[RC18] Die Straße des Händlers
Verfasst: Mi 29. Jan 2014, 21:32
Hier nun die bereits bekannten Seiten.
Die Straße des Händlers
Band I - Der schwarze Hering
Kapitel I – Korn, Korn muss man trinken
Es war eine klare Vollmondnacht und Hering stapfte die Straße entlang. Der klebrige Film des Kampfstoffes, der den Asphalt überzog, schmatzte bei jedem Schritt unter seinen Stiefeln. Man sollte meinen, die verlassenen Häuserschluchten der Wohngebiete seien gespenstisch, aber eigentlich hatten sie etwas sehr friedliches.
Es war diesen Winter ziemlich genau zwei Jahre her, dass die Evakuierung eingeleitet wurde. Die Fenster der Plattenbauten waren noch immer Weihnachtlich geschmückt und auf den Parkplätzen standen die Autos in Reih und Glied, als hätte man sie gestern erst dort abgestellt. Schade nur, dass man, wenn man die Maske abnehmen würde, spätestens bei Sonnenaufgang binnen kürzester Zeit zugrunde gehen würde. Es war fraglich wie viele Jahre es noch dauern würde bis sich die Substanz hier und in den anderen Städten endgültig verflüchtigt hätte.
Am Ende der Straße hielt Hering kurz inne und betrachtete seine Karte. Nur noch ca. fünf Kilometer dann hätte er es geschafft. Er bog in eine weitere Straße ein, von nun an ging es Berg auf.
Das Atmen in der stickigen Schutzmaske wurde mit zunehmender Steigung immer anstrengender und die Hitze in der mit Klebeband isolierten Kleidung war, selbst für diese Jahreszeit, enorm. Die Straße zog sich hin und während die umliegenden Gebäude immer weniger wurden begann es zu schneien.
Endlich war die Anhöhe bezwungen und er konnte das Ortsschild sehen. Hier endete Pappeln und es begann Ulmstett, ein kleines Kaff das einst rund 500 Einwohner beherbergte. Immerhin aber, sollte das Gebiet nicht Kontaminiert sein.
Plötzlich stoppte Hering abrupt: Nur wenige Meter hinter dem Ortsschild lag ein Körper am Boden. Der Mann mittleren Alters, der in eine Olivgrüne Windjacke gekleidet, war trug eine bedenklich Schwarz gesprenkelte Feinstaubmaske vor dem Gesicht. Sein Kopf lag in einer Lache aus Matsch, die Pistole noch immer in der nunmehr erstarrten Hand.
Wer mag das arme Schwein wohl gewesen sein und was hat ihn hierher verschlagen? Die Antworten darauf hat er wohl mit sich fort genommen.
Auf jeden Fall scheint er die Pistole ja nicht mehr zu brauchen. Hering beugte sich zu dem Toten herunter und begann sich an selbigem zu schaffen zu machen. Nach einigem Widerstand löste sich die SP22 schließlich aus den steifen Fingern. Ansonsten hatte der dahin-geschiedene außer ein paar Patronen und einer halbwegs brauchbaren Armbahnuhr nichts nennenswertes bei sich.
Hering verstaute das gefledderte Gut in seinem Rucksack und setzte seinen Weg fort.
Während er den Ortseingang durchschritt, fragte er sich woher der Fremde wohl gekommen war. Sein Körper zeigte keine Anzeichen von Verwesung, auch wenn Winter war, konnte er noch nicht lange dort gelegen haben.
Konnte es sein, dass man die Evakuierung bereits aufgehoben hatte? Schließlich waren seit den letzten ersichtlichen Kampfhandlungen beinahe Neun Monate vergangen.
Langsam bewegte sich Hering durch das in Stille versunkene Dorf, der Mondschein erhellte die in Geschmacklosen Farben verputzten Fassaden der an der Hauptstraße aufgereihten Häuser.
Dann hielt er inne und kramte einen Gasdetektor aus seiner Feldjacke. Hering horchte angespannt hin. Nichts geschah, der Detektor gab keinen laut von sich.
Auch wenn sich die Substanz bei dieser Kälte kaum hätte verflüchtigen können, irgendeine Reaktion hätte es geben müssen. Auch sah er weit und breit keine Spur des üblichen klebrigen Films.
Hering fasste sich ein Herz, löste die Haltebänder und zog die Schutzmaske zurück. Gierig sog er die frische Winterluft ein. Nach solch einem Marsch unter der Maske gab es nichts besseres.
Beherzt setzte er seinen Weg fort. Er ging die Hauptstraße entlang und betrachtete die auf beiden Seiten beieinander stehenden Einfamilienhäuser. Alles war unversehrt, nur die Städte wurden mit Chemischen Waffen attackiert. Ein Raketenbeschuss hätte sich in einem solchen Kaff für nichts gelohnt.
Wenn die Armen Schweine gewusst hätten, dass sie, als die gezielten Angriffe auf die Flüchtlingsbunker begannen, hier bei sich Zuhause viel sicherer gewesen wären ... aber wer hätte das schon vorher ahnen können.
Auf jeden Fall würde er diesen Wohnstätten noch einen Besuch abstatten, bevor ihm am Ende noch jemand zuvor kam. Doch für jenen Tag war es genug, Hering wollte einfach nur noch sein neues Domizil erreichen und sich erst einmal so richtig ausschlafen.
Doch als er im Untergeschoss eines der Häuser einen Kiosk sah konnte er einfach nicht widerstehen. Hering hob einen Pflasterstein vom Bürgersteig auf, stieg die wenigen Stufen zur Eingangstür hinauf und zerschlug die große Scheibe der Selbigen damit. Kurz machte er sich Gedanken darüber das ihn jemand gehört haben könnte, aber es war Unwahrscheinlich, dass schon jemand bis hierhin vorgestoßen war. Und selbst wenn, warum sollte man ihn angreifen, schließlich gab es hier Momentan noch von allem reichlich.
Hering betrat den Kiosk und schaltete die kleine Lampe an seiner Brusttasche an. Und siehe da zwischen verstaubten Zeitschrifteinständern sah er es. Das Schnapsregal. Ein Schnapsregal mit Korn und vielen anderen Hochprozentigen Köstlichkeiten.
Er setzte seinen Rucksack ab und steckte jeweils zwei Flaschen Korn und Gin hinein. Während er im Regal neben der Kasse nach Chips mit Käsegeschmack suchte, entdeckte er in der Kassenauslage doch tatsächlich etwas Snus. Der feine Lutschtabak kam in Deutschen Landen erst kurz vor Kriegsausbruch wieder in den Handel und erfreute sich von da an wachsender Beliebtheit.
Wahrlich, ein wertvoller Fund.
Schnell sammelte er die Dosen aus der Auslage und verstaute sie mit den Chips im Rucksack. Nun war er fürs erste Gerüstet.
Nachdem Hering den Kiosk wider verlassen hatte wickelte er sich einen Müsliriegel aus und schritt genüsslich kauend die Straße entlang. Vorbei an verwaisten Kleinwagen, umgefallenen Mülltonnen und den in Ewigkeit festlich geschmückten Fenstern, ging er allmählich auf den Ortsausgang zu.
Kurz nachdem er die letzten Häuser hinter sich gelassen hatte, öffnete er seine Brusttasche, zog ein zusam-mengefaltetes Seidentuch hervor und musterte die zum Vorschein kommende Landkarte.
Das musste es sein: Wenige Meter weiter trat rechter Hand von der Straße eine Kalksteinwand aus der Hügelböschung, an deren Mitte ein kleines abgezäuntes Areal zu sehen war.
Am Tor des 2,5m hohen Maschendrahtzaunes angekom-men fand Hering ein schweres Vorhängeschloss vor, das den Zugang verwehrte.
Er drehte die Zahlenrädchen auf die Kombination 284 und mit einem leisen klicken öffnete sich das Schloss. Hering schlüpfte mit einem Breiten grinsen durch das Tor und verriegelte es von der Innenseite wieder. Wenige Schritte weiter blieb er vor einer massiven Stahltür stehen.
Hier war es also: Objekt 284.
Ein kleiner Notfallbunker der Verteidigungsstreitkräfte.
Hering betrachtete das Eingabefeld welches sich auf einer kleinen Konsole befand, welche neben der Tür in die Wand eingelassen war und nickte gedankenversunken.
Er lehnte sich gegen den Türrahmen, zog sich einen seiner Stiefel aus und entnahm die Einlage. Darunter zum Vorschein kam eine, in die Sohle eingestanzte und mit roter Farbe nachgezeichnete, Zahlenkombination. Das war schon eine geniale Idee.
Wer kann sich schon Ewigkeiten so eine achtzehnstellige Zahl merken und sie dann auch noch in einer Notsituation auf Anhieb parat haben? Doch wie soll man sie am besten mit sich führen, wenn nicht im Kopf? Notizen, Ausrüstung und Kleidung kann man ablegen, ausziehen und verlieren. Es gibt viele Möglichkeiten wie diese Dinge in den Wirren des Kampfes verlustig gehen konnten, doch eine der absolut unwahrscheinlichsten dieser Begebenheiten ist, dass ein Soldat im Einsatz seine Stiefel auszieht und Barfuß weiter geht.
Mit einem Fingertipp aktivierte Hering die Konsole, gab die Kombination ein und bestätigte die Eingabe. Ein grünes Lämpchen blinkte auf und mit einem metallischen klong, klong, klong, klong, glitten die vier schweren Stahlstifte nacheinander in die Tür zurück. Hering betätigte den Öffnungsmechanismus und schob die massive Tür nach innen auf.
Ihm wehte der unangenehme Duft abgestandener Luft entgegen, der Bunker befand sich nicht sonderlich tief im Fels und verfügte über ein ventilationsunabhängiges sekundär-Lüftungssystem, dass man aber -im Fall der Fälle- hydraulisch versiegeln konnte. Praktisch war es aber alle Mal, denn so musste man nicht dauerhaft Strom verschwenden.
Er betätigte den hinter der Tür gelegenen Hebel der Netzanlage und ein dezentes Surren ertönte während sich das Aggregat hoch fuhr. Nach und nach schalteten sich nun die Deckenlichter ein.
Vor ihm erschien ein langer, röhrenförmiger Gang. Hering setzte seinen Rucksack ab, schob ihn mit dem Fuß etwas weiter ins Innere und schloss die Tür hinter sich. Er dachte sich besser gleich als später, zog einen kleinen Schraubenzieher aus seiner Beintasche und machte sich daran die Verkleidung der Schließanlage zu öffnen.
Diese Notanlagen hatten in der Regel alle den gleichen Zugangscode damit die betreffenden Einheiten, egal in welchem Gebiet sie sich gerade befangen, schnellen Zugriff auf die jeweiligen Objekte haben konnten. Hering hatte allerdings wenig Lust sich sein neues Eigenheim mit dem nächst besten, verirrten Soldaten teilen zu müssen.
Den Türcode zu ändern war beinahe lächerlich einfach. Hinter der Abdeckplatte der Schließanlage kam ein simples Eingabefeld zum Vorschein, unter dem sich ein kleines Loch mit der Überschrift „Reset“ befand. Er hatte schon damals bei seiner Einführung als Techniker bemängelt das jeder Zwölfjährige damit seinen Unfug treiben könnte, aber diese dicken Panzertüren sollten nun einmal vor Zugriffen von außen, nicht von innen, schützen.
Nachdem er den Schraubenzieher in das Loch gesteckt hatte, gab der die neue Kombination „82848688“ ein. Das konnte man sich einfach merken und ein Unwissender würde lange brauchen darauf zu kommen, zumal bei jeder Falscheingabe ein Alarmton im Bunkerinneren ertönte.
Nachdem dieser erste Punkt erledigt und die Verkleidung wieder montiert war, machte Hering sich daran die Räumlichkeiten zu erkunden.
Diese Anlage war darauf ausgelegt eine Einheit von bis zu zehn Personen mit Ersatzausrüstung und Munition auszustatten und im Kontaminations-Fall einen Monat, bei strenger Rationierung beinahe zwei Monate lang, komplett mit Nahrung und Trinkwasser zu versorgen.
Für einen Fallout wäre dieser Bunker also kaum geeignet gewesen, aber glücklicher Weise gab hier ja keinen. Obwohl man wohl davon absehen sollte, die im Wald unnatürlich groß wachsenden Pilze zu verzehren.
Links und rechts des Röhrenganges befanden sich die Räume des Bunkers. Als erstes war da linker Hand der Generatorraum in dem sich ein feststehender Diesel-generator befand, welcher an einen mannshohen Heizöltank angeschlossen war.
Neben dem Generator ragte die Speicheranlage auf, von der aus sich die an der Wand verlaufenden Stromkabel durch die Räumlichkeiten zogen. In der Ecke stand, unter einer Plastikplane verborgen, ein mit verschiedenen Anschlüssen versehenes 3kW Notstromaggregat, das im Notfall aber kaum mehr als die Lüftung und die Hälfte der Notbeleuchtung hätte versorgen können.
Dem Generatorraum gegenüber lag das Lager. Hier stapelten sich, in aus Blech zusammen genieteten Regalen Konservendosen, Hartkeks-Rationen und Wasserkanister. Am Ende des Lagerraums befand sich eine Tür welche in einen kleineren Raum führte. In dessen Mitte befand sich eine lange Bank von der aus links und rechts je fünf Spinde standen.
