[ex 16] Drive Like That (Roadmovie/Action)

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Lilly
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[ex 16] Drive Like That (Roadmovie/Action)

Beitrag von Lilly »

Vorwort
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So, ich muss auch mal wieder hier was posten. Auch wenn ich jetzt ewig geschwiegen habe, war aber auch nichts Los in der Schreiberecke. Dieses Stück hier soll mal etwas ganz anderes werden, und ich möchte kurz den Hintergrund erörtern. Seit nicht ganz einem Jahr höre ich sehr gerne moderne Country Musik. Gibt es in Deutschland eigentlich gar nicht, aber wir haben ja das gute liebe Internet. Irgendwie ein Countrysong sollte die Geschichte sein, und sie sollte was mit Autos zu tun haben. Klingt nicht unbedingt nach einer guten Basis, und nicht ganz passend für ein Fantasy/Sci-Fi Forum, aber lasst euch überraschen. Und auch wenn es sehr ruhig los geht, es wird bestimmt noch spannend. Zumindest habe ich das vor. Erwarten dürft ihr also Country-Kitsch und Verfolgungsjagden vor der spektakulären Weite Wyomings. Und noch einiges mehr, das hier jetzt spoilern würde.
Prolog

She's sick of this town, she's sick of this boy,
She's sick of dreams that never take flight.
There's got to be more than the same old Stories,
so she's gonna turn the page tonight.

she's got the radio on. She's got the windows down.

She's got the pedal to the flore
in a hand me down Ford,
So the only thing that's left to do
Is catch a couple green lights
And this Baby blue eyes
Are leaving nothing in that rearview,
Nothing, but dust

(Eli Young Band: Dust)

First Part: Strangeness, Charm & a Hot Pursuit

„Lee! Lee! Komm endlich runter. Daddy hat gekocht.“, tönte es aus dem Untergeschoss.

Lee sah zum Fenster hinaus über die goldenen Weiden. Die Sonne dachte noch nicht im Geringsten daran, unterzugehen. Es war warm diesen Sommer. Und es war gerade einmal sechs Uhr am Nachmittag. Aber wenn sein Vater sich entschlossen hatte, zu kochen, sollte er der Aufforderung trotzdem nachkommen. Zumal er wirklich nichts Besseres zu tun hatte, außer Computer zu spielen. Allerdings hatte er in den letzten Wochen viel zu viel gespielt, und auf Dauer wurden auch die besten Spiele langweilig. Also schaltete er den Rechner ab, während er rief: „Sicher, Mum, bin schon unterwegs.“

Schwungvoll stieg er die alte Holztreppe des Ranchouses hinunter und schwang sich an den Tisch. Sein Vater musste sehr früh frei gehabt haben, aber das kam oft vor. Das, dachte Lee, ist Teil des Lebens in Butterflycreek County.

Willkommen in Wyoming. Lees Mutter verteilte Braten und Salat. Lees Augen wurden größer, während ihm das Wasser im Mund zusammenlief. An seinem Vater war ein großer Koch verloren gegangen. Aber Anthony Crow war nun mal Richter geworden, und an dieser Sache würde sich auch nichts mehr ändern.

„Irgendwas Interessantes bei der Arbeit passiert?“, fragte er seinen Vater zwischen zwei Bissen.

Der Richter schüttelte den Kopf, aber es war keine verneinende Geste.
„Der Curlington-Fall zerbricht mir den Kopf. Die Öffentlichkeit erwartet von mir, dass ich diesen Trucker zum Tode verurteile. Schließlich sind es Deirdre Scott und ihre Kinder gewesen, die Opfer des Unfalls wurden. Aber wenn man das Gesetz betrachtet, ist einschlafen am Steuer grob fahrlässig, mit der Fahrerflucht kann man auch einen Todschlag daraus drehen. Aber das hier ist kein Mord. Warum musste das ausgerechnet auf unserem Stück Highway passieren?“, erzählte Anthony.

Lee nickte langsam, während er antwortete.
„Deirdre war die Schwester des Pfarrers und auf jeden Fall ein besserer Mensch als Er. Ich kann die Leute verstehen. Sie wollen Rache für den wohl liebsten Menschen im County. Andererseits hast du Recht. Curlington ist ein Idiot, aber es war keine Absicht hinter dem Vorfall. Er ist sicher kein Mensch, der aus Spaß unschuldige Leute über den Haufen fährt.“

Der Richter schüttelte noch einmal den Kopf.
„Ich frage mich, warum seine Anwälte mich nicht ablehnen. Es wäre ein sehr leichteres, mich der Befangenheit zu bezichtigen. Schließlich werden eine Menge Leute eine Zeit lang nicht mehr mit mir reden, wenn ich aus ihrer Sicht zu nett zu ihm bin. Und ich sage euch, die Auswahl zwischen mit all meinen Prinzipien zu brechen oder sich die Bevölkerung dieses liebenswerten Ortes zu Feinden zu machen, ist nicht wirklich nett. Fast hoffe ich auf einen Verfahrensfehler, und dass sich damit die ganze Sache in Wohlgefallen auflöst.“

Nun schaltete sich auch seine Frau in das Gespräch ein. Susanne Crow war meist eine recht schweigsame Frau. „Vielleicht solltest du aus Befangenheit ablehnen. Wenn du darlegst, das hier kein fairer Prozess gemacht werden kann, soll sich doch ein anderes County darum kümmern.“

„Bloß nicht!“, erwiderte Lee sofort.

Seine Eltern stoppten mitten im Essen und wandten sich ihm zu. Energische Ausrufe waren sie von ihrem Sohn nicht gewohnt.

„Die Ablehnung dieses Falles wäre ein öffentliches Eingeständnis von dir, Dad, dass du dir die Öffentliche Meinung zu sehr zu Herzen nimmst. Ich sehe schon die Schlagzeilen in Misses Willcox‘ Käseblatt vor mir. Die Leute werden schreien, dass du Feige bist, und falls du jemals noch mal Karriere machen möchtest, kannst du es auch vergessen. Jemand der wegen so etwas einen Fall ablehnt, ist höheren Behörden nicht integer genug.“, erklärte Lee seinen Standpunkt.

Ein kurzer Moment des Schweigens legte sich über das Abendessen.

„Leland Quayle Crow, du erstaunst mich immer wieder. Nicht nur das du absolut recht hast. Übrigens, auch wenn mich die Öffentliche Meinung schwarz ärgert, werde ich mich ihr niemals beugen. Du bist sehr viel heller, als du scheinst. Hast du dir endlich überlegt, was du mit deinem Leben machen möchtest? Du hast das Zeug zu einer Menge Dinge, was immer du studieren willst. Das wird schon werden.“, antwortete sein Vater.

Doch Lee machte nur eine wegwerfende Handbewegung. Er hatte gerade nicht die geringste Lust, über seine Zukunft zu reden. Also gab er nur seine Standartantwort:
„Das sag ich euch, wenn in diesem County ein College aufmacht.“

Sein Vater wusste, dass er ihm nur auswich, aber er hatte nach diesem anstrengenden Tag nicht die geringste Lust, mit seinem Sohn zu diskutieren. Also redeten sie über andere Dinge, wie etwa die anstehende Bürgermeisterwahl.

Nach dem Essen sprang Lee als erstes auf. Er griff sich seinen Hut und rief halb im Gehen: „Ich geh noch eine Runde raus.“, als ob das nicht offensichtlich war.
Aber er musste raus, weit weg von jenem Haus. Nur mit Gehen hatte seine Beschäftigung nicht viel zu tun, wenn man von dem Gang zu Garage absah.

~~~~

Lee schob das große Holztor der Scheune zur Seite und befestigte es. Dieser Ort war sein Reich, und dort stand er. Der 65 Ford Mustang, in wunderschönem Feuerrot.
Eigentlich alle Jungs in der Gegend hatten ein Auto, viele auch einen Klassiker, aber Lees Stück war etwas ganz besonderes. Seit er etwa fünf Jahre alt war, hatte er eine solches Auto haben wollen, und seit damals auch auf eines gespart. Er war viel zu Stolz, Geld von seinem Vater anzunehmen. Der Mustang war sein Projekt. Als er schließlich 15 war, hatte er genug Geld gehabt, um einen zu kaufen.

Allerdings war das Fahrzeug damals in einem katastrophalen Zustand gewesen. Es konnte fahren, allerdings sah es fürchterlich aus. Zwei Wochen verbrachte Lee damals nur damit, es zu säubern. Das Ergebnis war ernüchternd.
Der Vorbesitzer hatte das Fahrzeug viel genutzt, daher waren stets die nötigen Reparaturen durchgeführt worden, so dass die Technik in einem brauchbaren Zustand war. Der Rest sah allerdings aus, als hätte man ihn zur Feldarbeit missbraucht.

Das Verdeck hatte man seit Ewigkeiten nicht mehr geöffnet, was auch bei all den Löchern nicht nötig schien. Also ging erneute Sparerei los. Den Innenraum restaurierte Lee hauptsächlich selbst, mit allen möglichen Teilen, die er im Internet beschaffen konnte. Das dauerte eine Ewigkeit, schließlich hatte Lee all diese Dinge noch nie gemacht.

Dazu musste er das Fahrzeug komplett neu lackieren lassen, was fast genauso teuer war, wie es zu kaufen. Aber irgendwann war es komplett, und Lee war immer noch stolz auf all seine Arbeit und Geduld. Nun konnte er behaupten, dass er das am besten gepflegte Auto im ganzen Bundesstaat besaß, und damit hatte er wahrscheinlich sogar Recht.

Wenn das Wetter im gerade nicht erlaubte, mit seinem Lieblingsstück durch die Gegend zu rasen, polierte er den Lack oder pflegte die Ledersitze. Heute aber musste er fahren.

~~~~

Mit einer schwungvollen Bewegung sprang er in den Fahrersitz, ohne die Türen zu öffnen – und ohne mit den Schuhen das weiße Leder zu berühren. Er drehte den Schlüssel und hörte sich ein Moment das melodische Brüllen des alten Reihen-Sechszylinders an. Dann gab er vorsichtig Gas und fuhr vom Hof.

Raus, das Radio an, ein wenig Wind in den Haaren. Er hatte kein Ziel, er musste nur raus. Die Worte seines Vaters gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf.

Er lenkte seinen Wagen auf eine Wenig befahrene Landstraße. Eine Sache hatte er sehr schnell gelernt. Der Highway war kein guter Ort, um schnell zu fahren. Die Highway-Patrole hatte nur diese paar Straßen zu bewachen, und dafür eine Menge Leute.

Die vielen Straßen zwischen den unzähligen Kleinstraßen hatten nur einen Scheriff und vielleicht fünf Deputies, die meistens mit entlaufenen Kühen, kleineren Diebstählen und anderen Vorfällen überarbeitet waren, und somit eher selten Zeit hatten, sich mit Geschwindigkeitskontrollen zu beschäftigen.
Allerdings sollte man sich niemals darauf verlassen, und sobald man irgendein anderes Fahrzeug sah, lieber vernünftig fahren.

~~~~

Aber über all diese Dinge machte sich Lee an jenem Tag sowieso keine Gedanken. Er war über den Punkt hinaus, an dem er sich selbst beweisen musste. Er wusste, was er konnte, und er war viel zu durcheinander um am Limit zu fahren. Er brauchte nur den Wind und seine Einsamkeit.

Er schaltete das Radio wieder aus. Die Musik machte ihn anders als sonst nervös.
Was wollte er mit seinem Leben anstellen? Auf welches College gehst du? Eigentlich hatte Lee nur einen einzigen Traum, und das war Rennfahrer werden. Allerdings gab es dafür keine Colleges. Mitten in Wyoming gab es noch nicht mal einen Motorsportclub. Hier trafen sich Dirtbiker und 4x4 Fahrer, für die gab es auch alle möglichen Strecken. Aber für klassische Autorennen? Dafür musste man in die großen Städte. Überhaupt, alle erfolgreichen Rennfahrer fuhren bereits als Kinder Kartrennen und wuchsen mit diesem Sport auf.
Es gab einfach keinen Ort, wo man hingehen konnte und sagen: „Hey, ich möchte Rennfahrer werden.“

Soweit war sich Lee darüber klar, und er konnte akzeptieren, dass er niemals Rennen fahren sollte. Aber der andere Punkt war, dass er unheimlich an seiner Stadt hing. Er wollte nicht weg aus Butterflycreek County, nicht einmal aus seiner Heimatstadt.

Allerdings die Frage war nur, was er in dieser Stadt anstellen sollte. Es gab nicht gerade einen Mangel an Arbeit, aber er war nicht in einen Betrieb geboren, den er einfach eines Tages übernehmen sollte. Was konnte man in einer Kleinstadt werden? In Wyoming eigentlich eine ganze Menge. Jedes County hatte sein Krankenhaus, seine Verwaltung, und alles was so dazu gehörte. Lee hatte die nötigen Noten um Medizin zu studieren, wenn er nur wollte. Oder Jura.

Aber er fand noch immer nichts, was ihn faszinierte. Er schüttelte etwas frustriert den Kopf. Es war immer dasselbe.

~~~~

Ein merkwürdiges Geräusch ließ ihn auffahren. Irgendwas an seinem Auto stimmte nicht. Der Motor sollte ganz und gar sauber laufen, und er konnte die geringste Ungenauigkeit hören.

Bevor die Geräusche schlimmer wurden, hielt er lieber an. Er fuhr an den Rand und stellte sein Auto ab.
Harry wird sich freuen, dachte er. Harry war ein guter Freund von Lee, der auf einer Farm außerhalb der Stadt lebte und für seinen Truck einen Hänger besaß, auf den man Autos laden konnte.

Es kam nicht oft vor, das Harry ihn abschleppen musste, aber wenn es vorkam, dann zu unmöglichen Tageszeiten. Samstagabends um neun zum Beispiel.

Lee fuhr in seine Tasche und machte ein gequältes Gesicht. Hatte er doch tatsächlich sein Handy auf seinem Schreibtisch liegen gelassen.

Er blickte die Straße rauf und runter. Samstagabends war die kleine Straße, die nicht mehr verband als ein paar abgelegene Höfe, nicht gerade viel befahren. Es sei denn, jemand kam von Highway und wollte nach Perlington.
Aber Perlington war auch für wyominger Verhältnisse eine sehr kleine Stadt. Die Einwohner fragten sich seit Jahren, wann man ihnen die Verwaltung abnehmen und sie irgendwo eingemeinden würden, zwecks Einsparungen. Inzwischen war man sich fast einig, dass das dafür nötige Dokument wahrscheinlich hinter irgendeinen Schrank gerutscht war und damit auch in den überarbeiteten Gehirnen der Bürokraten verloren gegangen war. Aber in Perlington störte sich keiner daran.

Umso überraschter war Lee, als er von Highway her ein Auto kommen hörte. Er starrte in die Ferne, doch sein Mut wurde kleiner als er das Fahrzeug erkennen konnte.

Es war ein kleiner Zweisitzer, exotisch, ein Europäer. Er brauchte einen Augenblick, um einzuordnen, was er dort sah. Audi TT.
Audis gehören zu den selteneren Gefährten auf Amerikas Straßen, und in Wyoming sah man sieh erst recht nicht häufig.
Sie waren teuer und nicht besonders bekannt. Aber wer einen Audi Flitzer fuhr, der hielt sicher nicht an, um irgendwem zu helfen. Lee winkte trotzdem heftig, und zu seinem Erstaunen wurde das Fahrzeug wirklich langsamer und hielt an.

