Tomash verschränkt hatte. Auch er tat dasselbe. Ihrer beider Energien interagierten miteinander und kreierten beim Abfeuern ein neues Element: Plasma.
Überrascht von dem Kombinationsangriff wurde der Agent des GSD mehrere Meter weit durch die Luft geschleudert und blieb dann regungslos liegen.
SIEG! Beide dachten das gleiche. Dann machten sie sich auf, ihren Kameraden zu verarzten und die drei Agenten zu fesseln. Zwar würden sie sich durch ihre Kräfte rasch befreien können, aber jede Sekunde zählte.
Obwohl Manfred schwerer verletzt war als Tomash und Christin, zog er es vor alleine vorzugehen und den Weg auszukundschaften. In der Ferne glomm ein schwaches Licht und der Duft von verbrennendem Holz und Ruß war schwach wahrzunehmen. Wahrscheinlich handelte es sich um ein Haus.
Tomash und Christin stützen sich gegenseitig, als sie dem schmalen Pfad folgten, den Manfred ihnen hinterlassen hatte. Beide sagten nichts, sahen sich nur gegenseitig an und versuchten herauszufinden, was der jeweils anderen dachte. Doch beide waren völlig unerfahren, was das Thema Romantik und Beziehungen anging. Der GSD ließ einem keine Zeit, für solche Gedanken. Zudem wurden die Partnerschaften vom Genetischen Sicherheitsdienst arrangiert. Dabei ging es aber nicht um Liebe, sondern um die Erhaltung der Metalinie oder der Schaffung von noch mächtigeren Metas.
Das sich Christin und Tomash schon von klein auf kannten und sie wegen ihm auch vom GSD geschnappt wurde - sie war das kleine Mädchen, weswegen er den Hügel hinab gerollt war und deswegen hatte sie damals versucht die Männer in schwarz aufzuhalten -, mochte wohl dazu beitragen, dass sich das Band zwischen ihnen immer feiner geworden war.
Manfred kam zurück und er war sichtlich außer Atem. Verkrustetes Blut bedeckte seinen Kopf und andere Körperstellen. Manche Wunden bluteten immer noch, doch Manfred winke ab.
„Wir Wilden haben eine erhöhte Regenerationsrate. Unsere Wunden heilen schneller, als die von anderen Metas oder gar Menschen.“
Nichts desto trotz war allen dreien klar, dass Manfred eine ärztliche Behandlung benötigte. Auch wenn er vielleicht nicht sterben würde, so konnten die Verletzungen doch etwas übrig lassen. Etwa, dass er nicht mehr richtig gehen konnte oder sein Arm steif wurde.
Man hatte sie ohne große Ausrüstung in diesen Test geschickt und alles was sie dabei gehabt hatten, ein paar Mullbinden und diverse Salben, hatte in ihre Taschen gepasst und waren nun verbraucht.
Jetzt, da sich der Tag verabschiedet hatte und die Nacht hereingebrochen war, wurde der Weg vor ihnen nur durch die Sterne des klaren Himmels erhellt. Obwohl es nicht besonders gut um sie stand, würdigten sie die Schönheit der Natur. Der Moment wurde von einem erstickten Schrei unterbrochen, als eine alte Dame ihnen über den Weg lief und sie sah.
„Ach du meine Güte!“ Sie hob ihre Hände und bedeckte dabei fast ihr Gesicht. „Was ist nur mit euch Kindern geschehen?“
Das Haus, das sie aus der Ferne gesehen hatten, war nun schon fast zum Greifen nah. Tomash nutzte Die Gelegenheit und sprach die Frau an.
„Dürften wir bitte telefonieren? Wir hatten … keinen guten Tag.“
Die Dame hatte Reisig auf ihren Rücken gebunden und bejahte Tomashs Frage. Das er nicht genau sagte, was passiert war, schien sie schon wieder vergessen zu haben. Zu stark war wohl der Drang helfen zu wollen.
Als sie das Haus erreichten, setzte Tomash den Anruf ab, während die alte Frau warmes Wasser für ein Bad einlaufen ließ, das alle drei genießen sollten. Da es zwei Badezimmer gab, trennten sich die Geschlechter. Kurz bedauerte es Tomash, dass er nicht mit Christin ein Bad nehmen konnte, doch er vertrieb den Gedanken sofort wieder. Nicht aber, ohne sich selbst zu fragen, was Christin von dieser Idee halten würde.