In jedem der Spinde befanden sich ein Kampfanzug, ein paar Stiefel, eine Feldjacke und eine Atemschutzmaske. Unter der Bank fand Hering eine Kiste mit Drei Schutzanzügen, ein echter Glücksfund.
Doch der eigentliche Höhepunkt erwartete ihn am hinteren Ende des Raumes in Form eines Waffenschranks. Aus diesem strahlten ihm vier Fabrikneue G36 Gewehre entgegen neben denen, Ordentlich aufgereiht, vier ebenfalls neuwertige P8 Pistolen in ihren Holstern hingen. Unterhalb der Waffen befanden sich zwei Munitionskisten mit den entsprechenden Kalibern. Für den Anfang war also für ausreichend Schutzmittel gesorgt.
Zurück im Hauptgang ging es weiter zur zweiten Abzweigung. Hier lag linker Hand der Schaltraum in dem sich die Kontrollen für die Belüftungssysteme und Stromanlagen, sowie ein Monitor befanden. Auf besagten Monitor war der kleine umzäunte Vorhof vor dem Bunkereingang zu sehen.
Rechter Hand vom Schaltraum befand sich der Gemeinschafts- und Schlafraum, in dem an jeder Wand zwei Doppelstockbetten und in der Mitte ein Tisch mit drei Stühlen stand. Am ende des Raumes gab es eine kleine Nische die in die Wand eingelassen war, dort befand sich die spartanische Miniatur einer Küchenzeile: Eine einzelne Elektroplatte, ein Waschbecken und ein kleiner Kühlschrank, nicht viel aber Immerhin. In der Welt von Morgen wird ein funktionierender Kühlschrank lange Zeit ein Optimum des Luxus darstellen.
Soweit so gut, nun ging es zur letzten Abzweigung des Bunkers. Hier war zum einen zur Linken das Badezimmer: Zwei Toilettenkabinen und ein großes Waschbecken, Duschen war bei den knapp bemessenen Wasservorräten wohl nicht vorgesehen. Und zu guter Letzt lag rechts das Krankenzimmer.
Der kleine Raum bestand aus nicht viel mehr als einer Liege, einem davor befindlichem Stuhl und einem Arzneischrank. Besagter Schrank entpuppte sich als Goldgrube. Nebst verschiedensten Verbandsmaterialien und Desinfektionsmitteln befand sich dort auch eine solide Auswahl an Medikamenten.
Hering grinste verwegen als ihm eine Schachtel Tramadol ins Auge viel, kurzerhand öffnete er die Packung und steckte sich eine der Rispen in die Hosentasche. Das ist kein Spielzeug, ermahnte sich selbst, ganz abgesehen davon das er damit Sparsam umgehen musste. Als er das Krankenzimmer verließ stellte er zufrieden fest, dass der Bunker somit erkundet war. Nun ging es ans Auspacken.
Hering schulterte seinen am Eingang zurückgelassenen Rücksack, aktivierte im Schaltraum das primäre Lüftungssystem und stellte Zufrieden fest, dass auf dem Monitor nichts zu sehen war, seine Ankunft war scheinbar Unbemerkt geblieben.
Er legte den Rucksack im Gemeinschaftsraum auf die untere Matratze eines der Doppelstockbetten und setzte sich selbst auf das daneben stehende. Langsam wich der abgestandene Mief der durch die Lüftung einströmenden Frischluft.
Das war zwar in gewisser Weise Stromverschwendung, aber das Durchlüften war bitter nötig gewesen.
Er öffnete den Rucksack, kramte eine der Kornflaschen hervor und stand auf. Unter der Spüle der Miniaturküche fand sich Essbesteck, er griff zu einer Blechtasse und goss sich etwas von dem Korn ein.
Hering sog vergnügt den kräftigen Duft ein und nahm einen beherzten Schluck. Herrlich, wie das nostalgische Aroma des Schnapses mit einem leichten Brennen gen Magen zieht. Geht runter wie Öl, dachte er und ließ sich wieder aufs Bett sinken um im Rucksack nach dem Snus zu suchen.
Er schüttete kurzerhand den gesamten Inhalt auf der Matratze aus und so kam nebst der restlichen Schnapsflaschen, den Chips und dem Snus, auch jede Menge des verschiedensten Krams zum Vorschein. Von Drahtseilen mit Karabinern, über Strukturklebeband, Allzweckmessern und einem Ersatzmagazinen, bis hin zu kleinen Wasserflaschen, einem Autoverbandskasten und Unmengen an Schmutzwäsche. Natürlich war da auch noch die SP22, die Kleinkalibrige Sportpistole des toten Unbekannten in der grünen Windjacke, der dort auf der kalten, leeren Straße sein Leben ausgehaucht hatte. Was hatte ihn wohl dazu bewogen sich in den Kopf zu schießen?
Hering steckte sich nachdenklich etwas von der Schwarzen Tabakmasse des Snus in den Mund.
Vielleicht hatte sich der Unglückliche ja vergiftet, die dreckige dunkel gesprenkelte Feinstaubmaske die er trug sah zumindest nicht sonderlich Gesund aus, oder hatte er einfach nur den Verstand verloren? Ob er wohl auch so mutterseelenallein durch die Lande gezogen war? Und wenn nicht, warum hatte man ihn einfach so dort zurückgelassen?
Fragen über Fragen, auf die es ja doch keine Antworten geben würde.
Hering trank die Tasse auf einen Zug leer und goss sich nach.
Eines war jedoch Unbestritten: Der Fremde war da und er war bewaffnet. Und darüber hinaus war er wohl kaum der einzige. Im Gegenteil wenn es stimmte, dass sich die Evakuierungs-Bunker langsam öffneten, dann würde es hier in kürze vor anderen Menschen nur so wimmeln. Schließlich würden die entweder verseuchten, oder ausgebombten Städte kaum bewohnbar sein, und die Überlebenden müssten auf ihrer Suche nach einem Neuanfang auf die kleinen Ortschaften und ländlichen Gebiete zurückgreifen. Das war eine interessante, aber zugleich bedenkliche Tatsache.
Hering spürte beim trinken langsam die Trunkenheit in sich aufkommen und fragte sich, was wohl Sein Neuanfang werden würde. Wo wäre sein Platz in der neuen Welt? Immerhin hatte er diesen Bunker, die Ausrüstung und fürs erste genügend Vorräte. Alles andere würde sich mit der Zeit von selbst ergeben. Hering Gähnte, entledigte sich ungelenk seiner Stiefel und schlief kurz darauf vor Trunkenheit und Erschöpfung ein.
Am darauffolgenden Morgen erwachte Hering mit einem schweren Kopf. Er wuchtete sich hoch und bemerkte, dass er bei voller Beleuchtung eingeschlafen war, und das in voller Montur. Er sah an sich herab und konstatierte das er wirklich erbärmlich stank. Mit der zu drei Vierteln leeren Kornflasche schlurfte er ins Badezimmer.
Nachdem er seine Blase entleert hatte, stellte er sich vor das große Edelstahlwaschbecken und nahm einen Schluck aus der Flasche. Der Korn schmeckte weich und abgestanden, er hatte wohl vergangene Nacht vergessen den Deckel darauf zu schrauben. Als er den Hahn betätigte begann sich das Becken mit wohlig warmen Wasser zu füllen, gedankenverloren betrachtete er den stetig steigenden Pegel und entleerte dabei den restlichen Flascheninhalt.
Erleichtert wusch er sich mittels eines am Beckenrand aufgefundenen Stück Kernseife den Dreck der letzten Tage vom Körper. Dabei musste er das rasch Schwarz werdende Wasser zweimal auswechseln. Als er endlich Sauber war, tapste er immer noch unbekleidet und frierend über den Gang in den, hinter dem Lager befindlichen Umkleideraum, öffnete einen der Spinde und kleidete sich in frische Sachen. Der Kampfanzug war bequem und die Stiefel passten, was wollte man mehr. Zufrieden nahm er sich auf dem Rückweg aus Lager einen Kanister Wasser und etwas zu Essen mit.
Wieder im Wohnquartier angekommen, setzte er sich an den Tisch, öffnete den Schraubverschluss des Kanisters und begann wie ein Pferd daraus zu trinken. Das Wasser rann ihm durch seinen Bart am Hals hinunter bis er sich schließlich verschluckte und den Kanister hustend absetzte. Erleichtert machte er sich daran eine Fleischkonserve zu öffnen. Das Wasser hatte ihm gut getan. Seine Zunge hatte sich bereits wie ein trockener Schwamm angefühlt. Beim Essgeschirr unter der Spüle fand sich ein Aluminiumlöffel mit dem er begann, sich das eingemachte Schweinefleisch gierig in den Mund zu schaufeln.
Es stellte sich nun die Frage was als nächstes zu tun war. Am besten wäre es wohl, als erstes die nähere Umgebung zu erkunden und sich ein Bild von seiner neuen Heimat zu machen. Nachdenklich griff er nach einem Hartkeks.
Nachdem er sein herzhaftes Frühstück beendet hatte, raffte er sich auf, zog unter dem Kram aus seinem Rucksack einen kleinen Flachmann hervor, befüllte diesen mit etwas Gin und verstaute ihn in der Brusttasche seines Kampfanzuges. Anschließend legte er seine Ausrüstung an: er schob sein Kampfmesser in den Gürtel, steckte sich Gasdetektor und Landkarte ein, legte eines der P8 Holster an und hängte sich eine G36 um. Schlussendlich nahm er den leeren Rucksack und setzte sich die Gasmaske auf, jedoch ohne sie übers Gesicht zu ziehen. Gut gerüstet schaltete er auf dem Weg nach draußen die Lüftung in den Sekundärmodus und die Lichter bis auf die Notbeleuchtung aus.
Als er den Bunker verließ fragte er sich, warum er sich eigentlich so gut bewaffnet hatte, wovor hatte er Angst?
Er wusste es nicht, aber die Waffen gaben ihm einfach ein Gefühl der Sicherheit und schließlich wusste man ja nie…
Kapitel II – Noch einen zum Mitnehmen bitte.
Draußen vor dem Bunker war es kalt. Der Schnee von letzter Nacht war liegen geblieben und nach dem Stand der Sonne zu urteilen war es gegen Mittag. Er hätte die kürzlich erbeutete Armbanduhr mitnehmen sollen und gegen einen Schaal wäre auch nichts einzuwenden gewesen. Er verschloss hinter sich Bunker und Zauntor und machte sich auf den Weg.
Wenn ihn nicht alles täuschte lag einen knappen Kilometer weiter eine kleine Tankstelle, diese erschien ihm fürs Erste interessanter als die Häuser der Ortschaft.
Er ging die verschneite Straße entlang, vorbei an gefrorenen Äckern und der leicht bewaldeten Straßenböschung, bis nach zirka zwanzig Minuten gemütlichen Marsches, in einer leichten Kurve, die Tankstelle zum Vorschein kam.
Es handelte sich um eine dieser Noname Tankstellen die des Nachts nicht geöffnet hatten und vornehmlich in weniger befahrenen Gebieten zu finden waren.
Bei näherer Betrachtung stellte Hering fest, dass er wohl nicht der erste war der der Tanke einen Besuch abstattete. Eine der Schiebetüren war eingeschlagen. Hering nahm das Gewehr in Anschlag und trat über die knirschenden Scherben in den Eingang. Der Verkaufsraum bot ein wüstes Bild und ein Großteil der Regale war leer.
Vor dem Kühlregal lagen mehrere zerschmissene Flaschen in einer übelriechenden Pfütze, die früher wohl einmal guter Gerstensaft gewesen war. Scheinbar hatte hier jemand vor kurzem festgestellt, dass drei Jahre altes Flaschenbier nicht gerade ein Hochgenuss war.
Das hinter dem Tresen befindliche Tabakregal war grob und scheinbar in Eile ausgeräumt, die Kasse hingegen mit Mühe aufgestemmt worden. Es war fraglich wer die Leuchten waren welche die Hälfte der Zigaretten dagelassen, das Altpapier aber sorgfältig geborgen hatten.
Hering dachte nicht daran den gleichen Fehler zu begehen und begann die kleinen Schachteln in den Rucksack zu schichten. Er rauchte zwar nicht, aber die Glimmstängel würden in Zukunft wohl nicht mehr werden, man war also nicht schlecht damit beraten welche zu besitzen.
Als der Rucksack schließlich zur Hälfte gefüllt war, setzte er ihn wieder auf und ging hinüber zum Dienstraum. Dieser bot kein weniger wüstes Bild als der Verkaufsraum. Der Boden war von Papieren, heraus gezogenen Schubladen und dem verschiedensten Büromaterial bedeckt. Neben dem Schreibtisch, in den all dies scheinbar einmal gehörte, stand ein kleiner aber massiver Bodensafe, der wohl das Ziel des Aufwandes war. Den vielen scharten rund um den Schließmechanismus des immer noch verschlossenen Apparates nach zu urteilen, war das Unterfangen nicht sonderlich von Erfolg gekrönt gewesen.
Ansonsten war der Raum bis auf ein paar verwendbare Kugelschreiber nicht sonderlich interessant.
Hering entnahm der angrenzenden Toilette das dort noch vorhandene Klopapier, denn man konnte in solchen Zeiten nie genug Klopapier haben, und begab sich anschließend zurück in den Verkaufsraum.