Es dauerte einen kleinen Moment, bis sich die Tür öffnete.
Zuletzt geändert von Lilly am Mo 9. Nov 2015, 11:20, insgesamt 2-mal geändert.
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Katiras und M'Tre'Tachos Lied
Na, Neugierig? ~~~
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Re: [ex 16] Drive Like That (Roadmovie/Action)

Beitrag von Lilly »

Heilige Scheiße, wo kommt die denn her, dachte Lee, als sich ein großes, schwarzhaariges Mädchen aus dem Auto schlängelte. Korrigiere, dachte Lee, junge Frau. Definitiv Frau.

Lee war sich nicht sicher, wie alt sie war. Sie strahlte Erfolg los, ein junger Anwalt oder eine Geschäftsfrau. Ihre Kleidung und ihr gesamtes Auftreten strahlten eben jenen Reichtum aus, der äußerst stilvoll, aber nicht aufdringlich oder protzig wird.

Für Lee war sie genau das Ebenbild jener Leute, die ein schickes Apartment in Manhattan bewohnten. Sie wirkte mitten auf einer Landstraße in Wyoming absolut deplatzier, von den spitzen, schwarzen Pumps bis zu dem perfekten Mascara. Sie schien sich aber nicht daran zu stören, dass sie wie in einem grotesken Werbefilm wirkte, sondern schritt ganz selbstverständlich zu ihm rüber.

„Was kann ich für dich tun?“, fragte sie lächelnd.

Aus der Nähe erkannte Lee, dass sie kaum älter war als sie selbst. Das verwirrte ihn noch mehr, also kramte er zunächst einmal seine Abneigung gegen Städter raus.

„Ich bin liegen geblieben. Könnte ich vielleicht einmal telefonieren.“, sagte er so distanziert, als spräche er mit seinem Schuldirektor.

Manhattan Apartment musste sich ein Lachen verkneifen.
„Sicher.“, antwortete sie, „Darf ich mal sehen?“ Sie machte eine Handbewegung in Richtung Motorhaube.

Lee war so überrascht, das er plump, „Meinst du das ernst?“, antwortete.

„Sicher.“, sagte Manhattan Apartment und lächelte geheimnisvoll.
Lee fragte sich, ob diese Art zu lächeln wohl in ihrer Schule gelehrt wurde.

Mit einer etwas ungelenken Bewegung drehte sich Lee zu seinem Auto um und öffnete die Haube. Das Mädchen beugte sich über den offenen Motorraum und sah sich prüfend um.

„Ist der wirklich stehen geblieben, oder hat der bloß angefangen, komisch zu klingen?“, fragte sie geschäftig.

„Geräusche .“, erwiderte Lee, "Motor selbst würde ich sagen. Aber bevor mehr kaputt geht…“

Das Mädchen grinste breit. „bleibt man lieber stehen, zumindest bei einem so schönen Stück wie diesem.“, beendete sie seinen Satz.

Sie lehnte sich ein Stück nach vorn und fummelte ein wenig rum.
„Start mal und schau ob es weg ist.“

Lee setzte sich mechanisch auf den Fahrersitz und drehte den Zündschlüssel.
„Ist wirklich besser.“, rief er erstaunt.

Manhattan Apartment stellte sich wieder aufrecht hin und grinste verschmitzt. Mit den nun hochgeschobenen Blazerärmeln und den dreckigen Händen sah sie recht grotesk aus.

„Danke dir.“, sagte er und streckte ihr seine Hand hin. „Ich bin übrigens Lee.“

Das Mädchen ergriff die Hand kräftig.
„ Keine Ursache, Lee. War nur ein wackeliges Zündkabel. Ich bin Clementine. Aber alle nennen mich Len.“

Nun grinste Lee. Len wirkte, wen sie redete nicht so fremd, wie sie aussah. Also wagte er es, ihr eine Frage zu stellen.
„Wo kommst du her?“ Er merkte nicht wie, Len für den Bruchteil einer Sekunde zusammenzuckte.

„Dallas.“, antwortete sie kurz.

Lee pfiff leicht durch die Zähne. „Dallas ist ein ganzes End weg von hier. Was macht jemand wie du in der Mitte von Wyoming?“, fragte er weiter.

Doch nun war das geheimnisvolle Lächeln wieder da. „Sommerurlaub.“, sagte Len, doch Lee war klar, dass das nicht die ganze Wahrheit war.

„Nun Len, willkommen in Butterflycreek County. Kann ich mich vielleicht irgendwie bei dir revanchieren.“
Das klang irgendwie ziemlich dämlich, aber Lee viel einfach kein sinnvoller Satz ein. Len aber nahm ihn einfach beim Wort.

„Nun, kommt drauf an. Du könntest mir eine Unterkunft besorgen, zu mindestens für heute Nacht.“

Lee starrte sie einen kleinen Moment lang überrascht an. Er musste daran denken, dass man ihm als kleines Kind beigebracht hatte, nicht in fremde Autos zu steigen. Er fragte sich, ob man Len so etwas auch gesagt hätte. Andererseits, er hätte ihn auch nicht gewundert, wen Len eine ausgewachsene Pistole in ihrer Tasche trug – und damit exzellent umgehen konnte – oder eine begabte Karatekämpferin war.

„Also schön, komm mit.“, sagte er und bestieg sein Auto.

Während er den Mustang drehte, stieg Len in ihren eigenen Wagen. Da Lee kein Ort eingefallen war, an dem er Len einfach mit nach Hause. Er fuhr in die Autoscheune und deutete an, dass sie ihm folgen sollte. Sie parkte ihren Wagen neben Lees Alltagsfahrzeug, einem betagten aber gut gepflegten Bronco. Sie stieg aus und sah sich in der kleinen Werkstatt um.

„Cool.“, sagte sie, als sie ausstieg. Lee grinste schief.

„Meine Eltern kauften diesen Hof, aber sie sind keine Farmer. Also habe ich mir die Scheune unter den Nagel gerissen.“
Lee wies auf eine Leiter, die auf den alten Heuboden führte. „Dort oben ist meine Lounge. Ein Bett, ein paar Sofas, ein Kühlschrank und eine kleine Spüle. Kein Hotel mit Badezimmer, aber wird schon reichen.“

Len holte sich ihre Reisetasche aus dem Kofferraum, hängte sie sich über die Schulter und stieg die Leiter hinauf. Lee beobachtete sie fasziniert, allerdings ruhte sein Blick nicht etwa auf ihrem Hinter, sondern ihren Füßen. Es war ihn ein großes Rätsel, wie man so sicher in Pumps eine Leiter hinaufklettern konnte, mit einer großen Tasche.
„Ich geh was zu trinken holen.“, rief er ihr hinterher.

~~~~

Während er zum Haus rüber ging, fragte er sich, was er eigentlich gerade tat. Er hatte ein wildfremdes Mädchen eingeladen, die Nacht im Haus seiner Eltern zu verbringen. Zugegeben, gefährlich war jetzt nicht gerade ein Adjektiv, das er zwischen überwältigend und auf jeden Fall reich einreihen würde, sollte er sie beschreiben.
Das war ganz gewiss nicht seine Art, vor allem weil es normalerweise nicht möglich war. Er kannte die Leute in seinem Alter, zumindest in seiner Heimatstadt. Nicht das ganze County, aber wenn jemand von wo anders kam, wurde er zumindest vorgestellt und war mit irgendjemandem zusammen, den Lee auf jeden Fall kannte. Aber über dieses Mädchen wusste er nur, dass sie aus Dallas kam und ihr Vorname Clementine war.

Daher hatte er auch keine Lust, seinen Eltern sein Verhalten zu erklären. Sie hatte sich um sein Auto gekümmert. Das war für seine Eltern wohl kaum ein Argument. Andererseits wollte er ihre Anwesenheit nicht vor ihnen verheimlichen. Soweit er wusste, hatte sie nichts verbrochen, also sollte er sie auch nicht verstecken. Während er in die Küche durch die Schränke kramte, beschloss er, die Wahrheit am besten ein wenig zu dehnen.

„Mum?“, rief er Richtung Wohnzimmer. Von daher plärrte der Fernseher.
Sein Vater hatte sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen und brütete wahrscheinlich noch über dem Curlington-Fall.

„Du bist schon zurück? Was gibt’s.“, kam prompt die Antwort.

„Ein Freund von mir übernachtet in der Scheune, nur dass du dich nicht wunderst.“ Das war nichts besonders ungewöhnliches.

Lee griff zwei Flaschen Wasser, zwei Flaschen Bier und dann noch eine Packung Kekse und tat alles in eine Einkaufstüte. Er hatte keine Ahnung, was Clementine so mochte. Aber normalerweise verschmähte niemand Kekse und kein Mensch auf dieser Welt reagierte allergisch auf Wasser.
Bevor seine Mutter nähere Fragen zu dem Freund in der Scheune stellen konnte, war er wieder aus der Tür verschwunden und lief zurück zu Scheune.

~~~~

Eigentlich hatte er Len nur in der Scheune übernachten lassen wollen und am nächsten Morgen wo auch immer hin verschwinden lassen, aber er war neugierig geworden. Entschlossen trat er in die Scheune. In den letzten Wochen war so wenig losgewesen, das ein Abend mit einer Unbekannten eine willkommene Abwechslung darstellte. Seine Computerspiele liefen ihm schließlich nicht weg.

Da es keine Tür zum Anklopfen gab, rief Lee laut: „Ich bin wieder da, kann ich hochkommen?“

„Sicher.“, tönte es von der oberen Etage.

Lee kletterte die Leiter wieder hinauf. Genauso leichtfüßig wie Len, aber er hatte auch mehrere Jahre Übung und Turnschuhe an.

Der Boden der Scheune war sehr geräumig, und Lee hatte es sich dort äußerst gut eingerichtet. Es war nur ein einziger, riesiger Raum, aber dadurch entstanden ganz neue Möglichkeiten. An der einen kurzen Wand befand sich eine kleine Küchenzeile. In der Mitte ein Couchtisch mit diversen Sofas darum und an der gegenüberliegenden Wand ein großes Bett. Dazu an der langen Wand eine bunte Mischung aus diversen Regalen und Schränken.
Da Lee die meisten Stücke selbst hatte bezahlen müssen – du hast ein Zimmer, schaff deine Möbel rüber wenn du da wohnen willst, aber zwei brauchst du nicht – waren die meisten Alt, aber das ganze hatte einen unverkennbaren Scharm.

Auf den Regalen und Kommoden lagen alle möglichen Dinge, die Lee angesammelt hatte. Viele waren Dinge die mit dem Westen und Indianer oder mit Autos und Motorsport zu tun Hatte. An der Wand hing ein riesiges Luftbild des Nürburgringes. Irgendwann hatte Lee einmal beschlossen, dass die erste Reise seines Lebens nach Deutschland führen würde, und zu seiner Erinnerung dieses Bild im Internet gekauft und dort aufgehängt.
Auf der einen Seite befand sich keine Wand, sondern eine Galerie, von der aus man in den vorderen Teil der Werkstatt und auf das große Haupttor blicken konnte.

Lee stellte die Tüte mit den Sachen auf den Tisch. Er war immer wieder stolz, wenn er hier oben stand.

„Nicht schlecht.“, meinte Len schließlich. Sie kam zu ihm rüber und setzte sich auf eines der Sofas.

„Ja, nur im Winter viel zu kalt und zugig. Und da ich im Moment so viel Zeit mit meinem Computer verbringe, bin ich noch nicht für den Sommer umgezogen. Dem ist es hier nämlich ein wenig zu staubig. Außerdem gibt es nur kaltes Wasser.“, erwiderte Lee und setzte sich ebenfalls, ihr gegenüber.

Len hatte sich in der Zwischenzeit umgezogen und trug nun eine Jeanshose und ein einfaches T-Shirt. Sie passte so viel besser in ihre Umgebung und machte Lee Mut, mit ihr zu reden. „
Also, was treibt dich hier her?“, fragte er im Plauderton.

„Die Schule ist seit ein paar Wochen rum, ich habe nicht viel zu tun, und dachte, dass ich genauso gut ein wenig Urlaub machen könnte.“, antwortete Len schulterzuckend.

„Und heute Morgen bist du aufgewacht und hast festgestellt, dass du noch nie in Wyoming warst. Also bist du in dein Auto gestiegen und losgefahren.“, fuhr Lee grinsend fort.

„So ungefähr kann man es ausdrücken.“, erwiderte Len. „Wenngleich auch nicht geplant war, dass ich mich bei irgendeinem wildfremden Jungen einquartiere. Ich frage mich, wer von uns der verrücktere ist. Du mich einfach einzuladen oder ich mit dir zu gehen.“

„Das ist schwer zu sagen. Ich bin allerdings niemand, der Junge Frauen verschleppt um ihnen irgendwas anzutun. Und du bist ein Privatschulmädchen, das sich mit Autos auskennt.“

Len grinste breit und zuckte mit den Schultern.
„Jeder braucht ein Hobby, und Privatschulen sind ein hartes Pflaster. Ich wollte immer Dinge tun, die die anderen nicht taten. Eines Tages sah ich einen Cadillac aus den Zwanzigern an einer Ecke stehen und sagte zu meinen Eltern, dass ich so einen gerne haben würde. Mein Vater trieb einen auf, allerdings war der in keinem besonders guten Zustand. Das alte Ding war allerdings schön einfach gestrickt, so dass man daran wunderbar lernen konnte, wie ein Auto funktioniert. Dauerte natürlich etwas, aber anstatt mit meinen Schulkollegen schoppen zu gehen, vertrieb ich mir die Zeit mit dem lesen von Handbüchern und Lehrbüchern für Mechaniker. Der Cadillac war der Anfang vom Ende meiner Vernunft, wenn man meine Mitschüler fragt. Aber meine Eltern fanden ich hätte ein sehr viel sinnvolleres Hobby gefunden, als mehr Klamotten zu kaufen, als es Tage im Jahr gibt, um sie anzuziehen.“

„Da stimme ich ihnen zu. Wahrscheinlich ist es auch nicht teurer. Auch wenn ich jedes Teil mühsam ersparen musste.“

„Es ist deutlich billiger. Außerdem ist auf Geld zu sitzen nicht alles. Es kann einen aus so manch einem Kreis ausschließen, ist aber nicht unbedingt der Zugang zu anderen. Außerdem würde ich nicht gerade das Adjektiv arm auf dich Anwenden.“, antwortete Len mit Nachdruck.

„Nun, das bestimmt nicht.“ Lee hatte den Eindruck, dass mehr dahinter steckte, als bloß der Inhalt ihrer Worte. Allerdings machte Len nicht unbedingt den Eindruck, als wollte sie über Geld reden, oder was für Erfahrungen sie mit ihrem gemacht hatte. Also entschloss er sich, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.
„Es ist nett, mal ein Mädchen kennen zu lernen, dass sich für Autos interessiert.“

„Und es ist nett, mal einen Jungen kennen zu lernen, der sich wirklich dafür interessiert, und nicht bloß eine Schnelle Karre zum Angeben braucht.“, gab Len die Vorlage gekonnt zurück.

„Stolz gehört auch bei mir dazu.“, sagte Lee leicht geniert.