Mehr als eine Stunde war vergangen, in der sich die drei Metas von Blut, Dreck und Staub befreiten. Sie genossen die wohlige Wärme des Wassers und wären auch fast eingeschlafen, wenn nicht immer die Hausbesitzerin gekommen wäre und gefragt hätte, ob sie denn noch etwas brauchten.
Als Tomash und Manfred fertig waren und ihre alte - und ziemlich lädierte - Kleidung anlegten, war Christin bereits mit der alten Dame in der Küche und bereitete mit ihr etwas zu Essen vor. Erst jetzt bemerkten die beiden Jungen, dass sie Hunger hatten. Ihre Mägen knurrten und auch der von Christin gab entsprechende Geräusche von sich.
Alle vier halfen zusammen und es entwickelte sich ein Gespräch, in dem Tomash die meisten Antworten gab. Sofern es möglich war, blieb er nahe bei der Wahrheit, doch dass sie Metas waren, verheimlichte er. Nicht, dass er befürchtete, dass die alte Dame einen Herzinfarkt bekommen würde, doch er wollte den Eindruck von verirrten Kindern, die einem Waldbrand entkommen waren, aufrecht erhalten.
„In letzter Zeit war es immer so heiß und da es nicht geregnet hat, war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis so was passieren würde.“
Die alte Dame hatte sich als Emma vorgestellt und ihr gehörte tatsächlich das Haus. Doch ihre Familie war schon lange tot oder weggezogen. So, dass sie nun alleine und einsam hier wohnte.
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass daran die Jungen aus dem Dorf schuld sind.“ Emma deutete aus dem Küchenfenster auf eine Siedlung, die vielleicht einen Kilometer entfernt war. „Sie schleichen sich immer in den Wald, um heimlich zu rauchen und trinken. Bestimmt haben sie ihre Zigaretten nicht richtig ausgedrückt.“
„Oder die Flaschen zerbrochen.“ Der Einwurf kam von Christin und sie kassierte von Tomash dafür ein wohlwollendes Lächeln, das sie leicht erröten ließ. „Die wirken ja wie Verstärker für die Sonnenstrahlen.“
Es entwickelte sich ein Gespräch über Lupen, Brillen und andere Sehhilfen. Vor allem die alten Dame erzählte viel. Es dauerte nicht lange, da war Manfred der erste, der eingeschlafen war. Auch Tomash und Christin gähnten herzhaft. Emma hatte in einem offenen Kamin, der fast die ganze Wand des Wohnzimmers einnahm, eingeheizt. Manfred machte sich nicht erst groß die Mühe das Gästebett zu benutzen und legte sich stattdessen auf den Boden. Fast sofort begann er zu Schnarchen. Tomash zog am Fußende des Sofas und verwandelte es somit in besagtes Gästebett. Als Emma ihnen Decken brachte, schlief Christin bereits. Tomash deckte zuerst Manfred zu und dann Christin. Er wollte schon in einem alten Sessel sich zur Ruhe begeben, als Christins Beine sich um die seinen schlangen. Er blickte zu ihr hinab und lächelte. Sie zu beobachten gefiel ihm. Vor allem ihr Blubbern fand er süß.
Als sich Tomash neben Christin setzte, schlang sie sofort ihre Arme um seine Taille. Ein Kribbeln begann sich in Tomashs Bauch breit zu machen, doch er war so müde, dass er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Er legte sich neben Christin, deckte sich selbst zu und kuschelte sich dann an sie ran.
Sein Schlaf war ruhig, wie schon lange nicht mehr und er träumte angenehm, was selten der Fall war. Meistens suchten ihn Alpträume heim, wie er von seinen Eltern getrennt wurde. Mal holten sie ihn mit dem Auto ab; mal wurden seine Eltern ermordet; ein andermal kam er selbst dabei um, als er versuchte Mutter und Vater zu retten.
Tomash wachte mit einem Lächeln auf und als er Christins Gesicht ganz nahe sah, ihren Duft einatmete, da wurde es immer größer.
„Ah, unser Liebespärchen ist wach.“
Tomash schoss hoch und sah Manfred mit zusammen gekniffenen Augen an.
„Oh, Verzeihung. Habe ich jetzt etwa die Stimmung verdorben?“
Tomash spürte den Drang Manfred zu rösten, überlegte es sich jedoch anders, als Emma das Wohnzimmer betrat. Sie hatte ein Tablett mit Brötchen, Salat, Butter, Tomaten und verschiedenen Wurstsorten dabei.