Er lehnte sich gegen den Tresen und begutachtete den kleinen Technikaufsteller neben der Kasse:
Billig gemachte Einweghandys, Prepaidkreditkarten, veraltete MP3-Player und jede Menge anderer Ramsch.
Unterhalb des Aufstellers fiel sein Blick auf eine zerwühlte Auslage mit Batterien verschiedenster Art. Er entschied selbige sicherheitshalber mitzunehmen und schob sie grob in den Rucksack. Anschließend steckte er sich doch noch ein paar der MP3-Player ein und ging zum Ausgang.
Beim Testen der Zapfsäulen gab es wie zu erwarten keine Reaktion. Auch wenn sich hier wahrscheinlich noch etliche Hektoliter Treibstoff befanden: ohne Strom, keine Pumpen. Er holte den Flachmann hervor und nahm einen kräftigen Zug. Alles in allem war die Ausbeute ernüchternd, aber was hatte er sich von der Tankstelle erhofft? Stetig am Gin nippend machte er sich auf den Rückweg.
Immerhin war der Gedanke, dass es ja immer noch Sprit gab interessant. Klar, aus den Tanks unter der Tanke wäre er nur schwerlich heraus zu bekommen, aber bei den verwaisten Autos sah das schon ganz anders aus und es war unwahrscheinlich, dass diese alle leer gefahren waren. Er musste an seinen Bunker denken, irgendwann wäre der Heizöltank leer und der Generator funktionierte schließlich nicht mit Luft und Liebe. Vielleicht würde er sich sogar eines dieser Autos fahrtüchtig machen, er hatte zwar nie einen Führerschein besessen, aber das würde jetzt wohl niemanden mehr stören.
Plötzlich hörte er ein blechernes Geräusch, eine Art rasselndes rollen. Rasch steckte er den Flachmann weg und nahm das Gewehr fest in beide Hände. Irgendetwas schob sich da auf ihn zu. Angespannt lauschte er wie das Geräusch langsam um die Straßenbiegung kam.
Und da war es: ein Drahtgestell auf rädern, es war tatsächlich ein Einkaufswagen der da zum Vorschein kam.
Geschoben wurde er von einer jungen Frau in Begleitung eines etwa gleichaltrigen Mannes. Die beiden waren in aufgeplusterte, rote Anoraks und Neonblaue Turnschuhe gekleidet und machten einen wilden, recht ungepflegten Eindruck.
Es war schwer vorstellbar, dass jemand dieses Warnleuchten-Outfit freiwillig trug, zumal erschwerend hinzu kam, dass die Hose des Mannes halb in seinen Kniekehlen hing und den Eindruck erweckte, er habe sich eingekackt.
Als selbiger den Fremden auf der Straße entdeckte wies er die Frau mit einer groben Geste an stehenzubleiben, holte ein Heizungsrohr aus dem Wagen hervor und schwang dieses bedrohlich über seinem Kopf.
Hering hob das Gewehr und zielte auf den sich ihm nähernden Mann, welcher daraufhin abrupt stehen blieb und einen Schritt zurück machte.
Nun standen sich beide Parteien erstarrt gegenüber.
Kalter Wind zog auf und es begann erneut zu Schneien.
Hering dachte nach. Er musste sich klar werden was als nächstes zu tun war. Sie könnten nicht ewig dort herum stehen, aber er konnte den anderen doch auch nicht einfach über den Haufen schießen. Die Anspannung stieg.
Auf einmal durchbrach die junge Frau die Stille, bewegte sich langsam und unkoordiniert um den Wagen herum und begann hastig in diesem zu wühlen.
Der Lauf von Herings Gewehr wanderte von dem Mann zu der Frau hinüber. Egal wonach sie suchte, das was sie gleich aus dem Wagen ziehen täte, würde darüber entscheiden, wie dieser Tag endete.
Dann hielt die Frau inne, sie war also sie fündig geworden
Hering holte tief Luft und entsicherte seine Waffe.
Doch es kam anders. Die Frau förderte zwei Medikamentenschachteln zu Tage, hielt eine davon in die Luft, legte beide vor sich auf den Boden und begann anschließend, neben den Schachteln, Konservendosen aus dem Wagen aufzustapeln. Der Mann drehte sich aufgebracht zu ihr um und wollte etwas sagen, doch nach einem kurzen Blickwechsel entschied er sich dafür zu schweigen.
Hering ließ deutlich erleichtert das Gewehr sinken.
>>Ich will euren beschissenen Nippes nicht, behaltet den Rest und verschwindet einfach<< rief er den beiden zu.
Der Mann blickt nervös zu ihm auf während die Frau kurzerhand das ausräumen einstellte und sich anschickte den Einkaufswagen zu wenden. Langsam, fast behutsam bewegt sie sich vorwärts, während ihr Begleiter ihr in kleinen Schritten rückwärtsgehend, den bewaffneten Fremden niemals aus den Augen verlierend, nachzog.
Als ob ihm das im Fall der Fälle auch nur das geringste nützen würde. Hering schüttelte den Kopf, nahm das Gewehr in Hüfthöhe und schritt ebenfalls die Straße entlang.
So gingen sie eine ganze Weile lang vor einander her, doch dann begann das Pärchen immer öfter sich zu ihm umzudrehen, aufgeregt zu tuscheln und sein Tempo zu erhöhen.
Schließlich gab gab der Mann einen Groben wink und beide begannen im Laufschritt an Abstand zu gewinnen.
Hering sah den beiden noch eine weile nach, bis sie schließlich aus seinem Blickfeld verschwanden.
Wer waren diese merkwürdigen Leute wohl gewesen? Was wollten sie hier so allein mitten in der Pampa?
Es waren in etwa die gleichen Fragen wie bei dem toten Niemand, der kurz hinter dem Ortsschild gelegen hatte.
Doch Hering musste sich der Tatsache bewusst werden, dass er gerade beinahe zwei Menschen niedergeschossen hätte.
Was würde er tun, wenn er wieder jemandem begegnen würde und dieser mit mehr bewaffnet wäre, als mit einem Heizungsrohr? Was hatte der Mann mit der Schlabberhose damit überhaupt vorgehabt? Wollte er ihm damit lediglich bedrohen, oder ihn am Ende ausrauben?
Auf all das hatte er keine Antwort, aber er würde sich schon sehr bald intensive Gedanken darüber machen müssen.
Hering fiel ein, dass er die Medikamente und Konserven welche die Frau auf der Straße zurückgelassen hatte gar nicht mitgenommen hatte, wer weiß um was es sich bei den Tabletten gehandelt haben mochte.
Er rügte sich für die verschwendete Beute, beschloss aber am darauffolgenden Tag noch einmal einen Abstecher dort hin zu machen und die Sachen zu bergen.
Für diesen Tag war es ihm genug Aufregung gewesen und er war nicht mehr allzu weit vom Bunker entfernt.
Der Schnee nahm immer mehr zu und begann sich langsam zu einem Sturm zu entwickeln.
Hering stapfte dem Schneeregen entgegen bis endlich die Umzäunung des Bunkers zum Vorschein kam.
Erleichtert trat er durch den Eingang und verschloss die schwere Stahltür hinter sich.
Seine Glieder waren Schwer und zum ersten mal seit Wochen erschien ihm seine Situation wieder als vollkommen surreal, er erinnerte sich an die kleine Kellerwohnung und die vielen sinnentleerten Tage zwischen Arbeit, Armut und Suff. Ihn überfiel das Gefühl gleich in seinem Bett aufzuwachen und festzustellen, dass all das nichts anderes als eine Art Wachtraum gewesen war und er lediglich den Verstand verloren hatte. Doch dann holten ihn die Geschehnisse im Kommunikationsbunker wider ein: „es ist vorbei“
„Berlin ist Tot“
„Kontaktieren sie die Leitstelle in Erfurt“
„Halten sie das ausgehende Signal“
„Niemand“
„Ration“
„Wir müssen“
„Ration“
„Wir Stimmen ab“
Schüsse hallen durch Herings Kopf, doch...
Er schüttelte sich und kam zu sich. Er lehnte kurz hinter der Stahltür am Bunkereingang und wenn er so recht überlegte wusste er nicht was er dort machte.
Er ging in Richtung Aufenthaltsraum und zog seinen Rucksack an einem der Träger hinter sich her.
Ein seltsam belegtes Gefühl umgab ihn als würde er alles durch eine Milchglasscheibe sehen.
Er schleuderte den Rucksack auf das gewohnte Bett und nahm vom selbigen die Flasche Gin, drehte routiniert den Deckel auf und nahm ein paar große Schlucke.
Anschließend zog er Rucksack zu sich und entnahm ihm einen der MP3-Player welchen er mit Batterien ausstattete.
Auf dem Gerät taiwanesischer Bauart war ein Test-Track vorhanden, welcher vermutlich bei allen Geräten diesen Typs aufgespielt wurde.
Hering drückte den Play Button und es erklang:
-Mignon-
„Kennst du das Land, wo die Zitronen blüh'n,
Im dunklen Laub die Goldorangen glüh'n,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht?
Kennst du es wohl? Dahin! „
Das hatte Hering schon ewig nicht mehr gehört, zugegeben ein schönes Lied, aber eben das Einzige.
Nun hatte er sieben Player die alle das selbe Lied spielten.
Er musste sich bei Gelegenheit nach Alternativen umsehen Aber nun war er erschöpft und beschloss zu Bett zu gehen.
Am nächsten Morgen fand er vor dem Bunker eine echte Winterlandschaft vor. Der Schneesturm vom Vortag schien recht intensiv gewütet zu haben, so dass ihm der Schnee bis zu den Knöcheln stand.
Er mochte den Winter und die frische kühle Luft war angenehm, aber reichlich kalt war es eben auch.
Wegen der paar am Straßenrand zurückgelassenen Sachen erneut den Weg in Richtung Tankstelle zu beschreiten erschien bei diesen Witterungsbedingungen nicht sonderlich sinnvoll.
Hering beschloss stattdessen die naheliegenden Häuser der Ortschaft in Augenschein zu nehmen und machte sich auf den Weg.
Am Beginn der Häuserreihe angekommen entschied er sich gleich für das erste Gebäude linker Hand.
Das kornblumenblau gestrichene Einfamilienhaus sah äußerlich unversehrt aus und schien somit noch nicht angerührt worden zu sein.
Die Eingangstür war natürlich verschlossen. Er überlegte kurz, ob versuchen sollte auf das Schloss zu schießen, er wollte so etwas schon immer mal ausprobieren, entschied sich dann aber lieber dafür um das Haus herumzugehen und über ein kleines Gartentor in den Hinterhof zu gelangen.
Hier fand sich neben einer kleinen Grünfläche samt Gartenlaube auch eine Terrasse welche einen zweiten Zugang zum inneren des Hauses bot.
Hering stieg die wenigen Holzstufen hinauf, schob einen Plastikstuhl bei Seite und begann damit die gläserne Terrassentür mit dem Gewehrkolben einzuschlagen.
Als er durch die Reste der Schiebetür trat fand er sich in einem erschreckend geschmacklos gestalteten Wohnzimmer wieder.
Mit Kuh-Mustern bezogene Stühle und Sessel standen im Halbkreis um einen hellgrünen Ikea-Couchtisch währenddessen einen von den cremefarbenen Wänden die obskursten Formen afrikanischer Kunst anstarrten.
Hier mussten Masochisten gewohnt haben.
Aber immerhin machte der riesige Flatscreen-Fernseher gegenüber des Tisches etwas her.
Hering machte sich daran das Haus zu durchsuchen.
In der geräumigen Küche fand sich außer dem, auch nach drei Jahren noch immer übelriechenden Kühlschrank, ein paar Konservendosen und einer halbvollen Flasche Scotch nichts von Wert.
Er packte die Konserven ein und trank einen Schluck von dem Scotch, ließ ihn dann aber stehen Er war schon immer eher der Typ für Bourbon gewesen.
Auch im Rest der unteren Etage fand sich nicht viel Nützliches: ein paar Decken, eine Schachtel Zigaretten, zig lose Batterien und ein Taschenmesser. Immerhin war es ein gutes schweizer Allzweckmesser, das konnte man immer gebrauchen.
Anschließend war die obere Etage dran.
Hier befanden sich nebst einem Badezimmer, ein Schlaf- und zwei Kinderzimmer. Im Schlafzimmer ließ sich außer einer, zumindest ungeöffneten, Flasche Mehrlot nichts finden.
Die Kinderzimmer waren da schon wesentlich interessanter.
Das erste Zimmer war in Anbetracht der omnipräsenten Pastelltöne scheinbar das eines Mädchens gewesen.
Die Wände waren mit Unmengen von Postern tapeziert die alle einen dümmlich dreinschauenden Jungen mit Topfschnitt in verschiedenen Posen zeigten. Scheinbar hatte die gesamte Familie keinen Geschmack.
Herings blick fiel auf einen lilafarbenen Laptop welcher sich auf dem Nachtisch befand. Er betätigte den Startknopf, doch nichts passierte. Der Akku war also leer.
Immerhin hing das Gerät am Netzteil, es würde sich also möglicher Weise im Bunker in Gang setzen lassen.
Hering verstaute den Laptop im Rucksack, durchwühlte ergebnislos einige Schubladen und ging anschließend in das zweite Zimmer hinüber.