„Das mein ich nicht. Du hast etwas gewollt und dafür viel Zeit und Mühe investiert. Und du wolltest es nicht, weil alle es haben und man dann ein noch besseres braucht.“
Len seufzte einmal und holte tief Luft. Etwas unsicher fragte sie dann: „Glaubst du, es ist möglich, dass ich ein paar Tage lang hier bleibe. Nicht lange, ich brauch nur ein paar Tage lang einen Tapetenwechsel.“

Lee wusste nicht recht, wie er darauf reagieren sollte. Andererseits, er hatte sie schon einmal eingeladen, auf den Rest kam es nur auch nicht mehr an.
„Du kannst es ja versuchen. Dann muss ich dich Morgen aber meinen Eltern vorstellen. Erspar ihnen nur bitte die Details darüber, wie wir uns kennengelernt haben. Sonst fragen sie sich, ob ich völlig den Verstand verloren habe.“

Len grinste. „Super. Kein Problem. Ich werde schon niemandem vor den Kopf stoßen.“

„Wenigstens habe ich die nächsten Tage nun was zu tun. Wenn du magst stell ich dich ein paar Leuten vor. Zeig dir, wie man in Wyoming Partys feiert und wenn du bis nächstes Wochenende bleibst, nehme ich dich mit zum Rodeo in Crowpeak. Das größte Rodeo im County.“

„Gerne. Du hast wohl auch nicht viel zu tun, seit die Schule vorbei ist. Weißt du schon, was du machen möchtest?“

Lee kniff für einen Sekundenbruchteil die Augen zusammen. Musste ihm heute jeder diese Frage stellen. Andererseits hatte Len das sicher nicht böse gemeint, schließlich war es keine ungewöhnliche Frage für Leute in seinem Alter.

„Wenn ich freie Wahl hätte, Rennfahrer werden. Aber da das keine wirkliche Option ist, nein, ich weiß es nicht. Ich habe einfach noch nichts gefunden, was mich fasziniert. Und du?“

„Jura studieren. Am liebsten Richter werden. Überall nur nicht in New York. Hast du schon mal darüber nachgedacht, das hier zu deinem Beruf zu machen?“, Len machte eine Handbewegung durch die Garage. „Du magst Oldtimer, warum nicht mehr damit zu tun haben?“

Lee war sehr erstaunt, dann lachte er. „Ich bin viel weniger ein Mechaniker als du. Und außerdem sind wir hier mitten im Nirgendwo. Wo so wenige Leute leben, scheint mir ein solches Geschäft ein wenig zu speziell.“

„Da bin ich mir nicht so sicher. Denk einfach mal darüber nach.“

„Und du denk über deine Wünsche nach. Ich bin das Kind eines Richters. Und auch wenn hier nicht besonders viel los ist, es gibt doch immer wieder Zeiten, wo ich froh bin, nicht seinen Job zu haben. Entscheidungen über das Schicksal anderer zu fällen ist nicht immer toll, vor allem wenn man an das Gesetz gebunden ist. Aber wie ich ihn kenne, wird er sich gerne mit dir über deine Träume unterhalten. Sei nicht zu nett zu ihm, sonst kommt er noch auf die Idee, dass ich dich heiraten sollte.“

„Besser, als Entscheidungen über andere zu treffen, und nicht an das Gesetz gebunden zu sein. Wie heißt du mit Nachnamen?“

„Crow.“

„Clementine Crow. Klingt gar nicht mal schlecht. Aber, nein danke, ich bin zufrieden mit dem, was ich habe.“

Die beiden lachten. Dann warf Lee einen Blick auf die Uhr.
Erstaunt dass es schon so spät war, verabschiedete er sich und ging zurück ins Haupthaus. Leise stieg er die Treppe zu seinem Zimmer rauf. Seine Eltern schliefen bereits, und es war sehr still in dem großen Haus. Lee schloss seine Zimmertür und zog sich schnell um.

Eigentlich hatte er einen sehr guten Schlaf, doch an jenem Tag lag er lange Wach. Clementines Idee von dem Oldtimerhandel ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Sie war der erste Mensch gewesen, der ihr nicht nur die Frage nach seinen Wünschen gestellt hatte, sondern auch einen vernünftigen Vorschlag gemacht hatte, der seine eigenen Neigungen mit einbezog. Es war nicht die Art von Vorschlag, in der Menschen ihre eigenen Professionen anpriesen.

Trotzdem, er lebte immer noch in der Mitte vom Nirgendwo.
Dann stellte er fest, dass er den ganzen Abend mit Clementine geredet hatte, und noch immer nichts über sie wusste. Sie hatte viel erzählt, aber nicht einmal ihren Nachnamen erwähnt. Nun ja, er hatte auch nicht danach gefragt. Sie war nett und gar nicht so abgehoben, wie er auf den ersten Blick gedacht hatte. Er hoffte sehr, dass sie noch eine Weile blieb.

Es dauerte sehr lange, bis er schließlich einschlief.
Zuletzt geändert von Lilly am Mo 9. Nov 2015, 11:30, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: [ex 16] Drive Like That (Roadmovie/Action)

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Als er am nächsten Morgen aufwachte, waren seine Eltern bereits dabei, Frühstück zu machen. Was den Haushalt anging, so sprach Lee häufig davon, einen äußerst emanzipierten Vater zu haben. Irgendwer machte Rührei. Lee drehte sich verschlafen in seinem Bett um und fragte sich, warum jemand an einem ganz gewöhnlichen Sonntag wohl diesen Aufwand betrieb. Schließlich war niemands Geburtstag. Während er sich aufsetzte sortierten sich langsam seine Gedanken. Er erinnerte sich an Clementine und woher sie kam. Schnell zog er sich an. Seine Mutter hatte nicht vergessen, dass er Gäste hatte. Sie liebte es, ihn und seine diversen Freunde zu bekochen, wenn sie sich die Nacht in der Lounge um die Ohren geschlagen hatten. Er beeilte sich, in die Scheune zu kommen, und Len abzuholen, bevor seine Eltern noch auf die Idee kamen. Schließlich kannten sie sie nicht.

Len war bereits angezogen und betrachtete die Fotos, die die Werkstatt füllten. Sie zeigten Lees Mustang in verschiedenen Zuständen, immer einen Arbeitsschritt nach dem anderen.
„Möchtest du mitkommen frühstücken?“, fragte er, während er durch die Tür trat. Wobei er nicht die geringste Vorstellung hatte, was er tun sollte, falls sie verneinente. Aber das tat sie nicht. Sie nahm das Angebot dankend an und ging mit ihm hinüber zum Haupthaus.

Lee warnte sie was die Gewohnheiten seiner Mutter anging. Len fand diese äußerst niedlich. Als sie sich gemeinsam an den Frühstückstisch setzten, hob seine Mutter erstaunt eine Augenbraue. Sein Vater war gut gelaunt und dem entsprechend weniger zurückhaltend.

„Leland, Leland, was soll ich nur mit dir machen? Du lädst ein Mädchen zu dir ein und schläfst dann nicht mal im selben Zimmer mit ihr. So werde ich dich ja nie los.“

Lee hätte am liebsten die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Len brach in schallendes Gelächter aus. Lee gab seinem Vater mit einem sehr deutlichen Blick zu verstehen, dass das absolut unmöglich gewesen war, was er gerade getan hatte.

„Darf ich vorstellen. Clementine. Clementine, Meine Mutter Susanne und mein Vater, der mit seiner Direktheit gerne dafür sorgt, dass ich Mädchen nur ein einziges Mal mit in dieses Haus bringen kann, Anthony.“ „Freut mich.“, antwortet Len aber nur ganz unbefangen.

„Clementine Henderson. Aber nennt mich Len.“ Nach Arthurs Fauxpas waren Lees Eltern zu seinem eigenen Glück recht zurückhaltend. Sie stellten nicht viele Fragen. Dazu war Len einfach ganz ausgezeichnet in Gesellschaft. Sie hatte die beiden alten Crows schnell auf ihrer Seite, und lenkte das Gespräch elegant durch allerlei Belanglosigkeiten.

Lee setzte absolut charismatisch auf die Liste der Wörter, die Len beschrieben. Er hielt sich aus dem Gespräch am liebsten raus. Er konnte es nur schlechter machen als sie. Am Ende des Essens war ihm klar, das seine Eltern nichts dagegen haben würden, wenn Len eine Zeit lang blieb. Gut für sie alle.