„Ihr habt fast bis zum Mittag geschlafen.“
Sie stellte das Tablett auf einem Tisch ab und rückte die Stühle zurecht.
„Aber ich dachte mir, dass eure Mägen erst mal was leichtes brauchen.“
Dankend nahm das Trio platz und sie begannen sofort zu essen. Christin fiel dabei auf, dass Manfreds Wunden schon gut verheilt waren. Auch ihre eigenen und die von Tomash sahen nicht mehr so schlimm aus, wie am gestrigen Abend.
Als Christin erwacht war und aufstehen wollte, hatte sie einen Druck auf ihrem Schoß gespürt. Zuerst meinte sie, dass sie auf die Toilette müsste. Doch als sie versuchte aufzustehen, lag Tomash mit seinem Kopf zwischen ihren Beinen. Sofort war sie knallrot angelaufen und hatte versucht sich sanft zu befreien.
Manfred war derweil schon längst wach gewesen und hatte das Haus und die Umgebung erkundet. Wahrscheinlich fragte er sich, wann man sie endlich abholen würde. Oder wo das gegnerische Team war. Ob es denn hier auftauchen würde. Doch in der Umgebung hatte sich nichts getan und Manfred hatte auch keine ungewöhnliche Witterung aufgenommen. Selbst sein sechster Sinn meldete nichts gefährliches.
Als es an der Türe klingelte, öffnete die alte Dame und das Trio erschrak, als sie das gegnerische Team sahen. Doch die drei Männer nickten nur. Sie waren sauber eingekleidet und sie schienen keine Wunden zu haben. Tomash, Christin und Manfred wussten, was das zu bedeuten hatte: Der GSD hatte das gegnerische Team als erstes aufgelesen und sie von einem Meta behandeln lassen, der die Fähigkeit zur Heilung besaß.
Nun waren sie hier, um sie abzuholen. „Herzlichen Glückwunsch. Ihr seid die ersten, die es geschafft haben diese Prüfung sofort zu bestehen.“
Respektvoll machte die alte Dame den drei Männern Platz, die die schwarze Uniform des GSD trugen und an deren linken Brust eine graue Doppelhelix prangte, die dem lateinischen Buchstaben Psi nachempfunden war. Das Logo des Genetischen Sicherheitsdienstes.
Als die Schüler das Haus verließen und auf den Wagen zugingen, der vor dem Haus wartete, bedanken sie sich für die Gastfreundschaft und entschuldigten sich, das sie verschwiegen hatten, dass sie Metas waren.
„Ach was …“ Emma schien deswegen nicht böse zu sein. „… Es ist nicht wichtig was ihr seid, sondern wie ihr damit umgeht.“
Emma winkte dem Auto nach. Selbst dann noch, als sie schon hinter den Wäldern und Hügeln verschwunden waren, stand sie draußen.
Es knackte in ihren Ohren und sie spürte einen leicht drückenden Lufthauch, als sie ein dumpfen Pochen hörte. Als sie sich umdrehte, stand ein Mann mittleren Alters vor ihr. Gekleidet war er wie ein Angestellter. Braune Hose, schwarze Schuhe, ein weißes Hemd unter einem braunem Sakko. Dann sah sie die weiße Rose an seiner rechten Brust.
Ohne Umschweife begann der Mann zu reden. „Und?“
Emma musterte ihn. „Du siehst gut aus.“
„Danke.“ Der Mann drehte sich einmal um die eigene Achse und lächelte. „Die neueste Mode aus der amerikanischen Nordzone.“
„Du kommst so einen weiten Weg, um mich nach den Dreien zu fragen?“
Damit deutete Emma mit dem Daumen hinter sich. Doch der Mann zuckte mit den Schultern.
„Was auch immer mir aufgetragen wird.“
Die alte Dame lächelte und stieg die Treppe zur Haustüre hoch. Der Mann blieb an Ort und Stelle.
„Du kommst nicht mit auf eine Tasse Tee oder Kaffee rein?“
„Leider habe ich nicht so viel Zeit. Von daher wäre ich dir dankbar, wenn du mir nun eine Antwort geben könntest.“
„Der junge Tomash ist vielversprechend. Auch seine Freundin hat Potential.“
„Und der zweite Junge?“
„Ist schon zu tief drinnen.“
Wieder hörte Emma ein Pochen und in ihren Ohren knackte es. Diesmal jedoch war der Lufthauch ziehend. Als sie sich umdrehte, war der Mann verschwunden.
„Teleporter. Ts!“