Selbiges war zu seiner Überraschung recht schlicht gehalten und wies eine Vielzahl an Computerspielen auf, welche fein säuberlich in Regalen aufgereiht waren.
Er durchstöberte die Reihen und ging zum Schreibtisch hinüber, wo er ein wahres Prachtstück von Rechner vorfand.
Es war ein wirklich schönes Gaming-Gerät mit aufwendigem Gehäuse, das aber wahrscheinlich völlig überteuert im Laden gekauft und nicht selbst zusammengestellt worden war. Hering überlegte kurz ob er den Rechner aufschrauben und einen Blick riskieren sollte, aber wozu? Der Computer war viel zu schwer um ihn mitzunehmen und selbst wenn er ihn Transportiert bekäme, solche Vehikel fraßen Unmengen an Strom und eine sinnvolle Verwendung hatte er dafür sowieso nicht.
Beim Durchwühlen der Schreibtischschubladen stieß er auf einen schicken silbernen Mp3-Player und verschiedene Drehtabaksorten samt Utensilien.
Nun hatte er noch einen Player, aber immerhin einen mit Musik. Zumal die dazugehörigen Kopfhörer bedeutend besser waren als der billige Mist der seinen Geräten beilag.
Als er den etwa Textmarker-großen Apparat samt Zubehör aus der Schublade entnahm kam darunter ein unauffälliges kleines Plastiktütchen zum Vorschein.
Hering traute seinen Augen kaum, er nahm das Tütchen, öffnete den Klippverschluss und schnupperte daran.
Es war Tatsächlich Gras.
Es sah gut aus und hatte eine leichte Orangennote im Geruch, wie lange war es wohl her, dass er das letzte Mal einen Joint geraucht hatte? Drei, oder Vier Jahre? Ewig!
Hering hätte sich am liebsten auf der Stelle einen gedreht, entschied sich dann aber doch dazu, dass das eher etwas für die sicheren Räumlichkeiten des Bunkers war.
Er packte Gras und Player ein. Auf dem Schreibtisch fand er noch ein schwarzes Zippo Feuerzeug welches er in seine Jackentasche steckte. Auch ein schöner Fund.
Zufrieden zog Hering seinen Flachmann aus der Brusttasche und nahm einen Zug. Das hatte sich ja mal richtig gelohnt.
Vergnügt ging er zurück ins Treppenhaus.
Plötzlich hörte er scheppernde Geräusche aus dem Untergeschoss, scheinbar war irgendjemand da unten.
Nunmehr angespannt nahm Hering sein Gewehr in Anschlag und schlich leise die Treppen hinunter.
Aus der Küche drangen Schritte und das Knallen von Schubladen.
Langsam bewegte er sich auf die halboffene Küchentür zu, als selbige auf einmal aufgerissen wurde und ihm ein mit einem Rohr bewaffneter Mann schlagbereit entgegen kam, der dann aber inne hielt, als er der Mündung der G36 gegenüberstand.
Einige Sekunden starrten sich die Beiden angestrengt an.
Dann lockerte Hering sich und verzog den Mund zu einem grinsen.
Es war der Schlabberhosenmann.
Der nach wie vor grotesk gekleidete Mann stand ihm weiterhin angespannt gegenüber und drohte mit dem hoch erhobenen Heizungsrohr.
Hering rollte mit den Augen.
>>Jetzt mal Ernsthaft, was willst du mit dem Ding? Wenn ich dich erschießen wollte würde ich es einfach tun und dein Metallknüppel würde daran nichts ändern.<<
Der Mann ließ missmutig das Rohr sinken und lehnte sich gegen den Türrahmen.
>>Ich bin Tom und du?<<
>>Hering.<<
Tom musterte Hering aufmerksam.
>>Und Hering gehörst du zu irgend einer Militärischen Einheit? Also wegen deinen Klamotten und so. <<
>>Ich gehöre zu niemanden.<<
Tom kramte eine Schachtel Zigaretten aus seiner Tasche.
>>Also dafür hast du aber ziemlich krassen Kram, wo bekommt man denn so ein schickes Gewehr her?<<
Hering grinste. >> Ebay.<<
Tom verzog das Gesicht, zündete sich eine Zigarette an und hielt Hering die Schachtel entgegen.
>>Kippe?<<
>>Ich rauche nicht<<
Tom zog die Augenbrauen hoch und steckte die Schachtel wider ein. Nach einigen Zügen, blickte er sich um.
>>Was machst du hier eigentlich?<<
Hering wackelte mit seinen Schultern so das sich der Rucksack bewegte.
>> Wahrscheinlich das gleiche wie du.<<
>>Verstehe.<<
Tom hielt das Rohr so das Hering es sehen konnte und ging langsam seitwärts in Richtung Ausgang.
>>Wenn du hier schon durch bist ist das wohl Zeitverschwendung.<<
Und ohne ein weiteres Wort ging der Fremde davon.
Hering sah ihm Hinterher und dachte nach.
Das war schon ein merkwürdiger Kerl gewesen, bei ihrer ersten Begegnung war er ihm wesentlich ängstlicher und nervöser vorgekommen.
Vielleicht hatte ihn die Nähe trotz des Gewehres etwas offener werden lassen.
Viel hatte er bei seinem ersten richtigen Gespräch mit einem „Einheimischen“ ja nicht gerade erfahren, aber er hatte auch wenig Lust sich mit solchen Leuten zu unterhalten.
Hering widmete sich wieder seinem Flachmann, leerte die letzten Tropfen und griff anschließend nach der Scotch Flasche auf dem Küchentisch um ihn nachzufüllen.
In der Not frisst der Teufel Fliegen, dachte er sich.
Anschließend versicherte sich Hering noch einmal alles gefundene Eingepackt zu haben und begab sich, nunmehr wieder bester Laune, zurück ins Wohnzimmer.
An der Terrassentür angekommen sah er erneut Tom der dort mit einem anderen in Signalfarben gekleideten jungen Mann um die zwanzig stand.
Hering nahm das Gewehr auf Hüfthöhe, doch Tom breitete beschwichtigend die Arme aus.
>>Nur die Ruhe, ich will dir Bloß jemanden vorstellen.<<
Langsam kamen die beiden mit gut sichtbaren Händen auf ihn zu.
Hering behielt dennoch den Finger am Abzug und ließ die beiden nicht aus den Augen, doch als er hinaus auf die Terrasse trat grifft plötzlich eine Hand nach seinem Gewehr. Ein dritter Mann schnellte hinter der Ecke hervor, der sich dort bis dahin verborgen hatte und hieb mit einem Küchenmesser nach Herings Gesicht. Der könnte gerade noch schnell genug ausweichen, so dass ihn das Messer lediglich über die Wange streifte.
Der Angreifer drückte das Gewehr, welches er immer noch mit der Linken festhielt zur Seite, dränge Hering gegen Rahmen der Terrassentür und holte erneut mit der Stichwaffe aus.
Hering versuchte sich wegzudrehen und schaffte es auch beinahe, doch dann durchstach ihn auf einmal ein fürchterlicher Schmerz. Entsetzt sah er an sich herab.
Das Messer stecke bis über die Hälfte in seinem Oberschenkel .
Nun versuchte der Angreifer ihm das Gewehr zu entreißen während er das Messer tiefer in die Wunde drückte >>Nun lass schon, du Spasti<< keifte er.
Hering behielt das Gewehr fest im Griff, doch was sollte er nun tun?
Der Schmerz war unglaublich, Angst und entsetzen machten sich in ihm breit, doch er durfte jetzt nicht in Panik verfallen.
Im Hintergrund sah er Tom und den Anderen, die nun nach anfänglicher Zurückhaltung rasch näher kamen.
Nun hatte er nur noch einen einzigen Gedanken: Jetzt, oder nie.
Hering zog das Bein zurück, suchte am Türrahmen halt und drückte sich wider aller Schmerzen dem Feind mit aller Kraft entgegen, rammte ihm den Lauf des Gewehres in den Bauch und drückte ab.
Scheinbar noch im gleichen Moment in dem der Knall ertönte trat die Kugel mit einem dumpfen Pfeifen wieder aus dem Rücken des Mannes aus, welcher nun nach hinten sackte und sich den Bauch haltend zu schreien begann.
Gerade als Hering das Gewehr zu den Anderen herum reißen wollte traf ihn ein unglaublicher Schlag. Er kippte seitlich von der Terrasse. Das Gewehr entglitt seinen Händen und für einen kurzen Moment war alles Schwarz.
Als er wieder sehen konnte lag er mit dem Rücken auf der Grünfläche vor den Holzstufen und hatte einen fürchterlichen Pfeifton in den Ohren und hörte kaum etwas.
Über ihm stand Tom. Tom mit dem Verfluchten Heizungsrohr.
Hering musste lachen.
Tom zielte das Rohr leicht schwingend auf Herings Kopf als wäre er ein Golfball.
Doch Hering schaute nicht zu Tom, schaute nicht zu dem schreienden Mann der sich auf der Terrasse krümmte.
Hering schaute in den Himmel. Es schneite. Er mochte Schnee. Schnee hatte etwas beruhigendes, ähnlich wie Regen.
Das hier ist genau so gut wie alles Andere ... also was solls, dachte er sich und lächelte.
Dann ertönte ein lauter Donner der durch das Pfeifen in seinem Kopf brach.
Doch nichts weiter passierte, Er sah noch immer den Himmel und den Schnee der langsam auf sein Gesicht hinunter rieselte.
Was war geschehen?
Langsam ließ das Pfeifen nach und sein Gehör kehrte zurück. Er hörte eine Stimme, nicht eine Stimme.
Das schreien des Mannes auf der Terrasse?
Nein, nun schrien zwei Männer und da war noch etwas.
Plötzlich wurde er am Arm hochgezogen.
Schmerz durchfuhr seinen Körper, seinen Kopf, sein Bein. Sein Bein? Das Messer das darin steckte war verschwunden, stattdessen trat unentwegt Blut aus der Wunde welches sein durchtränktes Hosenbein hinunter in eine kleine Lache floss.
Hering blickte auf. Neben ihm stand ein kräftiger, kahl geschorener Mann, der sich seinen Arm um die Schulter gelegt hatte, ihn mit der einen Hand fest hielt und in der anderen einen Großkalibrigen Revolver trug.
>>Wer zur Hölle bist du?<<
>>Karl, wir müssen hier Weg, packst du das?<<
Hering hörte immer noch nur auf der einen Seite. Er tastete nach seinem Ohr und stellte fest, dass der obere Teil scheinbar stellenweise zerquetscht war.
>>Jj... Ja, aber zuerst das Gewehr, wir lassen nicht das verdammte Gewehr hier.<<
Karl seufzte, lehnte Hering gegen die Hauswand, hob das Gewehr auf und hängte es ihm um die Schulter.
Erst jetzt wurde Hering sich der Situation bewusst.
Tom saß brüllend auf dem Boden, in seinem Unterschenkel klaffte eine riesige Schusswunde, der Mann auf der Terrasse hingegen gab nur noch unzusammenhängende, weinerliche Laute von sich und der Dritte im Bunde war scheinbar getürmt.
Karl nahm Hering am Arm über seine Schulter und beide verließen langsam den Hinterhof.
Als sie bereits einige Meter vom Haus entfernt waren musterte Karl Hering und schüttelte den Kopf.
>>Meine Fresse, was du da alles Hast. Vollschutzmaske, Feuerwaffen, Munition. Ich will gar nicht wissen wo du das her hast, aber damit kannst du doch nicht einfach so unbedacht herumlaufen. Der Kram ist mehr als nur ein Menschenleben wert, du kannst froh sein, dass es nur drei Spinner mit Rohren und Küchenmessern waren.
Aber mach dir keine Sorgen das werden schon sehr bald mehr sein, wir müssen schnell so weit wie möglich weg von hier und sehen wie wir dein Bein verarzten, sonst verreckst du mir hier noch, und dann wäre die ganze Nächstenliebe ja für den Arsch gewesen.<<
Er lachte dreckig.
Hering blickte auf und starrte ihn irritiert an.
>>Was? <<
>>Ach, nichts. Ich hoffe mal, du kennst dich hier aus und kannst mir sagen, wo ich dich hin schleifen soll?<<
>>Bunker ... ein Bunker, gleich die Straße runter.<<
Hering ächzte, schwerfällig stapften sie durch den Schnee und näherten sich langsam dem Bunker.
Karl stutzte und hob den Kopf.
>> Scheiße, es schneit nicht mehr.<<
Tatsächlich es war Hering zuerst gar nicht aufgefallen, aber ja der Schnee hatte Nachgelassen.
>>Na und?<<
Karl schaute ihn an, verdrehte die Augen und zog ihn nun in bedeutend strafferem Tempo hinter sich her.
Hering grübelte kurz.
Aber natürlich, das Blut. Er musste sich eingestehen gerade alles andere als auf der Höhe zu sein.
Am Zaun angekommen öffnete Hering eilig, aber ungelenk das Tor und verschloss es von der anderen Seite wieder.
Als er gerade die Zahlenkombination auf der Schaltfläche neben der Stahltür eingab durchfuhr ihn ein Gedanke und er sah zu Karl hinüber.
Das war nicht gut. Das war definitiv nicht gut. So war das nicht geplant...
Doch bevor Hering weiter nachdenken konnte hörten sie auf einmal aufgeregte Stimmen welche sich von der Straße aus näherten. Hering öffnete hastig die Tür.