Lee erzählte, dass er gerne ein wenig Fischen fahren würde und fragte Len, ob sie nicht mitkommen wollte. Len war begeistert von dem Vorschlag. Sie hatte in ihrem Leben zwar schon einige Male gejagt, war aber noch nie fischen gewesen. Also fanden die beiden sich dabei wieder, wie sie den Bronco mit allerlei Zeug vollpackten, von Angeln über Köder zu Kühlboxen. Lee hatte eine sehr umfangreiche Ausrüstung. Na ja, eigentlich gehörte sie seinem Vater, aber der ließ ihn gerne damit losziehen, solange alles wieder heile zu Hause ankam. Dieser hatte er wenig bedenken, da Lee mit einem Mädchen unterwegs war. Im Grunde glaubte er nicht wirklich daran, dass die beiden überhaupt versuchen würden, zu fischen. Aber dem war nicht so.

~~~~

Nach etwa einer Dreiviertelstunde Fahrt bog Lee auf eine Schotterpiste ab, die hoch in die Berge führte. Der Kies knirschte melodisch unter den Reifen. Es war windig, und je höher sie kamen, desto kälter wurde es. Len hatte erwartet, dass es schon wärmer war. Es lag zwar kein Schnee mehr, aber es war gut gewesen, dass sie auf Lee gehört hatte und einen Pullover trug. Auch wenn sie erst gedacht hatte, sie würde sich zu Tode schwitzen. Der Pfad auf dem Lee das Monströse Auto lenkte, wurde immer schmaler. Ab und zu kreuzte er andere Pfade, und ein paarmal bog Lee ab. Die Zweige der mächtigen Tannen strichen über die Wände des Trucks. Alles sah fürchterlich gleich aus. Lee aber fand seinen Weg absolut Selbstverständlich. Sie waren eine Weile unterwegs, mindestens eine halbe Stunde pflügten sie sich auf diese Weise durch den Berg.

Als sie schließlich angekommen waren, wurden sie für diesen Aufwand belohnt. Sie waren an einer Stelle angekommen, an der der Butterflycreek besonders breit und flach war. Darum herum befand sich eine kleine Lichtung. Inmitten der zauberhaften Bäume herrschte eine unglaubliche, laute Stille. Der Wind rauschte in den Ästen, Vögel riefen die verschiedensten Rufe und das Wasser brauste melodisch. Die Zivilisation war aber so weit weg, wie nur irgend möglich. Len war noch nie an einem beeindruckenderen Ort gewesen.

Lee stellte den Motor ab und öffnete die Tür. Er verdrehte sich auf ziemlich ulkige Weise in seiner Sitzposition, dann löste er eine Schnalle am Dach des Fahrzeugs und holte das Größte Gewehr herunter, was Len je gesehen hatte. Dann sprang er mit einer geschickten Bewegung aus dem Fahrzeug. Lee kletterte ihrerseits von ihrem Sitz runter. Während sie das Auto umrundeten, fragte sie Lee: „Hat das jeder hier?“

Lee musste lachen. „Ein Gewehr im Auto? Ja, die meisten. Was diese Halterungen und so angeht, das war mal ein Polizeiauto. Der meiste kram ist abmontiert und inzwischen ist er auch Schwarz, aber ein paar nette Gimmicks sind geblieben, wie etwa das Funkgerät oder diese Schlaufen für die Flinten.“

Lee öffnete die Heckklappe, und gemeinsam luden sie den ganzen Kram wieder aus. Sie bauten die Stühle am Wasser auf und bauten die Angeln zusammen.

„Und was für einen Fisch gedenkst du zu fangen, dass du ein solches Gewehr brauchst?“

„Fische kann man nicht erschießen, das Überleben die großen, und die kleinen zerfetzt es. Aber hier ist Bärenland.“, erklärte Lee ihr bereitwillig.

Er öffnete eine kleine Kiste mit Ködern und bestückte seine Angel. Len beobachtete ihn aufmerksam und machte es ihm nach, auch wenn es nicht ganz so einfach war, wie es aussah.

„Hast du schon mal einen Bären geschossen?“, fragte sie neugierig. Len hatte nie gedacht, dass es so schwierig sein konnte, einen Regenwurm an einen Haken zu bekommen.

„Ich bin noch nie einem wilden Bären begegnet, geschweige denn, habe ich auf einen Geschossen. Aber in diesem Fall ist Vorsicht besser als Nachsicht.“

Mit einer eleganten Bewegung schwang Lee seinen Angelhaken in die Strömung. Sanft tanzte die Pose auf den Wellen. Len versuchte dasselbe, doch ihr Haken flog hoch in die Bäume und blieb irgendwo dort hängen. Lee grinste breit und Len sah ihn enttäuscht an.

„Ok, wo ist der Trick?“, fragte sie mit gespielter Strenge.

„Das ist das Einzige, was man beim Angeln üben muss. Ob sie anbeißen ist Glückssache, aber werfen. Ich zeig es dir.“

Lee befestigte seine Angel an seinem Stuhl und trat hinter Len. Vorsichtig ergriff er ihre Hände und zeigte ihr Langsam, wie sie ausholen sollte. Bei den meisten Mädchen hätte er sich das gar nicht getraut, und sie hätten ihn auch für viel zu aufdringlich gehalten.

„Ok, jetzt mit Schwung! Mach einen großen Schritt.“ Len tat was er ihr gesagt hatte.

Lee führte sie exzellent, doch dabei trat er in ein Loch und stolperte vorwärts in Len. Beide landeten sie bäuchlings im Kies des Flussbettes. Lee landete relativ weich, allerdings landete er auf Len. Sofort rollte er sich zur Seite. Er traute sich kaum zu fragen, ob sie sich verletzt hätte. Len betrachtete ihre aufgeschürften Hände.

Lee machte sich auf ein gehöriges Gewitter gefasst, doch dann verzog sich Lens Miene, und sie brach in schallendes Gelächter aus. Lee konnte nicht anders, als mit einzufallen. Und so lagen sie im Kies und lachten um die Wette. Auch die Tatsache, dass die beste Angelrute seines Vaters hatte daran glauben müssen, störte ihn nicht.

In einem romantischen Film hätte Lee nun sicherlich nach Len gegriffen und sie stürmisch geküsst und so weiter. Aber Lee wurde in diesem Moment etwas ganz anderes klar. Er mochte Len sehr, auch wenn er sie gerade einmal zwei Tage lang kannte. Es war wunderbar mit ihr zu lachen. Vielleicht liebte er sie auch, aber auf einer anderen Ebene. Die Anziehung, die sie auf ihn ausübte hatte nichts Körperliches.

Len setzte sich vorsichtig auf. „Ok, ich verstehe. Ein Hechtsprung gehört dazu.“, sagte sie grinsend.

„Natürlich. Lektion Nummer eins Sei-der-Hecht.“, erwiderte Lee.

Die beiden stellten sich wieder auf die Füße. Len war die Lust am Angeln nicht vergangen, allerdings hatte sie keine Angel mehr. Aber auch mit nur einer Angel wurde es ein angenehmer Tag. Sie schwiegen viel und hingen ihren eigenen Gedanken nach. Aber es war ein harmonisches Schweigen.

Gegen Mittag holte Lee ein paar Sandwiches aus dem Truck. Sie aßen gemeinsam, und wie es sich zum Essen gehört, redeten sie auch.

„Das ist ein beeindruckender Ort.“, begann Len und lies ihren Blick schweifen. „Ich würde gerne hier bleiben.“

Lee betrachtete die Wellen. „Tu es doch einfach. Du bist alt genug um zu entscheiden, wo du leben willst. Nur besorg dir eine Wohnung bevor der Winter kommt, wenn du nicht im Winter in der Lounge erfrieren willst.“

Len lachte leicht. „Wenn das so einfach wäre. Von irgendwas muss ich ja leben. Und ich weiß nicht, dieser Ort ist so schön, ich traue ihm nicht.“ Lee wusste nicht ganz, was er von so einer Aussage halten sollte, oder wie sie gemeint war.

„Ich halte ihn für ziemlich friedlich. Das schlimmste Verbrechen im County, das es Zeit meines Lebens gab, waren zwei Unfälle mit Fahrerflucht, beide auf dem Highway. Und ein Überfall auf eine Bäckerei, damals war ich etwa fünf. Dazu muss man sagen, dass die Täter ein paar Betrunkene etwa in unserem Alter waren, die das Geld wieder zurückgegeben haben, als sie wieder nüchtern waren. Das häufigste Verbrechen hier ist Wilderei. Nicht besonders schön, aber die meisten Schwarzjäger sind alles andere als gefährlich.“

„Dann sollte auch niemand diesen Frieden stören.“

„Ich habe es nicht vor, und du scheinst mir nicht unbedingt der Mensch zu sein, der Ärger nur so mit sich bringt. Zumindest nicht diese Sorte von Ärger.“

„Wie auch immer. Vielleicht bleibe ich wirklich in Wyoming, oder komme nach meinem Studium zurück. Für Juristen ist das sicher eine ruhige Gegend.“

„Sicherlich. Vielleicht hast du bis dahin ja Lust, auf eine echte Country Party zu gehen. Ein Freund von mir, Joe Brooks, feiert heute Abend Geburtstag. Mädchen dürfen immer mitgebracht werden.“

Len biss von Ihrem Sandwich ab und kaute langsam. Die nächsten Worte wog sie langsam ab. „Wenn du das nicht als ein richtiges Date ansiehst. Ich gehe gerne mit dir auf eine Party. Ich tanze auch gerne mit dir. Überhaupt habe ich dich sehr gerne, nur“

„Nicht auf eine Körperliche Weise. Du und ich, wir sollten kein Pärchen sein.“, beendete Lee ihre Ausführungen. „Das ist mir klar. Wo auch immer die nächsten Tage hinführen, nicht in diese Richtung.“
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Re: [ex 16] Drive Like That (Roadmovie/Action)

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Lee und Len verbrachten den Nachmittag nicht gemeinsam. Lee und einige seiner Freunde machten sich zusammen auf um einige Besorgungen zu erledigen. Er hatte Len Zugang zum Internet gegeben, da sie sich um einige Sachen hatte kümmern wollen und sich mal bei ihren Eltern melden. Er fand das unheimlich niedlich und fragte sich, was sie ihnen wohl erzählte. Ich bin bei einem Netten Jungen untergekommen, der mich in seiner Scheune untergebracht hat? Eher nicht.

Lee hatte nicht zu viel Zeit, seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Er lenkte seinen Bronco zu einem großen Herrenhaus außerhalb der Stadt, das unter anderem seinen Freund Sullivan beherbergte. Dessen Eltern unterhielten ein Wanderer Hotel. Lee war nicht gerne dort. Die Touristen waren meist sehr merkwürdige Menschen, die die Einheimischen gerne als eine Art Attraktion betrachteten. Dabei waren sie noch nicht einmal Indianer. Aber auch die waren nach Lees Ansicht keine Ausstellungsstücke.

Um sich den Zirkus zu ersparen, hupte Lee zweimal. Sullivan kam gut gelaunt aus dem Haus … na ja, gesprungen. Er hatte einen sehr merkwürdigen Gang und neigte dazu, zu hopsen, wenn er fröhlich war. Und Sullivan war eine fröhliche Seele.

Er schwang sich auf den Beifahrersitz und schlug die Tür so schwungvoll zu, das Lee sich fürchtete, sie würde abfallen. „Vorsicht Sully, so neu ist dieses Gefährt auch wieder nicht!“, rief Lee.

„Es hält deinen Fahrstil aus, dann auch meine Behandlung. Also, wer ist die Unglückliche, die Lee heute Nacht ausführt. Bürgermeisters Cindy? Scherriff Dunes Liselotte?“, begann Sully sofort zu sticheln.

Er war groß und stämmig, und seine Haare zeugten von seinen unverkennbar Irischen Wurzeln. Lee aber grinste nur breit. „Ihr glaubt wirklich, das ich seit der gescheiterten Geschichte mit Lisa Brown auf Ärger stehe?“, erwiderte Lee, während er Richtung Newtown, der Hauptstadt des Countys fuhr.

„Sie ist immerhin die Tochter des Comissioners der Highway Patrole.“, sagte Sullivan, wobei er jedes Wort einzeln betonte.

Lee schnaubte. „Mir musst du das nicht erzählen. Schließlich bin ich es, der Strafzettel für Dinge bekommen hat, von denen ich noch nie gehört habe. Aber es gibt da eine Sache, die hat Brown nicht begriffen.“

Sullivan sah in skeptisch an. Auch er hielt das Gebaren des Comissioners für extrem kindisch, aber… „So wie ich das sehe, hast du eine Zeit lang ordentlich einen drüber bekommen.“

Lee aber schüttelte den Kopf. „Ich habe eine Zeit lang ärger gehabt. Er konnte mich nicht ewig piesacken, sonst hätte er irgendwann eine Dienstaufsichtsbeschwerde am Hals gehabt. Aber die Geschichte hat ordentlich die Runde gehabt, und ich glaube nicht, dass es auch nur einen Jungen im County gibt, der sich jetzt noch traut, irgendwas mit seiner Tochter anzufangen. Lisa ist kein schlechter Fang, aber wer weiß schon im Voraus, ob es für die Ewigkeit taugt.“

Sullivan verzog ein wenig das Gesicht. „Das ist nicht fair. Hat sie wirklich keinen Freund mehr gehabt nach dir?“

Lee schüttelte den Kopf.
„Ist alles andere als fair. Aber ich kann es niemandem verübeln. Also, wohin zuerst nun?“, wendete Lee sich wieder den Tagesgeschäften zu.

„Zuerst nach Walking Johnny. Dann zu Bruno, und dann eine Runde durch den Supermarkt? Und am Ende raus zur Three Hawkes Ranch.“, ging Sullivan die einzelnen Punkte durch.

Lee hatte nichts gegen die Einkäufe in der Stadt. Allerdings hatte er keine Rundreise durchs County geplant. „Was bitteschön willst du bei Three Hawkes? Das sind gefühlte 40 Meilen von hier, ganz im Süden des Countys.“

Sullivan aber grinste nur breit. Er kannte Lee gut, und er wusste, dass sein logisches Denkvermögen stets litt, wenn er sich über etwas aufregte. Daher beschloss er, ihn ein wenig zu verwirren und auf die Folter zu spannen.

„Amber hat ihre Eltern überredet, ein Kälbchen rauszurücken.“

Lee ging wie erwartete ohne nachzudenken in Abwehrhaltung. „Ich habe nichts gegen Rinder, wirklich nichts. Aber sie riechen doch sehr streng. Und ein Kalb kommt nicht auf meine Rückbank. Was auch immer ihr schrägen Jungs damit anstellen wollt.“

Sullivan war schleierhaft, wie sich Lees Gedanken in diesem Moment wanden. Aber es gab ihm eine Vorlage, der er nicht wiederstehen konnte. „Kein Normaler Mensch transportiert ein Kalb auf seiner Rückbank. Die Ladefläche sollte völlig ausreichen.“

Lee aber wollte sich auf keinen Kompromiss einlassen. „Damit ich von Browns Handlangern einen Strafzettel wegen nicht vorschriftsmäßigem Transport eines Tieres bekomme. Oder vielleicht wegen unzureichend gesicherter Ladung? Und wenn sie besonders gut gelaunt sind, eine Strafanzeige wegen Tierquälerei. Du spinnst doch völlig. Was tust du, wenn es vom Wagen springt?“

Sullivan musste sich alle Mühe geben, nicht laut loszulachen. Allein die Vorstellung mit einem Kalb auf der Ladefläche stehend über den Highway zu fahren, war absolut grotesk.
„Amber meinte, eine Kühltruhe in der passenden Größe gehöre dazu. Wir müssten uns nur selbst überlegen, wie wir sie auf die Ladefläche gehievt bekommen. Und sie vor allem wieder zurückbringen.“, erklärte er dann.

„Ach so“, antwortete Lee gedehnt. „Hast du eine Vorstellung davon, wie groß so eine Kiste ist? Und vor allem, wie schwer. Ich freue mich durchaus auf den Braten, aber das wird Knochenarbeit.“, gab er dann zu bedenken. Schließlich wog ein Schlachtkalb weit über hundert Kilo, auch ohne Fell und Innereien.

„Die haben doch bestimmt einen Hoflader oder so. Und runter bekommen wir mit allen Mann alle mal. Also, auf zu Walking Johnny‘s Liquor and Beer Store.“, winkte Sully ab.

Lee lenkte ein und stellte sich auf einen Abwechslungsreichen Nachmittag mit Sullivan ein. Der Kerl war teilweise wirklich verrückt, aber ein paar Läden unsicher zu machen war eine ausgezeichnete Beschäftigung.
Zuletzt geändert von Lilly am Mo 9. Nov 2015, 11:48, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: [ex 16] Drive Like That (Roadmovie/Action)

Beitrag von Lilly »

Es war fast acht, als Lee Len abholte. Sie trug eine Jeans und einen dünnen Pulli. Wenn man nicht zu nah kam und das Hilfiger Logo betrachtete, sah sie aus als lebte sie schon immer auf dem Land. Sie war immer noch wunderschön, zumal sie nun zum ersten Mal ihre Haare offen trug. Sie kletterte in den Truck und deutete einmal Richtung Ladeflächen.

„Wie viele Leute kommen denn zu diesem Fest?“

Lee wusste keine genaue Antwort darauf. Es würden wohl so zwischen Vierzig und fünfzig sein. Das hing immer davon ab, wer der eingeladenen gerade einen Partner hatte, der noch mittgebracht wurde. Und wer Zeit hatte und so weiter und so fort.

Er fuhr mit Len durch die abendliche Landschaft, immer weiter aus der Stadt hinaus. Sie kamen durch das anschauliche Perlington, und dann ging es noch ein End weiter. Irgendwann bog er auf einen kaum erkennbaren Feldweg ein. An dessen Ende hielt er schließlich bei einer Hand voll anderer Trucks. Eine bunt gemischte Truppe in ihrem Alter war damit beschäftig, ein Feuer zu entfachen und Klappstühle und Tische aufzubauen. Lee und Len stiegen aus. Len betrachtete das Treiben neugierig.

Lee pfiff einmal durch die Finger. Sofort waren alle möglichen Augen auf ihn Gerichtet.
„Essen und Trinken ist da. Ausräumen, hurtig!“, rief er laut.

In einem sicherlich irgendwie systematischen Chaos machten sich alle über die Ladefläche her. Jemand schleppte einen Dicken Ast an, an dem man das Kälbchen hängte, um es über dem Feuer rösten zu können. Natürlich war es ausgenommen und Küchen-, na ja, sagen wir mal Barbecueferitg.

Lee zupfte Len am Ärmel. „Komm mit, ich stell dir wen vor.“, zischte er. Len ging mit ihm um die Trucks zu einem Jungen, der ihr gerade einmal bis an die Schultern reichte. Er hatte kurze, dunkelblonde Haare und hatte abgesehen von seiner eher geringen Größe einen ausgezeichneten Körperbau. Er stand mit verschränkten Armen dort und beobachtete die anderen.

„Nicht schlecht, was ihr da für mich auf die Beine gestellt habt.“, begrüßte Joe Brooks Lee.

Lee machte eine wegwerfende Handbewegung. „Das übliche. Und jetzt wo keine Schule mehr ist haben wir eine Menge Zeit. Wessen Land ist das hier?“

Joe dachte einen Moment nach. „Pat Fergusons glaube ich. Sully erwähnte so etwas. Wer ist dein Mädchen?“, fragte er zurück mit einer Geste Richtung Len. „Ich kann mich nicht daran erinnern, sie schon einmal irgendwo hier gesehen zu haben.“

Len setzte zu einer Antwort an, doch Lee hielt sie mit einer Handbewegung zurück. „Darf ich vorstellen, Len. Eine Freundin von mir, aber sie ist ganz sicher nicht mein Mädchen. Sie kommt aus Dallas. Len, das ist Joe Brooks, der Star des heutigen Abends.“, stellte er sie einander vor. Dabei musste er daran denken, dass er gar nicht wusste, ob Len zu Hause einen Freund hatte.

Die Situation war aber ganz und gar nicht für so eine Frage geeignet. Wenn man von dem Lächeln ausging, das sie Joe schenkte, war das eher nicht der Fall. Joe machte irgendeinen Witz über ein Texas Cowgirl das sich in den mittleren Westen verirrt hatte. Lee fand ihn ziemlich überheblich und fragte sich, ob Joe wohl ahnte, wie falsch er lag. Andererseits, lieber die Idee vom Cowgirl als vom Privatschulmädchen. Len nahm seinen Spruch sowieso mit Leichtigkeit. Ihre Antwort war lediglich jenes geheimnisvolle Lächeln, das Lee auch schon gesehen hatte und sagte ‚es gibt so viele Dinge, die du nicht weißt‘.

Lee stürzte sich mit ins Getümmel unter die anderen Jungs, aber die meisten waren bereits fertig mit ihren Arbeiten. Schließlich kletterte Sullivan auf die Ladefläche seines Trucks und setzte sich auf das Dach. Er hatte seine Gitarre in der Hand. Die anderen sammelten sich in einem Halbkreis um ihn herum. Bierflaschen wurden geöffnet und rumgereicht. Dann begann Sullivan zu spielen. Gemeinsam sangen sie tatsächlich ein Ständchen.

Lee schielte herüber zu Len. Sie wirkte äußerst erstaunt über diese Praktik. Allerdings war es auch für Wyoming nicht unbedingt gängig. Aber bei ihnen hatte es sich irgendwie aus einem Witz heraus so eingebürgert. Doch Len schien das Ganze zu gefallen. Sie ging auf den Truck zu, sprang auf die Ladefläche und flüsterte Sully etwas ins Ohr. Der nickte ihr kaum merklich zu.