Die Straße des Händlers
Band I - Der schwarze Hering
Kapitel I – Korn, Korn muss man trinken
Es war eine klare Vollmondnacht und Hering stapfte die Straße entlang. Der klebrige Film des Kampfstoffes, der den Asphalt überzog, schmatzte bei jedem Schritt unter seinen Stiefeln. Man sollte meinen, die verlassenen Häuserschluchten der Wohngebiete seien gespenstisch, aber eigentlich hatten sie etwas sehr friedliches.
Es war diesen Winter ziemlich genau zwei Jahre her, dass die Evakuierung eingeleitet wurde. Die Fenster der Plattenbauten waren noch immer Weihnachtlich geschmückt und auf den Parkplätzen standen die Autos in Reih und Glied, als hätte man sie gestern erst dort abgestellt. Schade nur, dass man, wenn man die Maske abnehmen würde, spätestens bei Sonnenaufgang binnen kürzester Zeit zugrunde gehen würde. Es war fraglich wie viele Jahre es noch dauern würde bis sich die Substanz hier und in den anderen Städten endgültig verflüchtigt hätte.
Am Ende der Straße hielt Hering kurz inne und betrachtete seine Karte. Nur noch ca. fünf Kilometer dann hätte er es geschafft. Er bog in eine weitere Straße ein, von nun an ging es Berg auf.
Das Atmen in der stickigen Schutzmaske wurde mit zunehmender Steigung immer anstrengender und die Hitze in der mit Klebeband isolierten Kleidung war, selbst für diese Jahreszeit, enorm. Die Straße zog sich hin und während die umliegenden Gebäude immer weniger wurden begann es zu schneien.
Endlich war die Anhöhe bezwungen und er konnte das Ortsschild sehen. Hier endete Pappeln und es begann Ulmstett, ein kleines Kaff das einst rund 500 Einwohner beherbergte. Immerhin aber, sollte das Gebiet nicht Kontaminiert sein.
Plötzlich stoppte Hering abrupt: Nur wenige Meter hinter dem Ortsschild lag ein Körper am Boden. Der Mann mittleren Alters, der in eine Olivgrüne Windjacke gekleidet, war trug eine bedenklich Schwarz gesprenkelte Feinstaubmaske vor dem Gesicht. Sein Kopf lag in einer Lache aus Matsch, die Pistole noch immer in der nunmehr erstarrten Hand.
Wer mag das arme Schwein wohl gewesen sein und was hat ihn hierher verschlagen? Die Antworten darauf hat er wohl mit sich fort genommen.
Auf jeden Fall scheint er die Pistole ja nicht mehr zu brauchen. Hering beugte sich zu dem Toten herunter und begann sich an selbigem zu schaffen zu machen. Nach einigem Widerstand löste sich die SP22 schließlich aus den steifen Fingern. Ansonsten hatte der dahin-geschiedene außer ein paar Patronen und einer halbwegs brauchbaren Armbahnuhr nichts nennenswertes bei sich.
Hering verstaute das gefledderte Gut in seinem Rucksack und setzte seinen Weg fort.
Während er den Ortseingang durchschritt, fragte er sich woher der Fremde wohl gekommen war. Sein Körper zeigte keine Anzeichen von Verwesung, auch wenn Winter war, konnte er noch nicht lange dort gelegen haben.
Konnte es sein, dass man die Evakuierung bereits aufgehoben hatte? Schließlich waren seit den letzten ersichtlichen Kampfhandlungen beinahe Neun Monate vergangen.
Langsam bewegte sich Hering durch das in Stille versunkene Dorf, der Mondschein erhellte die in Geschmacklosen Farben verputzten Fassaden der an der Hauptstraße aufgereihten Häuser.
Dann hielt er inne und kramte einen Gasdetektor aus seiner Feldjacke. Hering horchte angespannt hin. Nichts geschah, der Detektor gab keinen laut von sich.
Auch wenn sich die Substanz bei dieser Kälte kaum hätte verflüchtigen können, irgendeine Reaktion hätte es geben müssen. Auch sah er weit und breit keine Spur des üblichen klebrigen Films.
Hering fasste sich ein Herz, löste die Haltebänder und zog die Schutzmaske zurück. Gierig sog er die frische Winterluft ein. Nach solch einem Marsch unter der Maske gab es nichts besseres.
Beherzt setzte er seinen Weg fort. Er ging die Hauptstraße entlang und betrachtete die auf beiden Seiten beieinander stehenden Einfamilienhäuser. Alles war unversehrt, nur die Städte wurden mit Chemischen Waffen attackiert. Ein Raketenbeschuss hätte sich in einem solchen Kaff für nichts gelohnt.
Wenn die Armen Schweine gewusst hätten, dass sie, als die gezielten Angriffe auf die Flüchtlingsbunker begannen, hier bei sich Zuhause viel sicherer gewesen wären ... aber wer hätte das schon vorher ahnen können.
Auf jeden Fall würde er diesen Wohnstätten noch einen Besuch abstatten, bevor ihm am Ende noch jemand zuvor kam. Doch für jenen Tag war es genug, Hering wollte einfach nur noch sein neues Domizil erreichen und sich erst einmal so richtig ausschlafen.
Doch als er im Untergeschoss eines der Häuser einen Kiosk sah konnte er einfach nicht widerstehen. Hering hob einen Pflasterstein vom Bürgersteig auf, stieg die wenigen Stufen zur Eingangstür hinauf und zerschlug die große Scheibe der Selbigen damit. Kurz machte er sich Gedanken darüber das ihn jemand gehört haben könnte, aber es war Unwahrscheinlich, dass schon jemand bis hierhin vorgestoßen war. Und selbst wenn, warum sollte man ihn angreifen, schließlich gab es hier Momentan noch von allem reichlich.
Hering betrat den Kiosk und schaltete die kleine Lampe an seiner Brusttasche an. Und siehe da zwischen verstaubten Zeitschrifteinständern sah er es. Das Schnapsregal. Ein Schnapsregal mit Korn und vielen anderen Hochprozentigen Köstlichkeiten.
Er setzte seinen Rucksack ab und steckte jeweils zwei Flaschen Korn und Gin hinein. Während er im Regal neben der Kasse nach Chips mit Käsegeschmack suchte, entdeckte er in der Kassenauslage doch tatsächlich etwas Snus. Der feine Lutschtabak kam in Deutschen Landen erst kurz vor Kriegsausbruch wieder in den Handel und erfreute sich von da an wachsender Beliebtheit.
Wahrlich, ein wertvoller Fund.
Schnell sammelte er die Dosen aus der Auslage und verstaute sie mit den Chips im Rucksack. Nun war er fürs erste Gerüstet.
Nachdem Hering den Kiosk wider verlassen hatte wickelte er sich einen Müsliriegel aus und schritt genüsslich kauend die Straße entlang. Vorbei an verwaisten Kleinwagen, umgefallenen Mülltonnen und den in Ewigkeit festlich geschmückten Fenstern, ging er allmählich auf den Ortsausgang zu.
Kurz nachdem er die letzten Häuser hinter sich gelassen hatte, öffnete er seine Brusttasche, zog ein zusam-mengefaltetes Seidentuch hervor und musterte die zum Vorschein kommende Landkarte.
Das musste es sein: Wenige Meter weiter trat rechter Hand von der Straße eine Kalksteinwand aus der Hügelböschung, an deren Mitte ein kleines abgezäuntes Areal zu sehen war.
Am Tor des 2,5m hohen Maschendrahtzaunes angekom-men fand Hering ein schweres Vorhängeschloss vor, das den Zugang verwehrte.
Er drehte die Zahlenrädchen auf die Kombination 284 und mit einem leisen klicken öffnete sich das Schloss. Hering schlüpfte mit einem Breiten grinsen durch das Tor und verriegelte es von der Innenseite wieder. Wenige Schritte weiter blieb er vor einer massiven Stahltür stehen.
Hier war es also: Objekt 284.
Ein kleiner Notfallbunker der Verteidigungsstreitkräfte.
Hering betrachtete das Eingabefeld welches sich auf einer kleinen Konsole befand, welche neben der Tür in die Wand eingelassen war und nickte gedankenversunken.
Er lehnte sich gegen den Türrahmen, zog sich einen seiner Stiefel aus und entnahm die Einlage. Darunter zum Vorschein kam eine, in die Sohle eingestanzte und mit roter Farbe nachgezeichnete, Zahlenkombination. Das war schon eine geniale Idee.
Wer kann sich schon Ewigkeiten so eine achtzehnstellige Zahl merken und sie dann auch noch in einer Notsituation auf Anhieb parat haben? Doch wie soll man sie am besten mit sich führen, wenn nicht im Kopf? Notizen, Ausrüstung und Kleidung kann man ablegen, ausziehen und verlieren. Es gibt viele Möglichkeiten wie diese Dinge in den Wirren des Kampfes verlustig gehen konnten, doch eine der absolut unwahrscheinlichsten dieser Begebenheiten ist, dass ein Soldat im Einsatz seine Stiefel auszieht und Barfuß weiter geht.
Mit einem Fingertipp aktivierte Hering die Konsole, gab die Kombination ein und bestätigte die Eingabe. Ein grünes Lämpchen blinkte auf und mit einem metallischen klong, klong, klong, klong, glitten die vier schweren Stahlstifte nacheinander in die Tür zurück. Hering betätigte den Öffnungsmechanismus und schob die massive Tür nach innen auf.
Ihm wehte der unangenehme Duft abgestandener Luft entgegen, der Bunker befand sich nicht sonderlich tief im Fels und verfügte über ein ventilationsunabhängiges sekundär-Lüftungssystem, dass man aber -im Fall der Fälle- hydraulisch versiegeln konnte. Praktisch war es aber alle Mal, denn so musste man nicht dauerhaft Strom verschwenden.
Er betätigte den hinter der Tür gelegenen Hebel der Netzanlage und ein dezentes Surren ertönte während sich das Aggregat hoch fuhr. Nach und nach schalteten sich nun die Deckenlichter ein.
Vor ihm erschien ein langer, röhrenförmiger Gang. Hering setzte seinen Rucksack ab, schob ihn mit dem Fuß etwas weiter ins Innere und schloss die Tür hinter sich. Er dachte sich besser gleich als später, zog einen kleinen Schraubenzieher aus seiner Beintasche und machte sich daran die Verkleidung der Schließanlage zu öffnen.
Diese Notanlagen hatten in der Regel alle den gleichen Zugangscode damit die betreffenden Einheiten, egal in welchem Gebiet sie sich gerade befangen, schnellen Zugriff auf die jeweiligen Objekte haben konnten. Hering hatte allerdings wenig Lust sich sein neues Eigenheim mit dem nächst besten, verirrten Soldaten teilen zu müssen.
Den Türcode zu ändern war beinahe lächerlich einfach. Hinter der Abdeckplatte der Schließanlage kam ein simples Eingabefeld zum Vorschein, unter dem sich ein kleines Loch mit der Überschrift „Reset“ befand. Er hatte schon damals bei seiner Einführung als Techniker bemängelt das jeder Zwölfjährige damit seinen Unfug treiben könnte, aber diese dicken Panzertüren sollten nun einmal vor Zugriffen von außen, nicht von innen, schützen.
Nachdem er den Schraubenzieher in das Loch gesteckt hatte, gab der die neue Kombination „82848688“ ein. Das konnte man sich einfach merken und ein Unwissender würde lange brauchen darauf zu kommen, zumal bei jeder Falscheingabe ein Alarmton im Bunkerinneren ertönte.
Nachdem dieser erste Punkt erledigt und die Verkleidung wieder montiert war, machte Hering sich daran die Räumlichkeiten zu erkunden.
Diese Anlage war darauf ausgelegt eine Einheit von bis zu zehn Personen mit Ersatzausrüstung und Munition auszustatten und im Kontaminations-Fall einen Monat, bei strenger Rationierung beinahe zwei Monate lang, komplett mit Nahrung und Trinkwasser zu versorgen.
Für einen Fallout wäre dieser Bunker also kaum geeignet gewesen, aber glücklicher Weise gab hier ja keinen. Obwohl man wohl davon absehen sollte, die im Wald unnatürlich groß wachsenden Pilze zu verzehren.
Links und rechts des Röhrenganges befanden sich die Räume des Bunkers. Als erstes war da linker Hand der Generatorraum in dem sich ein feststehender Diesel-generator befand, welcher an einen mannshohen Heizöltank angeschlossen war.
Neben dem Generator ragte die Speicheranlage auf, von der aus sich die an der Wand verlaufenden Stromkabel durch die Räumlichkeiten zogen. In der Ecke stand, unter einer Plastikplane verborgen, ein mit verschiedenen Anschlüssen versehenes 3kW Notstromaggregat, das im Notfall aber kaum mehr als die Lüftung und die Hälfte der Notbeleuchtung hätte versorgen können.
Dem Generatorraum gegenüber lag das Lager. Hier stapelten sich, in aus Blech zusammen genieteten Regalen Konservendosen, Hartkeks-Rationen und Wasserkanister. Am Ende des Lagerraums befand sich eine Tür welche in einen kleineren Raum führte. In dessen Mitte befand sich eine lange Bank von der aus links und rechts je fünf Spinde standen.
In jedem der Spinde befanden sich ein Kampfanzug, ein paar Stiefel, eine Feldjacke und eine Atemschutzmaske. Unter der Bank fand Hering eine Kiste mit Drei Schutzanzügen, ein echter Glücksfund.
Doch der eigentliche Höhepunkt erwartete ihn am hinteren Ende des Raumes in Form eines Waffenschranks. Aus diesem strahlten ihm vier Fabrikneue G36 Gewehre entgegen neben denen, Ordentlich aufgereiht, vier ebenfalls neuwertige P8 Pistolen in ihren Holstern hingen. Unterhalb der Waffen befanden sich zwei Munitionskisten mit den entsprechenden Kalibern. Für den Anfang war also für ausreichend Schutzmittel gesorgt.
Zurück im Hauptgang ging es weiter zur zweiten Abzweigung. Hier lag linker Hand der Schaltraum in dem sich die Kontrollen für die Belüftungssysteme und Stromanlagen, sowie ein Monitor befanden. Auf besagten Monitor war der kleine umzäunte Vorhof vor dem Bunkereingang zu sehen.
Rechter Hand vom Schaltraum befand sich der Gemeinschafts- und Schlafraum, in dem an jeder Wand zwei Doppelstockbetten und in der Mitte ein Tisch mit drei Stühlen stand. Am ende des Raumes gab es eine kleine Nische die in die Wand eingelassen war, dort befand sich die spartanische Miniatur einer Küchenzeile: Eine einzelne Elektroplatte, ein Waschbecken und ein kleiner Kühlschrank, nicht viel aber Immerhin. In der Welt von Morgen wird ein funktionierender Kühlschrank lange Zeit ein Optimum des Luxus darstellen.
Soweit so gut, nun ging es zur letzten Abzweigung des Bunkers. Hier war zum einen zur Linken das Badezimmer: Zwei Toilettenkabinen und ein großes Waschbecken, Duschen war bei den knapp bemessenen Wasservorräten wohl nicht vorgesehen. Und zu guter Letzt lag rechts das Krankenzimmer.
Der kleine Raum bestand aus nicht viel mehr als einer Liege, einem davor befindlichem Stuhl und einem Arzneischrank. Besagter Schrank entpuppte sich als Goldgrube. Nebst verschiedensten Verbandsmaterialien und Desinfektionsmitteln befand sich dort auch eine solide Auswahl an Medikamenten.
Hering grinste verwegen als ihm eine Schachtel Tramadol ins Auge viel, kurzerhand öffnete er die Packung und steckte sich eine der Rispen in die Hosentasche. Das ist kein Spielzeug, ermahnte sich selbst, ganz abgesehen davon das er damit Sparsam umgehen musste. Als er das Krankenzimmer verließ stellte er zufrieden fest, dass der Bunker somit erkundet war. Nun ging es ans Auspacken.
Hering schulterte seinen am Eingang zurückgelassenen Rücksack, aktivierte im Schaltraum das primäre Lüftungssystem und stellte Zufrieden fest, dass auf dem Monitor nichts zu sehen war, seine Ankunft war scheinbar Unbemerkt geblieben.
Er legte den Rucksack im Gemeinschaftsraum auf die untere Matratze eines der Doppelstockbetten und setzte sich selbst auf das daneben stehende. Langsam wich der abgestandene Mief der durch die Lüftung einströmenden Frischluft.
Das war zwar in gewisser Weise Stromverschwendung, aber das Durchlüften war bitter nötig gewesen.
Er öffnete den Rucksack, kramte eine der Kornflaschen hervor und stand auf. Unter der Spüle der Miniaturküche fand sich Essbesteck, er griff zu einer Blechtasse und goss sich etwas von dem Korn ein.
Hering sog vergnügt den kräftigen Duft ein und nahm einen beherzten Schluck. Herrlich, wie das nostalgische Aroma des Schnapses mit einem leichten Brennen gen Magen zieht. Geht runter wie Öl, dachte er und ließ sich wieder aufs Bett sinken um im Rucksack nach dem Snus zu suchen.
Er schüttete kurzerhand den gesamten Inhalt auf der Matratze aus und so kam nebst der restlichen Schnapsflaschen, den Chips und dem Snus, auch jede Menge des verschiedensten Krams zum Vorschein. Von Drahtseilen mit Karabinern, über Strukturklebeband, Allzweckmessern und einem Ersatzmagazinen, bis hin zu kleinen Wasserflaschen, einem Autoverbandskasten und Unmengen an Schmutzwäsche. Natürlich war da auch noch die SP22, die Kleinkalibrige Sportpistole des toten Unbekannten in der grünen Windjacke, der dort auf der kalten, leeren Straße sein Leben ausgehaucht hatte. Was hatte ihn wohl dazu bewogen sich in den Kopf zu schießen?
Hering steckte sich nachdenklich etwas von der Schwarzen Tabakmasse des Snus in den Mund.
Vielleicht hatte sich der Unglückliche ja vergiftet, die dreckige dunkel gesprenkelte Feinstaubmaske die er trug sah zumindest nicht sonderlich Gesund aus, oder hatte er einfach nur den Verstand verloren? Ob er wohl auch so mutterseelenallein durch die Lande gezogen war? Und wenn nicht, warum hatte man ihn einfach so dort zurückgelassen?
Fragen über Fragen, auf die es ja doch keine Antworten geben würde.
Hering trank die Tasse auf einen Zug leer und goss sich nach.
Eines war jedoch Unbestritten: Der Fremde war da und er war bewaffnet. Und darüber hinaus war er wohl kaum der einzige. Im Gegenteil wenn es stimmte, dass sich die Evakuierungs-Bunker langsam öffneten, dann würde es hier in kürze vor anderen Menschen nur so wimmeln. Schließlich würden die entweder verseuchten, oder ausgebombten Städte kaum bewohnbar sein, und die Überlebenden müssten auf ihrer Suche nach einem Neuanfang auf die kleinen Ortschaften und ländlichen Gebiete zurückgreifen. Das war eine interessante, aber zugleich bedenkliche Tatsache.
Hering spürte beim trinken langsam die Trunkenheit in sich aufkommen und fragte sich, was wohl Sein Neuanfang werden würde. Wo wäre sein Platz in der neuen Welt? Immerhin hatte er diesen Bunker, die Ausrüstung und fürs erste genügend Vorräte. Alles andere würde sich mit der Zeit von selbst ergeben. Hering Gähnte, entledigte sich ungelenk seiner Stiefel und schlief kurz darauf vor Trunkenheit und Erschöpfung ein.
Am darauffolgenden Morgen erwachte Hering mit einem schweren Kopf. Er wuchtete sich hoch und bemerkte, dass er bei voller Beleuchtung eingeschlafen war, und das in voller Montur. Er sah an sich herab und konstatierte das er wirklich erbärmlich stank. Mit der zu drei Vierteln leeren Kornflasche schlurfte er ins Badezimmer.
Nachdem er seine Blase entleert hatte, stellte er sich vor das große Edelstahlwaschbecken und nahm einen Schluck aus der Flasche. Der Korn schmeckte weich und abgestanden, er hatte wohl vergangene Nacht vergessen den Deckel darauf zu schrauben. Als er den Hahn betätigte begann sich das Becken mit wohlig warmen Wasser zu füllen, gedankenverloren betrachtete er den stetig steigenden Pegel und entleerte dabei den restlichen Flascheninhalt.
Erleichtert wusch er sich mittels eines am Beckenrand aufgefundenen Stück Kernseife den Dreck der letzten Tage vom Körper. Dabei musste er das rasch Schwarz werdende Wasser zweimal auswechseln. Als er endlich Sauber war, tapste er immer noch unbekleidet und frierend über den Gang in den, hinter dem Lager befindlichen Umkleideraum, öffnete einen der Spinde und kleidete sich in frische Sachen. Der Kampfanzug war bequem und die Stiefel passten, was wollte man mehr. Zufrieden nahm er sich auf dem Rückweg aus Lager einen Kanister Wasser und etwas zu Essen mit.
Wieder im Wohnquartier angekommen, setzte er sich an den Tisch, öffnete den Schraubverschluss des Kanisters und begann wie ein Pferd daraus zu trinken. Das Wasser rann ihm durch seinen Bart am Hals hinunter bis er sich schließlich verschluckte und den Kanister hustend absetzte. Erleichtert machte er sich daran eine Fleischkonserve zu öffnen. Das Wasser hatte ihm gut getan. Seine Zunge hatte sich bereits wie ein trockener Schwamm angefühlt. Beim Essgeschirr unter der Spüle fand sich ein Aluminiumlöffel mit dem er begann, sich das eingemachte Schweinefleisch gierig in den Mund zu schaufeln.
Es stellte sich nun die Frage was als nächstes zu tun war. Am besten wäre es wohl, als erstes die nähere Umgebung zu erkunden und sich ein Bild von seiner neuen Heimat zu machen. Nachdenklich griff er nach einem Hartkeks.
Nachdem er sein herzhaftes Frühstück beendet hatte, raffte er sich auf, zog unter dem Kram aus seinem Rucksack einen kleinen Flachmann hervor, befüllte diesen mit etwas Gin und verstaute ihn in der Brusttasche seines Kampfanzuges. Anschließend legte er seine Ausrüstung an: er schob sein Kampfmesser in den Gürtel, steckte sich Gasdetektor und Landkarte ein, legte eines der P8 Holster an und hängte sich eine G36 um. Schlussendlich nahm er den leeren Rucksack und setzte sich die Gasmaske auf, jedoch ohne sie übers Gesicht zu ziehen. Gut gerüstet schaltete er auf dem Weg nach draußen die Lüftung in den Sekundärmodus und die Lichter bis auf die Notbeleuchtung aus.
Als er den Bunker verließ fragte er sich, warum er sich eigentlich so gut bewaffnet hatte, wovor hatte er Angst?
Er wusste es nicht, aber die Waffen gaben ihm einfach ein Gefühl der Sicherheit und schließlich wusste man ja nie…
Kapitel II – Noch einen zum Mitnehmen bitte.
Draußen vor dem Bunker war es kalt. Der Schnee von letzter Nacht war liegen geblieben und nach dem Stand der Sonne zu urteilen war es gegen Mittag. Er hätte die kürzlich erbeutete Armbanduhr mitnehmen sollen und gegen einen Schaal wäre auch nichts einzuwenden gewesen. Er verschloss hinter sich Bunker und Zauntor und machte sich auf den Weg.
Wenn ihn nicht alles täuschte lag einen knappen Kilometer weiter eine kleine Tankstelle, diese erschien ihm fürs Erste interessanter als die Häuser der Ortschaft.
Er ging die verschneite Straße entlang, vorbei an gefrorenen Äckern und der leicht bewaldeten Straßenböschung, bis nach zirka zwanzig Minuten gemütlichen Marsches, in einer leichten Kurve, die Tankstelle zum Vorschein kam.
Es handelte sich um eine dieser Noname Tankstellen die des Nachts nicht geöffnet hatten und vornehmlich in weniger befahrenen Gebieten zu finden waren.
Bei näherer Betrachtung stellte Hering fest, dass er wohl nicht der erste war der der Tanke einen Besuch abstattete. Eine der Schiebetüren war eingeschlagen. Hering nahm das Gewehr in Anschlag und trat über die knirschenden Scherben in den Eingang. Der Verkaufsraum bot ein wüstes Bild und ein Großteil der Regale war leer.
Vor dem Kühlregal lagen mehrere zerschmissene Flaschen in einer übelriechenden Pfütze, die früher wohl einmal guter Gerstensaft gewesen war. Scheinbar hatte hier jemand vor kurzem festgestellt, dass drei Jahre altes Flaschenbier nicht gerade ein Hochgenuss war.
Das hinter dem Tresen befindliche Tabakregal war grob und scheinbar in Eile ausgeräumt, die Kasse hingegen mit Mühe aufgestemmt worden. Es war fraglich wer die Leuchten waren welche die Hälfte der Zigaretten dagelassen, das Altpapier aber sorgfältig geborgen hatten.
Hering dachte nicht daran den gleichen Fehler zu begehen und begann die kleinen Schachteln in den Rucksack zu schichten. Er rauchte zwar nicht, aber die Glimmstängel würden in Zukunft wohl nicht mehr werden, man war also nicht schlecht damit beraten welche zu besitzen.
Als der Rucksack schließlich zur Hälfte gefüllt war, setzte er ihn wieder auf und ging hinüber zum Dienstraum. Dieser bot kein weniger wüstes Bild als der Verkaufsraum. Der Boden war von Papieren, heraus gezogenen Schubladen und dem verschiedensten Büromaterial bedeckt. Neben dem Schreibtisch, in den all dies scheinbar einmal gehörte, stand ein kleiner aber massiver Bodensafe, der wohl das Ziel des Aufwandes war. Den vielen scharten rund um den Schließmechanismus des immer noch verschlossenen Apparates nach zu urteilen, war das Unterfangen nicht sonderlich von Erfolg gekrönt gewesen.
Ansonsten war der Raum bis auf ein paar verwendbare Kugelschreiber nicht sonderlich interessant.
Hering entnahm der angrenzenden Toilette das dort noch vorhandene Klopapier, denn man konnte in solchen Zeiten nie genug Klopapier haben, und begab sich anschließend zurück in den Verkaufsraum.