Als die Gruppe mit ihrem Lied fertig war, spielte Sully einfach weiter. Len hatte sich auf die Kante der Ladefläche gestellt und begann zu singen. Es war eindeutig Happy Birthday, aber in einer fremden Sprache. Und sie sang besser, als irgendwer sonst im ganzen County. Wenn sie keine Lust mehr hatte Richter zu werden – Opernsänger war sicher eine Option, über die sie nachdenken sollte. Und falls ihr das nicht lag, jede andere Art von Gesang.

Lee wusste nicht, ob er lieber im Boden versinken oder ihr zujubeln wollte. Schließlich war es eine Sache, ein fremdes Mädchen mit zu einer Party zu bringen, und eine Andere, wenn dieses dort eine Show abzog. Sie machte zwar niemandem eine Szene, aber man konnte ihr Benehmen auch als angeberisch auffassen. Doch die Einheimischen nahmen ihr ihren Auftritt scheinbar nicht zu krumm. Sie applaudierten sogar kurz. Dann stießen alle auf Joe an, und die Country Party begann. Jemand drehte das Radio seines Trucks auf, und los ging es. Es gab viel Bier, es wurde viel geredet und getanzt. Eigentlich das, was Leute auch sonst auf Partys machen, nur das es Countrymusik gab und ein Lagerfeuer, auf dem ein Steinzeitbarbecue zubereitet wurde. Wobei ein Kälbchen auch für Lee Premiere war.

Len hatte sich zwischen die Gäste gemischt und schien sich prächtig zu amüsieren. Von daher beachtete Lee sie nicht mehr. Er stellte sich zu seinen besten Freunden, Joe, Harry, und Sullivan. Eigentlich waren sie zu fünft, aber der letzte im Bunde … „Was ist mit Ryan? Ist der schon wieder in der Stadt?“, fragte Joe.

Sullivan nickte langsam. „Nur können wir ihn nicht einladen, wenn Harry dabei ist. Und ungefähr sieben weitere Leute, die heute anwesend sind.

Harry verzog das Gesicht zu einem gekränkten Grinsen.
„Ich habe mir nie gewünscht, ein Überflieger zu sein. Allerdings werde ich wohl kaum meine älteren Freunde aufgeben wollen, weil einer von ihnen meint, Sherriff spielen zu müssen.“

Joe machte nur eine wegwerfende Handbewegung. „Ich habe ja gar nichts gegen seine Berufswahl, nur würde ihn einzuladen ihn nur in eine Zwangslage bringen. So wie ich ihn kenne würde er sogar kommen. Und Dune würde es ihm auch nicht krumm nehmen. Aber was macht man mit einem Cop, der in den ersten Wochen nach der Akademie mit Minderjährigen eine Party wie diese feiert?“

Die anderen mussten ihm zustimmen. Sie würden die Tage mit ihm allein losziehen, vielleicht jagen gehen. Ryan war kein besonders guter Schütze, was die Jungs ihm sehr gerne vorhielten, vor allem, seit er Deputy war. Zumindest hatte er seinem Beruf gefunden. Lee war immer noch völlig planlos, und die anderen waren sich auch noch nicht alle sicher. Und so diskutierten sie schon wieder über das eine Thema.

Harry war nicht zu glücklich darüber, einen Landwirtschaftlichen Betrieb zu erben. Und dann waren es noch nicht einmal Rinder. Ausgerechnet einen Obstanbau. Und das an einem Ort, wo im Winter meterhoch Schnee lag. Nicht, das man damit kein Geld verdiente, aber in letzter Zeit ärgerte er sich darüber, das für ihn nie die Frage bestanden hatte, was er tun wollte.

Da aber noch eine Zeit lang seine Eltern die Geschäfte leiten würden, hatte er beschlossen, dass er eine Zeit lang aus Butterflycreek County verschwinden müsste. Er hatte es noch nicht erwähnt. Aber das Bier machte ihn mutig.
„Ich werde für eine Weile Wyoming verlassen.“, sagte er also. Dieser Satz deutete nicht gerade an, was er mitteilen wollte, außerdem klang er fürchterlich dämlich, als hätte er ihn aus irgendeinem Film geklaut. Die Jungs waren recht überrascht.

„Studieren?“, frage Lee nur. Harry hatte eine Menge auf dem Kasten. Harvard würde kein Problem darstellen, oder irgendwelche Universitäten in Europa.

Seine Antwort war allerdings ein gedehntes: „Auuuuuuch“. Lee zog die Augenbrauen hoch und sah ihn erstaunt an. Er hatte genug über Berufsmöglichkeiten gelesen, um zu wissen was als nächstes kam.

„Ich werde Offizier bei der Airforce.“, sagte Harry dann schnell, fast als hoffte er, die anderen verstünden ihn dann nicht. Irgendwo fürchtete er die Reaktion seiner Freunde.

Lee stellte fest, dass er noch vor einer Woche sich Harry angeschlossen hätte. Und wenn einer zum Militär geht, gehst du mit, dann hast du was zu tun. Nur allein hatte er sich dieser Welt nicht stellen wollen. Aber da hatte ihn ja noch niemand auf die Idee gebracht, berufsmäßig Oldtimer zu restaurieren.

Joe konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „ Fünf starke Country Jungs, ganz und gar Amerikanisch. Und ausgerechnet der sechzehnjährige mit dem IQ eines Einsteins landet beim Militär.“, sagte er kopfschüttelnd.

Harry zuckte mit einem stolzen Lächeln mit den Schultern. Er war nicht gerade schmächtig, und er sah auch eher ganz gewöhnlich aus. Ganz sicher traf er nicht die Nerd Klischees. Trotzdem blieb er der jüngste. Aber offensichtlich hielten die anderen ihn nicht für zu unvernünftig.
Zuletzt geändert von Lilly am Mi 18. Nov 2015, 09:40, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: [ex 16] Drive Like That (Roadmovie/Action)

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„Lee, Joe, jemand hat uns verpfiffen!“, rief plötzlich jemand von der anderen Seite des Platzes. Lees Miene wurde finster.

In ein paar Schritten standen sie neben Lees Truck. Der ausrangierte Polizeiwagen hatte noch immer das entsprechende Funkgerät, und wenn die Jungs feierten, war das grundsätzlich an. Das war zwar eigentlich nicht ganz legal, aber wenn man am Ende der Welt wohnt, ist ein Funkgerät im Auto nichts zu ungewöhnliches. Nun standen alle gemeinsam um das Auto und lauschten.

Mit plärrender Stimme erzählte der Lautsprecher. „Wir haben eine Meldung über ein Illegales betreten südlich der 56 hinter Perlington. Ein paar Jungs feiern dort eine Party.“, gab Linsey Horner durch. Der Stimme der Sekretärin vom Sherriff war anzuhören, dass ihr diese Meldung ganz und gar nicht gefiel. Schlimmer aber war die Antwort.

„Hier Miller und Washington. Wir fahren in westlicher Richtung auf der 56 ganz in der Nähe. Wir übernehmen.“

Lee drehte seinen Kopf in Richtung der Landstraße. Keine Sekunde nach der Antwort tauchten die Warnlichter die Umgebung in eine Gespenstische Mischung aus blauem und rotem Licht. Sie hatten die Sirenen nicht eingeschaltet, daher wirkte die ganze Szene eher unreal als bedrohlich. Lee fluchte wie schon lange nicht mehr.

„Ausgerechnet Ryan. Das wird ziemlich Scheiße für uns Alle, aber mehr für ihn.“, sagte Lee zu seinen Kumpels. Diese stimmten ihm sofort zu. Len hatte sich in dem ganzen Trubel zu ihnen gesellt. Nun sah Lee sie an und grinste schief.

„Nun, Len, hier ist noch eine Erfahrung aus dem Countryleben für dich. Eine Nacht im Knast des Sherriffs.“

Die Jungs dachten bei dieser Angelegenheit gar nicht daran, sich aus dem Staub zu machen. Len lehnte Lees Haltung schlichtweg kategorisch ab.

„Eine Verhaftung kann ich mir im Moment unter keinen Umständen leisten.“, sagte sie bestimmt. Mit einem Sprung saß sie auf dem Fahrersitz von Lees Truck. Sie streckte fordernd die Hand aus. „Schlüssel. Steig ein oder nicht, aber beeil dich!“

Lee schwang sich auf den Beifahrersitz und verschränkte die Arme. „Ausgeschlossen. Das schaffen wir nie, und das bringt eine Menge mehr Ärger.“, sagte er bestimmt. Er war überzeugt davon, dass lediglich eine romantische Idee Len dazu verleitete, eine Verfolgungsjagd anzuzetteln. Dazu hatte er absolut keine Lust, sich mehr Ärger mit der Polizei einzufangen als nötig. Sie hatten mit einer Anzeige wegen unerlaubten Betretens und vielleicht wegen Weitergabe von Alkohol an Minderjährige. Eine Verfolgungsjagd war eine ganz andere Liga.

Len aber schien seine Reden gar nicht wahrzunehmen. Sie starrte lediglich in den Rückspiegel. Die Polizisten beeilten sich nicht, ihnen war die Situation genauso bewusst wie den anderen.

„Schlüssel“, sagte Len nur wieder in ebendiesem scheinbar emotionslosen Tonfall „Ich erklär es dir ein andermal.“

Lee hatte keine Wahl. Zögernd rückte er den Schlüssel heraus. Len riss ihm ihn geradezu aus der Hand. Sie startete das Fahrzeug. Ihre Miene war bar jeder Emotion, allerdings nicht vor Angst. Sie wirkte absolut unbeteiligt. Lee musste an einen gelangweilten Fahrgast im Bus denken. Dann Fuhr Len in einer gewaltigen Staubwolke los.

Sie startete so grob, das Lee brutal in seinen Sitz gepresst wurde instinktiv klammerte er sich am Armaturenbrett fest. Der Motor schrie laut, Len prügelte ihn höher als Lee es jemals versucht hatte. Lee starrte sie an, beobachtete ihre scheinbar unbeteiligte Miene. Einzig ihre Augen verrieten, dass sie sich mehr konzentrierte als Lee es jemals bei irgendeinem Menschen gesehen hatte.

Lens Blick ruhte auf dem Rückspiegel. Im Motorenlärm unhörbar zählte sie leise rückwärts. Als ihre Lippen die Null formten, mischte sich ein weiteres Geräusch unter den Lärm. Die Sirenen des Polizeiwagens heulten auf, man hatte bemerkt, dass jemand floh. Lens Blick wanderte wieder auf dem Feldweg, den sie mit einer unglaublichen Geschwindigkeit entlangflogen. Sie waren so schnell, dass Lee die einzelnen Unebenheiten nicht mehr wahrnahm. Es war ein einziges großes Rütteln und Schütteln. Von Zeit zu Zeit knarrte es irgendwo tief in inneren des alten Wagens. Lee fragte sich am Rande seines Bewusstseins, wie lange er dieser Behandlung wohl standhalten würde. Diese Frage kam ganz sachlich, und er schob sie genauso ruhig als uninteressant zur Seite. Die ganze Situation war so surreal. Lee war ein bloßer Zuschauer, was auch immer geschah, er hatte keinen Einfluss auf was auch immer kommen würde. In seinem Kopf dröhnte der Motor, er beobachte einen Actionfilm ohne Ton.

Es wirkte viel zu unreal, als das er sich gefürchtet hätte. Im Rückspiegel war nicht viel zu sehen. Es war mitten in der Nacht, und sie wirbelten eine gewaltige Staubwolke auf. Dadurch bekamen sie einen massiven Vorsprung. Das Len plötzlich sprach, traf ich genauso hart wie der Start, allerdings weniger erwartet. „Wo geht es hier Lang.“, sagte sie. Es war kein Befehlston, aber in der Ruhe lag eine autoritärere Schärfe als in jedem Gebrüll.

Lee war einen Moment lange wie gelähmt. Er musste über ihre Frage nachdenken, und in der Eile kam ihm sein Denken fürchterlich langsam vor. So wie wenn man sich eilig anziehen muss, und in der Hektik keinen Ärmel trifft, geschweige denn, einen Knopf schließen kann. „Geradeaus bis zum Waldrand, dann kommt irgendwann links ein Waldweg.“, brüllte er über den Motorenlärm.

Als Reaktion auf seine Antwort trat Len noch härter aufs Gas. Steine schlugen von unten gegen den Truck. Sie klangen fast wie Schüsse. Lee schielte über Lens Kopf hinweg in Richtung der Flinte. Auf seiner Seite hing keine mehr. Er besaß schließlich nur eine, was sollte er auch mit zwei.

„Denk nicht einmal daran, auf einen Polizisten zu schießen!“, unterbrach Len seinen Gedankengang. Lee hatte nicht die geringste Idee, wie sie seinen Blick bemerkt hatte. Schließlich hefteten ihre Augen stur auf den wenigen von den Scheinwerfern ausgeleuchteten Metern vor ihnen. Genau genommen am Waldrand auf der linken Seite. Die Ecke von der Lee gesprochen hatte kam in Sicht. Len machte allerdings keine Anstalten, zu bremsen. Sie fuhren sicherlich über hundert Meilen. Lee wagte es nicht, auf das Tacho zu schauen.

Dann bremste Len im letzten Moment hart ab und zwang die drei Tonnen Truck in einen spektakulären Drift. Lee wurde in seinem Gurt nach vorne geschleudert. Es grenzte an ein Wunder, dass der massige Pickup nicht umkippte. Selbst auf dem Weg aus Erde und Sand quietschten die Reifen. Sie hatten die Kurve noch nicht wieder verlassen, als Len schon wieder Vollgas gab.

Der Weg auf dem sie sich befanden wurde nur äußerst selten von Fahrzeugen benutzt. Allen voran war er für Wanderer und Reiter geschaffen, und daher viel zu schmal für einen Truck. Es war unheimlich dunkel. Lediglich die Bäume in unmittelbarer Nähe wurden von den Scheinwerfern in grelles Licht getaucht. Ihre Äste schlugen gegen das Dach und die Seiten des Trucks. Es war verrückt, das Lee ausgerechnet daran dachte, aber er sagte sich, dass es wohl besser war, die entstehenden Schäden ein paar Wochen vor seinem Vater geheim zu halten. „Glaubst du wirklich, dass du ihnen davonkommen kannst?“, brüllte er über den Lärm hinweg.

„Es hat in dem 23er Cadillac in der Innenstadt von Dallas geklappt. Hätte, aber ich konnte den Parkwächter nicht überfahren.“, rief sie zurück. Lee wusste nicht ganz, was er von dieser Antwort halten sollte. Hatte sie vor, es dieses Mal anders zu machen? Andererseits, denke nicht daran, auf Polizisten zu schießen. Allerdings war absolut kein geeigneter Zeitpunkt, um ihr einige Fragen zu stellen.

„Dort vorne gleich Rechts, den Berg hoch!“, rief er dann. Len nickte. Schrägrechts führte ein steiniger Pfad höher in die Berge"

. Er war noch sehr viel weniger als der Weg, auf dem sie fuhren. Allerdings glaubte Lee, dass sie ihre Verfolger am ehesten auf eben solchen Pfaden abschütteln konnten. Und er kannte die Gegend gut, schließlich gehörten seiner Familie einige Fischgründe dort oben.

Ihre für das Gelände viel zu schnelle Fahr löste eine Menge kleinerer Steine aus dem Boden, die sich in die Staubwolke mischten und ihren Verfolgern entgegengeschleudert wurden. Lee lotste Len durch die vielen kleinen Pfade. Schließlich kamen sie an einen Fluss.
„Gerade durch!“, rief er einfach nur.

„Ich weiß wo wir sind!“, rief Len nur. Lee war äußerst erstaunt, dass Len ihren Angelplatz mitten in der Nacht wiedererkannte. Nicht nur dass, sie fand auch ganz allein den Weg zurück. Richtung Straße. Lee hätte sich das niemals merken können. Sie waren nur ein einziges Mal dort gewesen, und Len nur als Beifahrer. Lee sah nicht auf die Uhr, aber sie kamen in einem Bruchteil der Gewöhnlichen Zeit aus den Bergen.
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Re: [ex 16] Drive Like That (Roadmovie/Action)

Beitrag von Lilly »

Als sie sich wieder der Straße näherten, bremste Lee den Truck und hielt an. Die Stille war erschreckend. Lee wusste nicht, wie lange sie durch den Wald gerast waren. Es kam ihm vor wie ein paar wenige Minuten, aber es musste deutlich mehr gewesen sein. Er atmete schwer und sah Len sprachlos an. Sie hatte bloß einmal erleichtert ausgeatmet und sich dann mit geschlossenen Augen in ihrem Sitz zurückgelehnt.

Von ihren Verfolgern war nichts mehr zu sehen oder zu hören. Keiner sprach ein Wort. Eine Weile saßen sie einfach nur da. Bis Len sich plötzlich aufraffte und ausstieg. Lee tat das Selbe. Len reichte ihm den Schlüssel mit den Worten: „Tut mir Leid Lee, wirklich.“ Dann ging sie an ihm vorbei und kletterte auf den Beifahrersitz.

Lee hatte tausend Fragen im Kopf, aber er traute sich keine einzige zu stellen. Ihre Erleichterung und ihre Entschuldigung, beides hatte so unheimlich ernst gewirkt. Eigentlich hätten sie jetzt lachen und jubeln müssen. Zwei wilde Leute, die nicht erwachsen genug waren, um als solche bezeichnet zu werden, hatten ein Rennen mit der Polizei gewonnen. Aber er hatte den Eindruck, dass es hier um etwas Größeres ging.

Was hatte Len getan, das sie vor der Polizei flüchtete? Wer war sie überhaupt. Er begann an jedem Wort zu zweifeln, dass sie ihm jemals erzählt hatte. Wie passte das Privatschulmädchen mit all dem zusammen, was er an jenem Abend erlebt hatte. Len war wunderbar. Dann wiederum schüttelte er innerlich den Kopf. Er glaubte nicht, dass Len ihn belogen hatte. Was er in den letzten Tagen erlebt hatte mit ihr, sie war wie ein geheimnisvoller Zwilling. Er wusste nichts über sie, aber er verstand sie auf eine tiefgehende Weise. Was auch immer passierte, er wollte sie nicht als Freund verlieren. Und wenn es nur darum ging, dass sie ihm beibrachte so zu fahren. Das allein wäre es Wert.

„Warum lächelst du so?“, fragte Len sanft. Lee erschrak. Er war viel zu tief in Gedanken versunken gewesen, um auf sein Mienenspiel zu achten. „Du musst mir beibringen, so zu fahren.“, antwortete er. Len lachte sanft. Sie meinte sie würde das gerne tun, auch wenn es da nicht so viel um beibringen ginge, sondern mehr um Übung.

„Es steckt kein Trick dahinter, außer vielleicht auszublenden, wie gefährlich das ist, was man gerade tut.“

Lee nickte. Er musste an ihren konzentrierten Gesichtsausdruck denken, als sie gestartet war. Sie war ihm um Welten voraus. „Hmm, lass uns einen Kaffee trinken gehen.“, sagte er schließlich.

Len sah ihn skeptisch an. Sie war sich nicht sicher, ob man nach einer Verfolgungsjagd einfach daher gehen und sich in ein Lokal setzen sollte. Nun war Lee an der Reihe, zu lachen.

„Wir haben keine Bank ausgeraubt. Man wird nichts nach uns suchen. Was wir getan haben, ist vielleicht nicht völlig legal, aber es wird in der Regel geduldet. Der Sheriff hat nur deshalb jemanden rausgeschickt, weil jemand es gemeldet hat, er also handeln musste. Oder glaubst du etwa nicht, das Miller und Washington uns auf ihrem Heimweg gesehen haben?“

Len nickte langsam. Lee musste innerlich lächeln. Es gab einige ungeschriebene Gesetze der Leute vom Land, die Len noch nicht begriff. Dann schwiegen die beiden.


Lee hatte keine Idee, wie spät es eigentlich war, als er und Len auf den Hof zurück fuhren. Im Haupthaus war kein Licht mehr an und auch die Straßen waren erstaunlich leer gewesen. Lee brachte Len noch hoch in die Scheune. Sie warf ihre Tasche achtlos auf den Tisch und verschwand dann unter der Dusche. Das kalte Wasser störte sie scheinbar nichts.

Lee beneidete sie in diesem Augenblick. Auch er war durchgeschwitzt, viel mehr als sie, aber sollte er um vier Uhr morgens auf die Idee kommen, zu duschen, würden ihm seine Eltern den Kopf abreißen. Ihn war es wirklich egal, wann er nach Hause kam, solange er sie schlafen ließ. Nur lag sein Bad genau über ihrem Schlafzimmer. Lee zog sich schweigend zurück.

Als er die Tasche auf dem Tisch sah, fasste er einen Entschluss. Ihre Geldbörse lag auf dem Boden. Schnell zückte er sein Handy und machte ein Foto von ihrem Führerschein. Was ihren Namen anging, so schien sie nicht gelogen zu haben, vorausgesetzt, er war nicht gefälscht. Clementine Virginia Henderson stand dort. Was Vornamen anging hatten ihre Eltern wohl einen etwas sonderbaren Geschmack. Aber er würde das schon in Erfahrung bringen. Zu irgendwas musste Ryans Karriere bei der Polizei ja gut sein.

Wenn Lee ehrlich war, einen Verbrecher wollte er auch nicht schützen, selbst einen so charismatischen wie Len nicht. Er ließ sein Handy wieder in die Tasche gleiten und machte, dass er aus der Scheune verschwand. Nicht, dass sie gleich aus der Dusche kam, und fragte, was er noch dort zu suchen hatte.