Er lehnte sich gegen den Tresen und begutachtete den kleinen Technikaufsteller neben der Kasse:
Billig gemachte Einweghandys, Prepaidkreditkarten, veraltete MP3-Player und jede Menge anderer Ramsch.
Unterhalb des Aufstellers fiel sein Blick auf eine zerwühlte Auslage mit Batterien verschiedenster Art. Er entschied selbige sicherheitshalber mitzunehmen und schob sie grob in den Rucksack. Anschließend steckte er sich doch noch ein paar der MP3-Player ein und ging zum Ausgang.
Beim Testen der Zapfsäulen gab es wie zu erwarten keine Reaktion. Auch wenn sich hier wahrscheinlich noch etliche Hektoliter Treibstoff befanden: ohne Strom, keine Pumpen. Er holte den Flachmann hervor und nahm einen kräftigen Zug. Alles in allem war die Ausbeute ernüchternd, aber was hatte er sich von der Tankstelle erhofft? Stetig am Gin nippend machte er sich auf den Rückweg.
Immerhin war der Gedanke, dass es ja immer noch Sprit gab interessant. Klar, aus den Tanks unter der Tanke wäre er nur schwerlich heraus zu bekommen, aber bei den verwaisten Autos sah das schon ganz anders aus und es war unwahrscheinlich, dass diese alle leer gefahren waren. Er musste an seinen Bunker denken, irgendwann wäre der Heizöltank leer und der Generator funktionierte schließlich nicht mit Luft und Liebe. Vielleicht würde er sich sogar eines dieser Autos fahrtüchtig machen, er hatte zwar nie einen Führerschein besessen, aber das würde jetzt wohl niemanden mehr stören.
Plötzlich hörte er ein blechernes Geräusch, eine Art rasselndes rollen. Rasch steckte er den Flachmann weg und nahm das Gewehr fest in beide Hände. Irgendetwas schob sich da auf ihn zu. Angespannt lauschte er wie das Geräusch langsam um die Straßenbiegung kam.
Und da war es: ein Drahtgestell auf rädern, es war tatsächlich ein Einkaufswagen der da zum Vorschein kam.
Geschoben wurde er von einer jungen Frau in Begleitung eines etwa gleichaltrigen Mannes. Die beiden waren in aufgeplusterte, rote Anoraks und Neonblaue Turnschuhe gekleidet und machten einen wilden, recht ungepflegten Eindruck.
Es war schwer vorstellbar, dass jemand dieses Warnleuchten-Outfit freiwillig trug, zumal erschwerend hinzu kam, dass die Hose des Mannes halb in seinen Kniekehlen hing und den Eindruck erweckte, er habe sich eingekackt.
Als selbiger den Fremden auf der Straße entdeckte wies er die Frau mit einer groben Geste an stehenzubleiben, holte ein Heizungsrohr aus dem Wagen hervor und schwang dieses bedrohlich über seinem Kopf.
Hering hob das Gewehr und zielte auf den sich ihm nähernden Mann, welcher daraufhin abrupt stehen blieb und einen Schritt zurück machte.
Nun standen sich beide Parteien erstarrt gegenüber.
Kalter Wind zog auf und es begann erneut zu Schneien.
Hering dachte nach. Er musste sich klar werden was als nächstes zu tun war. Sie könnten nicht ewig dort herum stehen, aber er konnte den anderen doch auch nicht einfach über den Haufen schießen. Die Anspannung stieg.
Auf einmal durchbrach die junge Frau die Stille, bewegte sich langsam und unkoordiniert um den Wagen herum und begann hastig in diesem zu wühlen.
Der Lauf von Herings Gewehr wanderte von dem Mann zu der Frau hinüber. Egal wonach sie suchte, das was sie gleich aus dem Wagen ziehen täte, würde darüber entscheiden, wie dieser Tag endete.
Dann hielt die Frau inne, sie war also sie fündig geworden
Hering holte tief Luft und entsicherte seine Waffe.
Doch es kam anders. Die Frau förderte zwei Medikamentenschachteln zu Tage, hielt eine davon in die Luft, legte beide vor sich auf den Boden und begann anschließend, neben den Schachteln, Konservendosen aus dem Wagen aufzustapeln. Der Mann drehte sich aufgebracht zu ihr um und wollte etwas sagen, doch nach einem kurzen Blickwechsel entschied er sich dafür zu schweigen.
Hering ließ deutlich erleichtert das Gewehr sinken.
>>Ich will euren beschissenen Nippes nicht, behaltet den Rest und verschwindet einfach<< rief er den beiden zu.
Der Mann blickt nervös zu ihm auf während die Frau kurzerhand das ausräumen einstellte und sich anschickte den Einkaufswagen zu wenden. Langsam, fast behutsam bewegt sie sich vorwärts, während ihr Begleiter ihr in kleinen Schritten rückwärtsgehend, den bewaffneten Fremden niemals aus den Augen verlierend, nachzog.
Als ob ihm das im Fall der Fälle auch nur das geringste nützen würde. Hering schüttelte den Kopf, nahm das Gewehr in Hüfthöhe und schritt ebenfalls die Straße entlang.
So gingen sie eine ganze Weile lang vor einander her, doch dann begann das Pärchen immer öfter sich zu ihm umzudrehen, aufgeregt zu tuscheln und sein Tempo zu erhöhen.
Schließlich gab gab der Mann einen Groben wink und beide begannen im Laufschritt an Abstand zu gewinnen.
Hering sah den beiden noch eine weile nach, bis sie schließlich aus seinem Blickfeld verschwanden.
Wer waren diese merkwürdigen Leute wohl gewesen? Was wollten sie hier so allein mitten in der Pampa?
Es waren in etwa die gleichen Fragen wie bei dem toten Niemand, der kurz hinter dem Ortsschild gelegen hatte.
Doch Hering musste sich der Tatsache bewusst werden, dass er gerade beinahe zwei Menschen niedergeschossen hätte.
Was würde er tun, wenn er wieder jemandem begegnen würde und dieser mit mehr bewaffnet wäre, als mit einem Heizungsrohr? Was hatte der Mann mit der Schlabberhose damit überhaupt vorgehabt? Wollte er ihm damit lediglich bedrohen, oder ihn am Ende ausrauben?
Auf all das hatte er keine Antwort, aber er würde sich schon sehr bald intensive Gedanken darüber machen müssen.
Hering fiel ein, dass er die Medikamente und Konserven welche die Frau auf der Straße zurückgelassen hatte gar nicht mitgenommen hatte, wer weiß um was es sich bei den Tabletten gehandelt haben mochte.
Er rügte sich für die verschwendete Beute, beschloss aber am darauffolgenden Tag noch einmal einen Abstecher dort hin zu machen und die Sachen zu bergen.
Für diesen Tag war es ihm genug Aufregung gewesen und er war nicht mehr allzu weit vom Bunker entfernt.
Der Schnee nahm immer mehr zu und begann sich langsam zu einem Sturm zu entwickeln.
Hering stapfte dem Schneeregen entgegen bis endlich die Umzäunung des Bunkers zum Vorschein kam.
Erleichtert trat er durch den Eingang und verschloss die schwere Stahltür hinter sich.
Seine Glieder waren Schwer und zum ersten mal seit Wochen erschien ihm seine Situation wieder als vollkommen surreal, er erinnerte sich an die kleine Kellerwohnung und die vielen sinnentleerten Tage zwischen Arbeit, Armut und Suff. Ihn überfiel das Gefühl gleich in seinem Bett aufzuwachen und festzustellen, dass all das nichts anderes als eine Art Wachtraum gewesen war und er lediglich den Verstand verloren hatte. Doch dann holten ihn die Geschehnisse im Kommunikationsbunker wider ein: „es ist vorbei“
„Berlin ist Tot“
„Kontaktieren sie die Leitstelle in Erfurt“
„Halten sie das ausgehende Signal“
„Niemand“
„Ration“
„Wir müssen“
„Ration“
„Wir Stimmen ab“
Schüsse hallen durch Herings Kopf, doch...
Er schüttelte sich und kam zu sich. Er lehnte kurz hinter der Stahltür am Bunkereingang und wenn er so recht überlegte wusste er nicht was er dort machte.
Er ging in Richtung Aufenthaltsraum und zog seinen Rucksack an einem der Träger hinter sich her.
Ein seltsam belegtes Gefühl umgab ihn als würde er alles durch eine Milchglasscheibe sehen.
Er schleuderte den Rucksack auf das gewohnte Bett und nahm vom selbigen die Flasche Gin, drehte routiniert den Deckel auf und nahm ein paar große Schlucke.
Anschließend zog er Rucksack zu sich und entnahm ihm einen der MP3-Player welchen er mit Batterien ausstattete.
Auf dem Gerät taiwanesischer Bauart war ein Test-Track vorhanden, welcher vermutlich bei allen Geräten diesen Typs aufgespielt wurde.
Hering drückte den Play Button und es erklang:
-Mignon-
„Kennst du das Land, wo die Zitronen blüh'n,
Im dunklen Laub die Goldorangen glüh'n,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht?
Kennst du es wohl? Dahin! „
Das hatte Hering schon ewig nicht mehr gehört, zugegeben ein schönes Lied, aber eben das Einzige.
Nun hatte er sieben Player die alle das selbe Lied spielten.
Er musste sich bei Gelegenheit nach Alternativen umsehen Aber nun war er erschöpft und beschloss zu Bett zu gehen.
Am nächsten Morgen fand er vor dem Bunker eine echte Winterlandschaft vor. Der Schneesturm vom Vortag schien recht intensiv gewütet zu haben, so dass ihm der Schnee bis zu den Knöcheln stand.
Er mochte den Winter und die frische kühle Luft war angenehm, aber reichlich kalt war es eben auch.
Wegen der paar am Straßenrand zurückgelassenen Sachen erneut den Weg in Richtung Tankstelle zu beschreiten erschien bei diesen Witterungsbedingungen nicht sonderlich sinnvoll.
Hering beschloss stattdessen die naheliegenden Häuser der Ortschaft in Augenschein zu nehmen und machte sich auf den Weg.
Am Beginn der Häuserreihe angekommen entschied er sich gleich für das erste Gebäude linker Hand.
Das kornblumenblau gestrichene Einfamilienhaus sah äußerlich unversehrt aus und schien somit noch nicht angerührt worden zu sein.
Die Eingangstür war natürlich verschlossen. Er überlegte kurz, ob versuchen sollte auf das Schloss zu schießen, er wollte so etwas schon immer mal ausprobieren, entschied sich dann aber lieber dafür um das Haus herumzugehen und über ein kleines Gartentor in den Hinterhof zu gelangen.
Hier fand sich neben einer kleinen Grünfläche samt Gartenlaube auch eine Terrasse welche einen zweiten Zugang zum inneren des Hauses bot.
Hering stieg die wenigen Holzstufen hinauf, schob einen Plastikstuhl bei Seite und begann damit die gläserne Terrassentür mit dem Gewehrkolben einzuschlagen.
Als er durch die Reste der Schiebetür trat fand er sich in einem erschreckend geschmacklos gestalteten Wohnzimmer wieder.
Mit Kuh-Mustern bezogene Stühle und Sessel standen im Halbkreis um einen hellgrünen Ikea-Couchtisch währenddessen einen von den cremefarbenen Wänden die obskursten Formen afrikanischer Kunst anstarrten.
Hier mussten Masochisten gewohnt haben.
Aber immerhin machte der riesige Flatscreen-Fernseher gegenüber des Tisches etwas her.
Hering machte sich daran das Haus zu durchsuchen.
In der geräumigen Küche fand sich außer dem, auch nach drei Jahren noch immer übelriechenden Kühlschrank, ein paar Konservendosen und einer halbvollen Flasche Scotch nichts von Wert.
Er packte die Konserven ein und trank einen Schluck von dem Scotch, ließ ihn dann aber stehen Er war schon immer eher der Typ für Bourbon gewesen.
Auch im Rest der unteren Etage fand sich nicht viel Nützliches: ein paar Decken, eine Schachtel Zigaretten, zig lose Batterien und ein Taschenmesser. Immerhin war es ein gutes schweizer Allzweckmesser, das konnte man immer gebrauchen.
Anschließend war die obere Etage dran.
Hier befanden sich nebst einem Badezimmer, ein Schlaf- und zwei Kinderzimmer. Im Schlafzimmer ließ sich außer einer, zumindest ungeöffneten, Flasche Mehrlot nichts finden.
Die Kinderzimmer waren da schon wesentlich interessanter.
Das erste Zimmer war in Anbetracht der omnipräsenten Pastelltöne scheinbar das eines Mädchens gewesen.
Die Wände waren mit Unmengen von Postern tapeziert die alle einen dümmlich dreinschauenden Jungen mit Topfschnitt in verschiedenen Posen zeigten. Scheinbar hatte die gesamte Familie keinen Geschmack.
Herings blick fiel auf einen lilafarbenen Laptop welcher sich auf dem Nachtisch befand. Er betätigte den Startknopf, doch nichts passierte. Der Akku war also leer.
Immerhin hing das Gerät am Netzteil, es würde sich also möglicher Weise im Bunker in Gang setzen lassen.
Hering verstaute den Laptop im Rucksack, durchwühlte ergebnislos einige Schubladen und ging anschließend in das zweite Zimmer hinüber.
Selbiges war zu seiner Überraschung recht schlicht gehalten und wies eine Vielzahl an Computerspielen auf, welche fein säuberlich in Regalen aufgereiht waren.
Er durchstöberte die Reihen und ging zum Schreibtisch hinüber, wo er ein wahres Prachtstück von Rechner vorfand.
Es war ein wirklich schönes Gaming-Gerät mit aufwendigem Gehäuse, das aber wahrscheinlich völlig überteuert im Laden gekauft und nicht selbst zusammengestellt worden war. Hering überlegte kurz ob er den Rechner aufschrauben und einen Blick riskieren sollte, aber wozu? Der Computer war viel zu schwer um ihn mitzunehmen und selbst wenn er ihn Transportiert bekäme, solche Vehikel fraßen Unmengen an Strom und eine sinnvolle Verwendung hatte er dafür sowieso nicht.
Beim Durchwühlen der Schreibtischschubladen stieß er auf einen schicken silbernen Mp3-Player und verschiedene Drehtabaksorten samt Utensilien.
Nun hatte er noch einen Player, aber immerhin einen mit Musik. Zumal die dazugehörigen Kopfhörer bedeutend besser waren als der billige Mist der seinen Geräten beilag.
Als er den etwa Textmarker-großen Apparat samt Zubehör aus der Schublade entnahm kam darunter ein unauffälliges kleines Plastiktütchen zum Vorschein.
Hering traute seinen Augen kaum, er nahm das Tütchen, öffnete den Klippverschluss und schnupperte daran.
Es war Tatsächlich Gras.
Es sah gut aus und hatte eine leichte Orangennote im Geruch, wie lange war es wohl her, dass er das letzte Mal einen Joint geraucht hatte? Drei, oder Vier Jahre? Ewig!
Hering hätte sich am liebsten auf der Stelle einen gedreht, entschied sich dann aber doch dazu, dass das eher etwas für die sicheren Räumlichkeiten des Bunkers war.
Er packte Gras und Player ein. Auf dem Schreibtisch fand er noch ein schwarzes Zippo Feuerzeug welches er in seine Jackentasche steckte. Auch ein schöner Fund.
Zufrieden zog Hering seinen Flachmann aus der Brusttasche und nahm einen Zug. Das hatte sich ja mal richtig gelohnt.
Vergnügt ging er zurück ins Treppenhaus.
Plötzlich hörte er scheppernde Geräusche aus dem Untergeschoss, scheinbar war irgendjemand da unten.
Nunmehr angespannt nahm Hering sein Gewehr in Anschlag und schlich leise die Treppen hinunter.
Aus der Küche drangen Schritte und das Knallen von Schubladen.
Langsam bewegte er sich auf die halboffene Küchentür zu, als selbige auf einmal aufgerissen wurde und ihm ein mit einem Rohr bewaffneter Mann schlagbereit entgegen kam, der dann aber inne hielt, als er der Mündung der G36 gegenüberstand.
Einige Sekunden starrten sich die Beiden angestrengt an.
Dann lockerte Hering sich und verzog den Mund zu einem grinsen.
Es war der Schlabberhosenmann.
Der nach wie vor grotesk gekleidete Mann stand ihm weiterhin angespannt gegenüber und drohte mit dem hoch erhobenen Heizungsrohr.
Hering rollte mit den Augen.
>>Jetzt mal Ernsthaft, was willst du mit dem Ding? Wenn ich dich erschießen wollte würde ich es einfach tun und dein Metallknüppel würde daran nichts ändern.<<
Der Mann ließ missmutig das Rohr sinken und lehnte sich gegen den Türrahmen.
>>Ich bin Tom und du?<<
>>Hering.<<
Tom musterte Hering aufmerksam.
>>Und Hering gehörst du zu irgend einer Militärischen Einheit? Also wegen deinen Klamotten und so. <<
>>Ich gehöre zu niemanden.<<
Tom kramte eine Schachtel Zigaretten aus seiner Tasche.
>>Also dafür hast du aber ziemlich krassen Kram, wo bekommt man denn so ein schickes Gewehr her?<<
Hering grinste. >> Ebay.<<
Tom verzog das Gesicht, zündete sich eine Zigarette an und hielt Hering die Schachtel entgegen.
>>Kippe?<<
>>Ich rauche nicht<<
Tom zog die Augenbrauen hoch und steckte die Schachtel wider ein. Nach einigen Zügen, blickte er sich um.
>>Was machst du hier eigentlich?<<
Hering wackelte mit seinen Schultern so das sich der Rucksack bewegte.
>> Wahrscheinlich das gleiche wie du.<<
>>Verstehe.<<
Tom hielt das Rohr so das Hering es sehen konnte und ging langsam seitwärts in Richtung Ausgang.
>>Wenn du hier schon durch bist ist das wohl Zeitverschwendung.<<
Und ohne ein weiteres Wort ging der Fremde davon.
Hering sah ihm Hinterher und dachte nach.
Das war schon ein merkwürdiger Kerl gewesen, bei ihrer ersten Begegnung war er ihm wesentlich ängstlicher und nervöser vorgekommen.
Vielleicht hatte ihn die Nähe trotz des Gewehres etwas offener werden lassen.
Viel hatte er bei seinem ersten richtigen Gespräch mit einem „Einheimischen“ ja nicht gerade erfahren, aber er hatte auch wenig Lust sich mit solchen Leuten zu unterhalten.
Hering widmete sich wieder seinem Flachmann, leerte die letzten Tropfen und griff anschließend nach der Scotch Flasche auf dem Küchentisch um ihn nachzufüllen.
In der Not frisst der Teufel Fliegen, dachte er sich.
Anschließend versicherte sich Hering noch einmal alles gefundene Eingepackt zu haben und begab sich, nunmehr wieder bester Laune, zurück ins Wohnzimmer.
An der Terrassentür angekommen sah er erneut Tom der dort mit einem anderen in Signalfarben gekleideten jungen Mann um die zwanzig stand.
Hering nahm das Gewehr auf Hüfthöhe, doch Tom breitete beschwichtigend die Arme aus.
>>Nur die Ruhe, ich will dir Bloß jemanden vorstellen.<<
Langsam kamen die beiden mit gut sichtbaren Händen auf ihn zu.
Hering behielt dennoch den Finger am Abzug und ließ die beiden nicht aus den Augen, doch als er hinaus auf die Terrasse trat grifft plötzlich eine Hand nach seinem Gewehr. Ein dritter Mann schnellte hinter der Ecke hervor, der sich dort bis dahin verborgen hatte und hieb mit einem Küchenmesser nach Herings Gesicht. Der könnte gerade noch schnell genug ausweichen, so dass ihn das Messer lediglich über die Wange streifte.
Der Angreifer drückte das Gewehr, welches er immer noch mit der Linken festhielt zur Seite, dränge Hering gegen Rahmen der Terrassentür und holte erneut mit der Stichwaffe aus.
Hering versuchte sich wegzudrehen und schaffte es auch beinahe, doch dann durchstach ihn auf einmal ein fürchterlicher Schmerz. Entsetzt sah er an sich herab.
Das Messer stecke bis über die Hälfte in seinem Oberschenkel .
Nun versuchte der Angreifer ihm das Gewehr zu entreißen während er das Messer tiefer in die Wunde drückte >>Nun lass schon, du Spasti<< keifte er.
Hering behielt das Gewehr fest im Griff, doch was sollte er nun tun?
Der Schmerz war unglaublich, Angst und entsetzen machten sich in ihm breit, doch er durfte jetzt nicht in Panik verfallen.
Im Hintergrund sah er Tom und den Anderen, die nun nach anfänglicher Zurückhaltung rasch näher kamen.
Nun hatte er nur noch einen einzigen Gedanken: Jetzt, oder nie.
Hering zog das Bein zurück, suchte am Türrahmen halt und drückte sich wider aller Schmerzen dem Feind mit aller Kraft entgegen, rammte ihm den Lauf des Gewehres in den Bauch und drückte ab.
Scheinbar noch im gleichen Moment in dem der Knall ertönte trat die Kugel mit einem dumpfen Pfeifen wieder aus dem Rücken des Mannes aus, welcher nun nach hinten sackte und sich den Bauch haltend zu schreien begann.
Gerade als Hering das Gewehr zu den Anderen herum reißen wollte traf ihn ein unglaublicher Schlag. Er kippte seitlich von der Terrasse. Das Gewehr entglitt seinen Händen und für einen kurzen Moment war alles Schwarz.
Als er wieder sehen konnte lag er mit dem Rücken auf der Grünfläche vor den Holzstufen und hatte einen fürchterlichen Pfeifton in den Ohren und hörte kaum etwas.
Über ihm stand Tom. Tom mit dem Verfluchten Heizungsrohr.
Hering musste lachen.
Tom zielte das Rohr leicht schwingend auf Herings Kopf als wäre er ein Golfball.
Doch Hering schaute nicht zu Tom, schaute nicht zu dem schreienden Mann der sich auf der Terrasse krümmte.
Hering schaute in den Himmel. Es schneite. Er mochte Schnee. Schnee hatte etwas beruhigendes, ähnlich wie Regen.
Das hier ist genau so gut wie alles Andere ... also was solls, dachte er sich und lächelte.
Dann ertönte ein lauter Donner der durch das Pfeifen in seinem Kopf brach.
Doch nichts weiter passierte, Er sah noch immer den Himmel und den Schnee der langsam auf sein Gesicht hinunter rieselte.
Was war geschehen?
Langsam ließ das Pfeifen nach und sein Gehör kehrte zurück. Er hörte eine Stimme, nicht eine Stimme.
Das schreien des Mannes auf der Terrasse?
Nein, nun schrien zwei Männer und da war noch etwas.
Plötzlich wurde er am Arm hochgezogen.
Schmerz durchfuhr seinen Körper, seinen Kopf, sein Bein. Sein Bein? Das Messer das darin steckte war verschwunden, stattdessen trat unentwegt Blut aus der Wunde welches sein durchtränktes Hosenbein hinunter in eine kleine Lache floss.
Hering blickte auf. Neben ihm stand ein kräftiger, kahl geschorener Mann, der sich seinen Arm um die Schulter gelegt hatte, ihn mit der einen Hand fest hielt und in der anderen einen Großkalibrigen Revolver trug.
>>Wer zur Hölle bist du?<<
>>Karl, wir müssen hier Weg, packst du das?<<
Hering hörte immer noch nur auf der einen Seite. Er tastete nach seinem Ohr und stellte fest, dass der obere Teil scheinbar stellenweise zerquetscht war.
>>Jj... Ja, aber zuerst das Gewehr, wir lassen nicht das verdammte Gewehr hier.<<
Karl seufzte, lehnte Hering gegen die Hauswand, hob das Gewehr auf und hängte es ihm um die Schulter.
Erst jetzt wurde Hering sich der Situation bewusst.
Tom saß brüllend auf dem Boden, in seinem Unterschenkel klaffte eine riesige Schusswunde, der Mann auf der Terrasse hingegen gab nur noch unzusammenhängende, weinerliche Laute von sich und der Dritte im Bunde war scheinbar getürmt.
Karl nahm Hering am Arm über seine Schulter und beide verließen langsam den Hinterhof.
Als sie bereits einige Meter vom Haus entfernt waren musterte Karl Hering und schüttelte den Kopf.
>>Meine Fresse, was du da alles Hast. Vollschutzmaske, Feuerwaffen, Munition. Ich will gar nicht wissen wo du das her hast, aber damit kannst du doch nicht einfach so unbedacht herumlaufen. Der Kram ist mehr als nur ein Menschenleben wert, du kannst froh sein, dass es nur drei Spinner mit Rohren und Küchenmessern waren.
Aber mach dir keine Sorgen das werden schon sehr bald mehr sein, wir müssen schnell so weit wie möglich weg von hier und sehen wie wir dein Bein verarzten, sonst verreckst du mir hier noch, und dann wäre die ganze Nächstenliebe ja für den Arsch gewesen.<<
Er lachte dreckig.
Hering blickte auf und starrte ihn irritiert an.
>>Was? <<
>>Ach, nichts. Ich hoffe mal, du kennst dich hier aus und kannst mir sagen, wo ich dich hin schleifen soll?<<
>>Bunker ... ein Bunker, gleich die Straße runter.<<
Hering ächzte, schwerfällig stapften sie durch den Schnee und näherten sich langsam dem Bunker.
Karl stutzte und hob den Kopf.
>> Scheiße, es schneit nicht mehr.<<
Tatsächlich es war Hering zuerst gar nicht aufgefallen, aber ja der Schnee hatte Nachgelassen.
>>Na und?<<
Karl schaute ihn an, verdrehte die Augen und zog ihn nun in bedeutend strafferem Tempo hinter sich her.
Hering grübelte kurz.
Aber natürlich, das Blut. Er musste sich eingestehen gerade alles andere als auf der Höhe zu sein.
Am Zaun angekommen öffnete Hering eilig, aber ungelenk das Tor und verschloss es von der anderen Seite wieder.
Als er gerade die Zahlenkombination auf der Schaltfläche neben der Stahltür eingab durchfuhr ihn ein Gedanke und er sah zu Karl hinüber.
Das war nicht gut. Das war definitiv nicht gut. So war das nicht geplant...
Doch bevor Hering weiter nachdenken konnte hörten sie auf einmal aufgeregte Stimmen welche sich von der Straße aus näherten. Hering öffnete hastig die Tür.