~~~

Nachrichten von ungewöhnlichen Vorfällen haben einige unerklärliche Eigenschaften, darunter die, sich schneller als Technisch und physikalisch möglich zu verbreiten. So wunderte sich Lee nicht weiter, das sein Vater schon von den Vorfällen der letzten Nacht wusste.
„Ich weiß nicht, was das für eine Aktion da gestern war, und ich will es auch gar nicht wissen. Aber sich ein Rennen mit der Polizei zu liefern, das ist doch sonst nicht euer Stil. Der Sherriff hat schließlich noch niemandem von den Kopf abgerissen, der meinte ein Feld in eine Disko verwandeln zu müssen.“, begann sein Vater, während er sein Rührei futterte.

Lee zuckte mit den Schultern. „Du erwartest nicht wirklich, dass ich jemanden verpfeife.“, sagte er geschäftig.

Er war ein guter Schauspieler, und da sein Vater wusste, dass er wusste, was geschehen war, musste er erst gar nicht so tun, als wüsste er von nichts. Außerdem schien sein Vater nicht die geringste Idee davon zu haben, wie viel er damit zu tun hatte. Er schielte hinüber zu Len, aber sie wirkte ganz wie immer. Sein Vater winkte ab.

„Der Sherriff hat mich heute Früh angerufen, ob man ihm etwas vorwerfen könnte, da er nicht beabsichtigt, weiter nach den Schuldigen zu fahnden. Da aber kein ernsthaftes Verbrechen begangen worden ist, gibt es nicht wirklich einen Grund dafür.“, erklärte er. Dann fügte er mit einem Grinsen hinzu: „Ich hoffe nur, das warst nicht du, der ein Mädchen beeindrucken wollte.“

Zum Glück verschluckte sich Lee an einem Bissen Speck und musste tierisch husten. Ansonsten wäre er in schallendes Gelächter ausgebrochen. Weiter von der Wahrheit konnte sein Vater gewissermaßen nicht sein. Als er schließlich wieder zu Atem kam, sagte er kopfschüttelnd: „Nein. Du weißt, ich habe das mit der Verfolgungsjagd ein einziges Mal versucht, und das war nicht besonders erfolgreich.“

Schließlich meldete sich Lees Mutter zu Wort. „Hört auf, Jungs. Und wehe dir Lee, du warst es. Wie auch immer, du bist an der Reihe mit Einkaufen. Die Liste hängt am Kühlschrank. Außerdem fährst du bitte zu Stacey und sammelst mein Abendkleid ein. Sie hatte das für den Lehrerball ausgeliehen.“

Lee rollte mit den Augen. Er hatte schließlich noch immer Damenbesuch. Wie konnte seine Mutter auf die Idee kommen, ihn zum Einkaufen zu schicken. Schlimmer wäre nur noch Hausarbeit gewesen. Aber er kannte sie gut genug um zu wissen, dass jeglicher Wiederspruch zwecklos gewesen wäre. Len aber schien das Ganze nicht so sehr zu stören. Sie brauchte selbst einige Dinge, denn sie hatte nicht geplant gehabt, so lange in Wyoming zu bleiben. Lee musste trotzdem mit den Zähnen knirschen. Schließlich war es irre peinlich, ausgerechnet einkaufen gehen zu müssen.
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Re: [ex 16] Drive Like That (Roadmovie/Action)

Beitrag von Lilly »

Es gab sicher eine Menge Dinge, die Lee gerne mit Len unternommen hätte. Stattdessen fuhren sie auf den unverhältnismäßig großen Parkplatz des Supermarkts. Es war ja schließlich nicht so, dass Lee bereits am Vortag hier gewesen war und alles hätte mitbringen können. Gut, Sullivan wäre sicher nicht begeistert davon gewesen, aber bei ihm war es etwas anderes. Len aber nahm das Ganze mit Humor. Lächelnd sprang sie aus dem Truck. Lee ging das ganze etwas langsamer an. Lens Fahrkünste hatten für einige blaue Flecken an ungewöhnlichen Stellen gesorgt.

„Lee, warte grad mal!“, rief plötzlich jemand von hinten. Lee fuhr zusammen. Ja, er hatte zu Ray gewollt. Aber in seinem Tonfall lag etwas, dass ihm ganz und gar nicht gefiel. Außerdem konnte er Len nicht dabei haben. Also drückte er ihr den Einkaufszettel in die Hand. „Was meinst du, können wir uns trennen? Du übernimmst den Supermarkt, und ich geh in der Zwischenzeit zu den anderen Läden und so.“, sagte er. Len nickte und verschwand. Er betrachtete sie, wie sie frohen Mutes den Supermarkt betrat. Eigentlich war das, was er gerade getan hatte ziemlich dreist. Immerhin war sie eine Fremde, und ganz sicher war es nicht ihre Aufgabe, die Familieneinkäufe zu erledigen. Dann drehte er sich um zu Ray.

„Hallo Ray, ich wollte eh noch zu dir.“, begrüßte er ihn.
„Tag Lee. Nun, wie war Joe Brooks Party?“, fragte der zurück.
Lee hätte beinahe mit den Augen gerollt. „Als ob du das nicht wüsstest.“, gab er mit einem gewissen Biss zurück.
Ray hob abwehrend die Hände. „Wo wo, ich wasche meine Hände in Unschuld. Beschwer dich bei Perlingtons Bürgermeister Montague. Bei so einer Meldung musste der Sherriff reagieren.“
Nun musste Lee lachen. Er konnte sich das beinahe bildlich vorstellen. „Der war das. Das erklärt so einiges.“
„Nun ja, da Ferguson gesagt hat, er hat es euch erlaubt, und damit nicht einmal ein Verbrechen vorlag, ist ja nichts weiter passiert. Daher wundert es mich umso mehr, dass irgendwer von euch die Flucht ergriffen hat. In einem schwarzen Bronco. Mitten durch den Wald. Und da ich weiß, das bei euch nicht einmal Graß geraucht wird…“, Ray machte eine ausladende Handbewegung in Richtung des Trucks. Dieser sah aus wie nach einer Schlammrallye. Lee setzte einen Besuch in der Waschanlage auf die Liste der Dinge, die erledigt werden mussten
„Nun Ray, da muss ich dir recht geben, sehr merkwürdig war das. Wie auch immer, ich wollte dich um einen Gefallen bitten.“, erwiderte er. Ihm gefiel diese Diskussion nicht wirklich. Er bewegte sich auf sehr dünnem Eis. Allerdings ging es Ray wahrscheinlich schlimmer. Cop oder Freund, das war eine fiese Wahl.
„Gefallen welcher Art?“, fragte er. Lee war ein wenig verlegen. Ausgeschlafen und bei Tageslicht kam ihm seine Idee gar nicht mehr so klug vor. Schließlich hatte er beschlossen, in Lens Privatleben herumzuschnüffeln. Und das ging ihn eigentlich nichts an. Wenn er ein Problem mit ihre hatte, konnte er sie schließlich jederzeit vor die Tür setzen. Aber wie auch immer, jetzt musste er da durch.
„Du sollst jemanden für mich überprüfen.“, sagte er dann, so schnell er konnte. Nun war es an Ray, zu lachen.
„Eigentlich darf ich das nicht. Aber da du nicht von mir verlangst, ein Verbrechen zu decken. Ich bekomm im Gegenzug eine ehrlich beantwortete Frage.“, meinte er schließlich ernst.
Lee dachte einen Moment darüber nach. Ray würde sicher nach dem vergangenen Abend fragen. Und Lee wollte niemanden verpfeifen. Andererseits, das wusste Ray und würde er auch akzeptieren. Schließlich akzeptierte er Rays Bedingungen.
„Also schön. Hast du mich gestern Abend ausmanövriert.“, fragte Ray mit einem strengen Blick. Ray hatte ein erstaunliches Selbstvertrauen, er konnte vor jeder beliebigen Person ernsthaft auftreten. Das würde ihn sicher noch sehr bei seiner Karriere helfen.
„Nein, das war ich nicht.“, antwortete Lee ebenso ernst. Ray hatte sich an die ungeschriebenen Regeln gehalten, und gar nicht erst versucht, ihn in Verlegenheit zu bringen. Aber er wirkte ehrlich überrascht über Lees Antwort.
„Nun zu deinem Teil der Abmachung.“ Lee schickte ihm das Foto via Bluetooth. Ray betrachtete es einen Moment lang.
„Nun ist mir einiges klar. Ich soll ein Mädchen durch unsere Datenbank jagen. Nach dem Debakel mit Lisa hast du keine Lust mehr auf neue Überraschungen. Allerdings kann ich dir nicht sagen, ob sie mit irgendwelchen Cops verwandt ist.“, kicherte Ray. Lee hätte ihm am liebsten eine Ohrfeige verpasst.
„Ist sie nicht. Ich will ihre Akte. Na ja, nicht wirklich. Ich will nur wissen, ob da was drinsteht, was ich wissen soll.“, wehrte er sich. Aber Ray hatte beschlossen, diesen Spaß weiterzutreiben.
„Aha, über Cops bist du weg, nun sind Kriminelle dran. Aber auch da wird nicht jede Verwandtschaft aufgezeichnet. Wie auch immer, ich ruf dich nachher an.“, brabbelte er weiter.
Lee wusste, dass er sowieso keine Chance hatte. Also dachte er erst gar nicht daran, irgendetwas abzustreiten. Ray machte sich auf den Weg in sein Büro zurück. Lee stieg nachdenklich in seinen Truck zurück. Was würde er machen, wenn er herausfand das Len auf der Flucht war. In einem anderen Staat gesucht wurde? Bundesweit gesucht wurde? Nun, er hätte dann sicher einiges für Rays Karriere getan. Und bewiesen, dass er ein Talent dazu besaß, die falschen Mädchen aufzugreifen.

Die Tage bis zum Wochenende verliefen erstaunlich ruhig. Ray hatte sich noch am selben Abend gemeldet. Das Len sich ein Rennen mit der Polizei in einem Oldtimer geliefert hatte, wusste er bereits. Außerdem gab es eine Menge Strafzettel für zu schnelles Fahren, verteilt über einen Großteil der Staaten. Das wunderte Lee nicht besonders. Lens Vermögen kombiniert mit der Leidenschaft für schnelle Autos hätte bei ihm zu einer ähnlichen Sammlung geführt. Gut, sie war mehr herumgekommen als er, aber das war nicht gerade verboten. Also war Len wahrscheinlich wie alle reichen Kinder ein wenig verrückt, aber das war auch alles. Lee verbrachte viel Zeit im Sattel. Len ließ sich nicht wirklich für das Reiten begeistern. Sie machten einige gemütliche Ausritte zusammen, aber ansonsten benahm sie sich auf den Pferden eher unsicher. Sie konnte vielleicht fahren wie ein Teufel, aber jedes Grundschulkind des Countys hätte sie auf dem Pferd besiegt. Trotzdem freute sie sich sehr auf das Rodeo.
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Re: [ex 16] Drive Like That (Roadmovie/Action)

Beitrag von Lilly »

Samstagmorgen war Lee als erster auf den Beinen. Mit einem verschlagenen Grinsen schlich er sich in die Scheune. Es war gerade einmal sechs Uhr früh, und Len war am Vortag auf irgendeiner Party gewesen. Lees Hand sauste auf die Haube des Broncos. Ein dumpfes Scheppern schallte durch den Raum. Ein bollern war die einzige Antwort aus Lens Richtung. Lees Grinsen wurde breiter. Hatte er doch tatsächlich dafür gesorgt, das Len aus dem Bett viel. Er hätte das nicht einmal für möglich gehalten. Ansonsten blieb es aber still.
Also erhob Lee seine Stimme. „Aufstehen, Rodeotag!“, rief er die Galerie hoch.
Es ertönten ein paar scharrende Geräusche, dann langsame Schritte. Schließlich erschien ein aschblasses Gesicht am Geländer. Lees schiefes Grinsen wurde bei diesem Anblick ein wenig kleiner.
„Erschreck mich nie wieder dermaßen.“, sagte Len leise, jedes Wort einzeln betont. Instinktiv wollte Lee einen Schritt zurückweichen. Aber dann war der Ausdruck auch schon wieder aus ihrem Gesicht verschwunden. „Was ist das Überhaupt für ein Land, in dem Rodeos vor dem Frühstück anfangen?“, fragte sie, ihr Tonfall wirkte wieder völlig normal.
„Oh, es gibt eine Menge zu tun. Schließlich werde ich mitreiten.“, antwortete er. Len nickte langsam.
„Solange ich das nicht muss.“, gab sie zurück.
„Bloß nicht. Zieh dir was Robustes an, ich mach in der Zwischenzeit Frühstück. Wir treffen uns dann am Stall.“,
antwortete Lee und machte sich wieder auf den Weg in die Küche.
Gut gelaunt und mit einem Ententanz, machte er ein paar Sandwiches zurecht. Dabei sang er aus vollem Hals „Moonshine in the Trunk“, zumindest bis seine Mutter ihn verschlafen zurückpfiff. Schließlich war es noch früh am Morgen, sie war froh nicht mit aufs Turnier fahren zu müssen. Vor allem aber sang Lee nicht gerade gut. Aber niemand konnte ihm seine Laune verderben. Er war kein besonders guter Reiter, nicht in den Maßstäben des Rodeos. Er war er durchschnitt seiner Altersklasse. Aber das machte nichts. Es war eine Sache, sich ein Rodeo anzusehen. Das war ganz hübsch. Aber mitzumachen, ist etwas anderes.
Schließlich ist ein Rodeo kein gewöhnliches Reitturnier. Es ist vielmehr ein Jahrmarkt, dessen Hauptattraktion Leute auf Pferden aller Art sind. Popcorn und Zuckerwatte gehören genauso dazu wie Kälberfangen und Reining. Und vor so einem ausgelassenen Publikum zu reiten ist etwas Einmaliges. Sofern man ein Pferd hatte, das damit klar kam.
Lee schnappte sich die Sandwiches und lief auf die Rückseite des Hauses. Hier befand sich ein alter Kuhstall. Der Vorbesitzer hatte etwas für Wyoming recht seltenes besessen, nämlich echte Milchkühe. Im Moment allerdings wurde er von drei Pferden bevölkert, die sich über eine Menge Platz freuten. Len stand in der Tür und streichelte einem etwas schmuddelig aussehenden weißen Pferd über die Nase. Sie trug dieselben Klamotten wie am Morgen, nachdem sie Lee aufgesammelt hatte. Sie hatte wohl nicht allzu viele Sachen zum Anziehen mit.
„Morgen Honeymoon.“, sagte Lee und kraulte der Schimmelstute kurz hinter den Ohren. Dann pfiff Lee durch die Zähne. Nicht laut, aber die beiden anderen Pferde kamen auch an die Tür. Lee öffnete die blaue Futtertonne neben der Tür und warf ein paar Scheppen Hafer in den Futtertrog. Die Pferde waren im Sommer viel draußen und fraßen Graß, so dass einmal Kraftfutter am Tag ausreichte. Die drei machten sich begeistert über ihr Frühstück her. Dann reichte er Len eines der Sandwiches.
„Also, ich und Drunken Hitman treten in der Jugend-Amateur-Klasse an. Da das nicht so bedeutend ist und so viele Leute interessiert, ist das die erste Prüfung. Das ist dann so etwa gegen halb zehn.“, erklärte er zwischen den Bissen. Len machte eine Handbewegung in Richtung der mampfenden Pferde.
„Wer ist Drunken Hitman?“, fragte sie ein wenig verwirrt.
„Das ist Dukes Zuchtname.“, antwortete Er. Len machte einen leicht gequälten Gesichtsausdruck. Lees persönliches Lieblingspferd hatte sie vor zwei Tagen fies gebissen.
„Passender Name. Sagt viel mehr über seinen Charakter aus. Um den kümmere dich mal schön selbst.“ Lee lachte ein wenig. Dann zog er seinen Autoschlüssel aus der Tasche und drückte ihn ihr in die Hand. Wenn sie nichts mit dem Pferd zu schaffen haben wollte, konnte sie sich ja um Truck und Hänger kümmern. Vierrädrige Dinge lagen ihr auf jeden Fall besser als Vierbeinige. Len verschwand also in Richtung Scheune zurück.
Lee nahm sich ein Halfter, stieg durch das Gatter in den Stall und band als erstes Duke fest. Dann öffnete er das Tor. Die anderen Beiden Pferde galoppierten mit erhobenen Schweifen auf ihre Koppel. Duke gab einige unwillige Geräusche von sich. Er war offensichtlich nicht begeistert davon, alleine zurückbleiben zu müssen. Lee tätschelte dem prachtvollen Paint leicht den Hals, dann ging er gemütlich den anderen beiden Pferden hinterher. Die beiden liefen noch immer über die scheinbar endlose Weide. Lee schloss lediglich das Gatter. Dann ging er zurück zu Duke. Er schnappte sich eine Bürste, und machte sich plappernd wie ein Papagei daran, ihn zu putzen.
Wenigstens hatte Duke die Nacht über nicht im Dreck gelegen. Duke war ein feines Paint mit einer eigenwilligen Zeichnung. Sein Kopf war Rabenschwarz, genauso wie sein rechtes Hinterbein und ein etwa Faustgroßer Fleck auf seiner Kruppe. Ansonsten war er schneeweiß. Während Lee irgendwas aus seiner Lebensgeschichte erzählte, wurde Duke wieder ruhiger. Er hatte Lee sicher noch nicht verziehen, dass er nicht mit auf die Wiese durfte, aber das war sein Problem. Obwohl weiss, lies sich Lees Pferd leicht putzen. Schnell glänzte er in der Sonne.

Gerade schnell genug, den Len rollte hupend in Lees Bronco vor. Sie fuhr nicht annähernd so schnell wie noch ein paar Tage zuvor. Viel mehr schien sie alle Mühe zu haben, mit dem riesigen Pferdehänger überhaupt manövrieren zu können. Zumindest fuhr sie langsam genug, um sich problemlos mit einem Fußgänger zu unterhalten. Aber ein paar Sachen hatte sie über Wyoming bereits gelernt. Erstens: Die Menschen waren irgendwie eigenartig normal. Zweitens: Alles war irgendwie überdimensioniert, sei es nun die Größe der Weiden, Trucks oder eben Pferdeanhänger. Mit einer irgendwie eleganten Bewegung schwang sich die Schwarzhaarige vom Fahrersitz. Die Haare in einem lockeren Knoten, eine nicht ganz saubere Jeans und das einfache T-Shirt – Sie sieht fast aus wie eine von hier, dachte Lee. Alles was dazu noch fehlte, war ein Hut. Zumindest, wenn sie mit einem Pferdeanhänger hantierte. Und vielleicht nicht diese grässlichen Sneakers. Ja, definitiv andere Schuhe. Aber das war eher eine persönliche Meinung, da gingen die Ansichten auseinander.
„Von dir bin ich eigentlich einen wilderen Fahrstil gewöhnt.“, bemerkter er spöttisch, während er das Pferd auf den Anhänger führte.
Len gab ein troziges Kleinmädchengrinsen zurück. „Ich bin zum ersten Mal in meinem Leben mit einem Hänger unterwegs. Außerdem weiß ich nicht, ob deine Mutter immer noch versuchen würde, uns beide zu verkuppeln, wenn euer Haus keine Veranda mehr hat.“, erwiderte sie mit einem zuckersüßen Blick. Lee brach so plötzlich in schallendes Gelächter aus, das Duke erstaunt einen Schritt rückwärts machte. Len stimmte in das Lachen ein. Als er sich wieder gefangen hatte, wurde er ein wenig ernster.
„Sei nett zu meiner Mutter. Sie kommt aus Utah, und in der perfekten Welt gibt es nur wunderschöne kleine geschniegelte Familien.“ Len zuckte mit den Schultern.
„Dafür hat sie sich aber das Falsche Mädchen ausgesucht.“, erwiderte sie scheinbar beiläufig. Lee hatte aber bereits begriffen, das hinter diesen Sätzen mehr steckte. Er hatte genug Zeit mit ihr verbracht, um sie ein wenig zu verstehen, die feinen Untertöne in ihre Stimme zu erkennen. Lee schloss schweigend die Tür des Hängers. Dann kletterte er auf den Fahrersitz. Len saß bereits auf ihrem Platz. Sie starrte schweigend aus dem Fenster. Sie hatte begriffen, das Lee ihr Verhalten aufgefallen war. Lee wusste nicht, wie er auf ihr Verhalten reagieren sollte. Sie war einfach kurz angebunden, ohne unhöflich zu sein. Lee versuchte gar nicht erst, sie zu fragen wie sie das gemeint hatte. Sein Gefühl sagte ihm, dass das eine besonders schlechte Idee gewesen wäre. Da er keine Lust hatte, über das Wetter zu reden, hing während der Fahrt jeder seinen Gedanken nach.

Das Rodeo ist für die Menschen im Mittleren Westen eines der Amerikanischen Kulturgüter schlechthin. Die meisten Menschen haben dabei vor allem das Bullenreiten oder das Broncoreiten, das sitzen auf einem uneingerittenen Pferd, im Kopf. Dabei geht es um viel mehr. Auf einem Rodeo werden normalerweise nicht nur Wettkämpfe in verschiedensten Reitdisziplinen ausgetragen, darüber hinaus gibt es eine ganze Menge an Showprogramm und nicht zuletzt die Wahl der Rodeokönigin. Die Stimmung ist ausgelassen, es werden erstaunlich große Mengen Popcorn konsumiert und das ganze County schaut mal vorbei. Lee lies Len am Haupteingang aussteigen, mit der Anweisung, schon mal für zwei gute Plätze zu sorgen. Dann fuhr er zur Rückseite des Geländes, lud sein Pferd aus und brachte es erst einmal auf den Paddock. Duke schaute sich ein wenig um, dann ging er zielstrebig auf den Wassereimer zu. Lee legte seine Sachen über den Zaun, parkte den Bronco und machte sich dann auf die Suche nach Len. Der bloße rabenschwarze Haarschopf sollte eigentlich nicht schwer auf der Tribüne zu finden zu sein, aber Lee konnte ihn nirgendwo entdecken. Da er nicht laut nach ihr rufen wollte, musste er wohl oder übel nach ihr suchen.
Er fand sie schließlich vor dem Zuckerwattestand, zusammen mit Harry. Er blieb in einiger Entfernung stehen und beobachtete sie. Obwohl noch früh am Morgen, war schon einiges los, daher konnte er nicht verstehen, worüber sie sprachen, aber es war sehr interessant anzusehen. Harry hatte Len seinen Hut auf den Kopf gesetzt, der ihr irgendwie zu groß war und ständig ins Gesicht rutschte. Sie alberten über irgendwas rum. Lee hatte nie erwartet, Len so … frei … zu sehen. Nicht das sie an sich nicht ausgelassen sein konnte, aber sie wirkte aus seinem Blickwinkel plötzlich so unglaublich gewöhnlich. Ein Mädchen und ein Junge die sich aneinander erfreuten, ein wenig klischeehaft vielleicht.
Lee musste Grinsen, als er daran dachte, was für ein merkwürdiges Paar die beiden abgaben. Der kleine Harry, der zwar auf den ersten Blick wie ein durchschnittlicher Junge aus der Gegend war, aber gleichzeitig viel jünger und irgendwo ein Nerd war, und Len, eine Junge Dame von Welt. Lee hatte nicht die geringste Idee, was die beiden wohl zu bereden hatten. Dann beschloss er, besser zu ihnen zu gehen, bevor sie entdeckten, dass er sie beobachtete und noch falsche Schlüsse zogen.

„Hi Lee“, sagte Harry betont beiläufig, als er sich zu ihnen stellte. Len warf Lee heimlich einen amüsierten Blick zu. Sie hatte ihn wohl gesehen, aber Harry nichts davon erzählt.
„Darf ich meiner Mutter also mitteilen, das ihre Bemühungen endgültig fehlgeschlagen sind und du Harry heiratest?“, fragte Lee grinsend.
Len winkte lächelnd ab. „Ich habe nicht vor, irgendwen in nächster Zeit zu heiraten. Ich habe schließlich auch nicht vor, für immer in Butterfly Creek County zu bleiben.“ Harry schaute ein wenig verwirrt zwischen den beiden hin und her.
„Was genau hat jetzt Quayles Mutter damit zu tun?“, fragte er dann. Lee schlug gespielt nach ihm und fragte sich zum wahrscheinlich millionsten mal, warum er ausgerechnet Harry seinen zweiten Vornamen verraten hatte. Wenigstens nannte er ihn nicht mehr Higgins, seit er gemerkt hatte das die meisten Leute seiner Generation mit diesem Namen nichts anfangen konnten.
„Die gute Dame würde Lee und mich gerne als Pärchen sehen. Na ja, eigentlich fürchtet sie sich nur, dass ihr Sohn niemals unter die Haube kommt und sie ewig für ihn kochen Muss“, antwortete Len auf Harrys Frage. Dann sah sie zwischen den beiden Jungs hin und her und sagte: „Ich glaube Higgins sagt keinem von euch was, oder?“
Harry prustete vor Lachen, und Lee hätte Len am liebsten erschlagen. Offensichtlich hatten die beiden einen sehr ähnlichen Fernsehgeschmack. Und offensichtlich gab es zur Zeit außer ihm zwei Leute, denen dieser bescheuerte Name etwas sagte. Was bedeutete, dass dieser blöde Gag nun wieder hochaktuell war.
Als Len entdeckt hatte, in was für ein Wespennest sie gestochen hatte grinste sie schadenfroh. Lee fragte sich, warum er von diesem Menschen vor wenigen Minuten noch als Dame von Welt gedacht hatte. Die Len, die jetzt vor ihm stand, hatte einen wunderbaren Hebel gefunden, um ihn zu ärgern, und lies keinen Zweifel daran, dass sie ihn auch benutzen würde. Harry hatte eindeutig das Kind in ihr geweckt.

Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zu den Tribünen. In der Arena fand gerade ein Barrel Racing Wettbewerb für die kleinsten statt. Len war völlig fasziniert von den Grundschulkindern, die in einem für sie unfassbar schnellen Tempo um die drei Fässer galoppierten. Eigentlich waren sie recht langsam, verglichen mit den älteren, draufgängerischen Jungs und Mädels. Die Jungs amüsierten sich über Lens erstaunten Blick.
„Du kommst aus Dallas. Sag bloß, du hast noch nie ein Rodeo gesehen.“, fragte Henry bestürzt.
Len zuckte mit den Schultern. „Es hat mich halt nie interessiert. Ich mag Pferde nicht besonders.“
„Dann hast du wohl die falschen Disziplinen ausprobiert. Wie wäre es, willst du das nicht mal versuchen?“, erwiderte Henry mit einer Handbewegung in Richtung Arena.
Len verzog angewidert die Augen. „Bitte sag, dass du nicht noch so ein Pferdemensch bist.“ Lee und Henry wechselten einen wissenden Blick. Dann verkündete Lee mit gespielter Entrüstung: „Harry ist ein Barrel Racer, ich bin ein Reiner. Versuche niemals, das zu vergleichen. Außerdem ist seine Promenadenmischung von einem Pony lahm, daher muss er leider auf der Tribüne bleiben. Aber vielleicht behauptet er das auch nur, um nicht wieder gegen eine Dreizehnjährige verlieren zu müssen.“
Harry ging auf seine Sticheleien ein. „Die Dreizehnjährige war Wyoming Meisterin, und zwar in unsere Altersklasse. Außerdem hast du, wenn ich mich recht entsinne, gegen eine Europäerin verloren. Und die war nicht Mals ein Profi, sondern eine Austauschschülerin.“, erwiderte er.
Lee schüttelte entrüstet den Kopf. „Sie war nicht bloß eine Austauschschülerin, sie war eine der führenden Westernreiterinnen in Deutschland überhaupt. Und sie war vor allem keine Dreizehn.“, wehrte er sich, „Und nun muss ich mich um mein Pferd kümmern. Schließlich ist es mein Titel als County Meister, der hier verteidigt werden muss.“
„Meister also?“, kicherte Len, „Dann beweis' mal, das du so gut reiten wie ich fahren kannst.“
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Re: [ex 16] Drive Like That (Roadmovie/Action)

Beitrag von Lilly »

Lee schlängelte sich seinen Weg von der Tribüne. Nach und nach kamen immer mehr Leute. Die Kinderprüfungen waren bald vorbei, und mittags sollte es mit den Reining losgehen. Er hatte noch etwa eine Stunde Zeit. Im Pferdesport war das nicht viel, alles brauchte seine Zeit. In ruhe holte er Duke von Paddock, bürstete ihn noch einmal und polierte dann sein Fell mit einem Stück Lammfell, bis er in der Sonne glänzte. Lee legte ihm seine beste, weiße Showtrense an, Sattelte ihn und ging dann zu seinem Wagen, um sich um zuziehen. Reining war ein schillernder Sport, wobei Lee ein Freund der traditionelleren Bekleidung war. Die verzierten Stiefel blank poliert, ein besticktes Hemd und vor allem eine Jeans mit einer spektakulären Gürtelschnalle. Mit einer lässigen Bewegung setzte er seinen Hut auf den Kopf und lief lächelnd zu seinem Pferd zurück. Ohne den Steigbügel zu benutzen, schwang er sich in den Sattel. Duke war die Ruhe selbst. Lee ritt ihn eine wenig über das Gelände, um ihm aufzuwärmen. Schließlich winkte ihn ein offizieller zum Eingang. Es ging los.

„Als nächsten Starter sehen wir Leeland Crow, Titelverteidiger, auf seinem Neunjährigen Paint Hengst Drunken Hitman.“ verkündete der Stadionsprecher.
Lee rückte noch einmal seinem Hut zurecht, legte sich vorsichtig die Zügel in die Hand. Dann ging es los. Der Trab in die Mitte der Arena war keine große Herausforderung. Er hielt und grüßte die Richter. Duke stand absolut ruhig da, während sie auf die Startfreigabe warteten. Als erstes kamen die Spins. Die schnellen Drehungen auf der Stelle lief Duke wie am Schnürchen. Er wartete lediglich auf Lees Signal. Sauber trat er, lies die Vorder um die Hinterbeine treten. Wer auch immer ihn ausgebildet hatte, in diesem Punkt hatte er ausgezeichnete Arbeit geleistet. Das Publikum feuerte ihn begeistert an.
Dann stand er wieder ruhige da und wartete auf die zweite Startfreigabe. Auf das Klingeln hin galoppierte Lee Duke an. Die erste Aufgabe war ein langsamer Kreis. Duke sprang locker von der Hand, ohne das Lee die Zügel besonders annehmen musste. Er hörte wie er rhythmisch schnaubte und das Leder des schweren Sattels im Takt knarzte. Er Dachte über Lens Worte nach. So zu reiten wie sie fuhr. Er schnalzte einmal mit der Zunge, verlagerte sein Gewicht nach vorne und beschleunigte. Duke gab Gas, das Publikum feuerte ihn an, und Lee beschleunigte weiter. Ein großer Schneller Kreis. Seine Hand lag fast zwischen den Ohren des Pferdes. Lee riskierte alles. Duke sprang lange Sprünge, sein Atem ging heftig, aber er kam ohne Probleme um die Kurve. Lee jubelte innerlich. Einmal um den ganzen Platz im Galopp. Nach dem unfassbar schnellen Zirkel tobte das Publikum, und Lee bekam eine Art Geschwindigkeitsrausch. Gemeinsam mit den Stimmen der Menge ritt er schneller als jemals zuvor. Alles schien wie in Zeitlupe abzulaufen.
Trotzdem kam der kritische Punkt schnell. Nach der Runde musste er die Richtung wechseln, innerhalb von zwei Sprüngen hatte er Duke aber genug versammelt, dass er einen korrekten Wechsel springen konnte. Lee war begeistert. Duke atmete schwer, aber er zeigte keine Anzeichen von Erschöpfung. Auf der rechten Hand musste er ihn auf dem langsamen Zirkel ein wenig kürzer nehmen, sonst lief er den kleinen Kreis nicht sauber genug. Auch ritt er die großen, schnellen Kreise normalerweise ein wenig langsamer als auf der Linken Hand. Normalerweise. In der allgemeinen Euphorie des Tages aber gab er wieder alles. Duke lies sich vom Jubel der Menge tragen, und als er noch einmal die ganze Arena umrundete, flogen sie gemeinsam, ein Gescheckter Falke angestachelt von ihren Herzen und den Stimmen des Publikums. Der Zweite Galoppwechsel war nicht ganz so schön wie der erste, aber er war immer noch gut.
Duke lies sich gut zusammennehmen, Lee wendete ihn auf die Mittellinie ab zum großen Finale. Erst ein paar ruhige Galoppsprünge, dann beschleunigen. Mit einer unfassbaren Geschwindigkeit hetzte er auf die Bande zu. Einen kurzen Moment lang realisierte er, oder glaubte zu realisieren, was er gerade tat und erschrak sich vor der näher kommenden Bande. Das brachte Duke ein wenig aus dem Konzept, so dass der erste Sliding Stop ein wenig unsauber war. Lee wendete und wiederholte die Aktion in die andere Richtung. Duke zog mächtig das Tempo an, so als sei er selber ein wenig enttäuscht über die vorherige Aktion. Dieses mal lief alles Glatt, was Lee wieder Mut machte. Noch einmal wendete er, und dieses Mal trieb er Duke zur höchstmöglichen Geschwindigkeit an. Schließlich ist es immer noch eines dieser kleinen Westernpferde, was den Geschwindigkeitsrekord bei Pferden hält. Der Stop gelang ausgezeichnet. Lees Hut löste sich dabei vom Kopf. Mit Reflexen, die einer Katze alle Ehre gemacht hätten, fing er ihn mit der freien, linken Hand aus der Luft. So etwas hatte noch keiner der Anwesenden jemals gesehen, was zu einem Sturm der Begeisterung führte. Sauber lief Duke die kurze Strecke rückwärts, mit der die Prüfung endete. Das Publikum war begeistert. Lee lehnte sich nach vorn und fiel seinem Pferd auf den Hals. Den Hut lege er ihm auf den Kopf, und mit beiden Händen jubelnd verließ er die Arena. Dieser Ritt war um Längen besser gewesen, als alles was er jemals zuvor getan hatte. Vielleicht war es der beste Ritt, den dieses County jemals auf seinem Rodeo zu sehen bekommen sollte.

Während Lee sein erschöpftes Pferd absattelte, trat ein Mann von etwa 50 Jahren zu ihm. Er war groß und Hager, wirkte fast ein bisschen zerbrechlich, was irgendwie im Kontrast zu seiner verwitterten Haut stand. Er trug lokaltypische Sonntagskleidung vom feinsten. Lediglich sein Hut wirkte alt und viel benutzt.
„Guten Tag, Mr Crow.“, sagte er ruhig. Seine Stimme war geradezu lächerlich hoch.
„Guten Tag, was kann ich für sie tun Mr?“, fragte Lee.
„Cane. Kyle Cane. Bauunternehmer aus Peakside County.“, erwiderte er und reichte Lee seine Hand. Lee ergriff sie. Mr. Cane hatte einen festen Händedruck, wie sein Auftreten sehr solide und ruhig.
„Also dann, Mr. Cane, was kann ich für sie tun?“, fragte Lee wieder.
„Nun, ich unterstütze Amateur- und Berufsmäßige Rodeoreiter. Und so etwas wie ihre Vorstellung eben sieht man eigentlich nie auf Provinzturnieren wie diesem. Haben sie mal überlegt, Reiten zu ihrem Beruf zu machen?“, sagte er geradeheraus.
Lee war von diesem Angebot so erstaunt, dass er nichts darauf zu erwidern wusste. Er hätte ihm genauso gut eine Stelle als Fernsehmoderator oder als Geschäftsführer einer Firma für Damenstrümpfe anbieten können. Es war etwas, das absolut außerhalb seiner Ideen lag. Er ritt schon immer ganz gut, guter Durchschnitt halt, aber er hatte nie die Absicht gehabt, in den großen Sport zu gehen.
„Ehrlich gesagt, nein.“, sagte er schließlich langsam. Das war kein Satz, den Cane besonders oft hörte. Er lächelte, ein wenig verwirrt vielleicht, aber er behielt seine Haltung.
„Nun, sie sind gut. Und sie müssen gar nicht in den großen Sport wollen, vielleicht wollen sie auch nur mal auf das ein oder andere Turnier ein bisschen weiter Weg fahren. Sie hätten bestimmt das Zeug zur Jugendklasse des Staates, auch wenn sie nicht immer so reiten wie heute.“, meinte er gelassen.

Lee dachte einen Moment darüber nach und musste innerlich lachen. Er wäre gerne Profisportler geworden, allerdings auf vier Rädern, und nicht auf Vierbeinern. In letzter Zeit schien es Mode zu sein, das Leute mit Vorschlägen auf ihn zukamen, die ihm wenigstens gefielen. „Nun, darüber muss ich länger nachdenken. Das ist alles sehr unerwartet, schließlich ist es nicht so, dass ich auf so eine Chance hingearbeitet habe. Reiten zu meinem Beruf zu machen halte ich für keine so gute Idee, aber vielleicht mehr zu machen als jetzt scheint verlockend."
„Überlegen sie sich das. Sie haben ein gutes Pferd und das nötige Talent. Aber ich möchte sie in nichts reinreden. Hier haben sie für alle Fälle meine Karte.“

Nach dem er Duke verladen hatte, machte er sich auf die Suche nach Harry und Lee. Inzwischen tummelten sich allerlei Leute auf dem Vorplatz, und es war verdammt unübersichtlich. Selbst die eher auffällige Erscheinung Lens war nicht leicht zu finden. Lee betrachtete das rege Treiben auf dem Platz. Sie waren ausgelassen, redeten und lachten. Ihre Stiefel scharrten auf dem Sandigen Boden.
Lee ließ seinen Blick systematisch schweifen. An die Wand des Zuckerwattestands gelehnt, stand ein Mensch der nicht ausgelassen wirkte. Er war zu weit weg, um ihn genau erkennen zu können, aber etwas in der grazilen Art, wie die Gestalt sich eine Strähne aus dem Gesicht strich, ließ ihn an Len denken. Entschlossen bahnte er sich einen Weg durch die Menge. Er hatte das Gefühl, gegen den Strom zu schwimmen, aber das war eine Illusion. Es war einfach sehr voll.
"Alles gut, Schätzchen?", fragte er scherzhaft, als er sie erreichte.
Len grinste Breit. "Sicher doch. Lass uns fahren."

Lee und Len gingen quasi schweigend zurück zum Auto. Len war immer noch freundlich, ihr schien das Fest zu gefallen, trotzdem wirkte sie verändert. Lee hätte nie behauptet, dass Len sich permanent umsah, sie wirkte nur aufmerksam. Nicht verfolgt, mehr als suche sie jemanden. Als sie schließlich gemeinsam im Auto saßen und das Rodeo hinter sich gelassen hatten, musste Lee einfach fragen.
"Was ist los mit dir?" Len schaute ein wenig verlegen drein. Es war das erste Mal das er sie auch nur annähernd so sah.
"Ich werde heute Abend weiter fahren. Ich muss nach Chicago, deshalb war ich auch ursprünglich unterwegs. Nur haben sich die Angelegenheiten ein wenig verändert, dass ich mich besser auf den Weg mache."
Lee dachte einen Augenblick darüber nach, zu fragen worum es ging. Aber er verwarf den Gedanken wieder, schließlich ging in Lens Privatleben nichts an. "Hmmm.", machte er nur, ohne zu wissen was er sagen sollte. Schließlich war es nicht dieser große Abschied nach einer Woche voller Liebe, das romantische auf nimmer wiedersehen. Sie war plötzlich gekommen, und genauso plötzlich sollte sie auch wieder gehen.
"Schau nicht so nachdenklich aus der Wäsche. Ich kann ja auf dem Rückweg wieder vorbei schauen, an einem Tag schafft man die Fahrt ja sowieso nicht.", sagte sie grinsend. "Außerdem brauch ich noch einmal deine Hilfe. Ich müsste mal deinen Drucker benutzen."
Lee sagte sie dürfte das gerne. Dann wechselte Len das Thema, und sie unterhielten sich über das Rodeo. Len war beeindruckt von Lees Ritt.

// Ende First Part//
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Re: [ex 16] Drive Like That (Roadmovie/Action)

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Interlude

Stand on the Box
Stomp your feat
Start clapping
I got a real good feeling something bad is ‘bout to happen

Pulled up to the church
But I got so nervous
Had to back it on up
Couldn’t make it to the service
Grabbed all the cash underneath my mattress
I got a real good feeling something bad is ‘bout to happen

(Miranda Lambert feat. Carrie Underwood – Something bad)


Second Part: A haunting Storm



Am Morgen nach Lens Aufbruch stand Lee auf und schüttelte den Kopf über die Geschehnisse in den letzten drei Wochen. Wie aus dem Nichts war ein Mädchen aufgetaucht, hatte ihn mehr erstaunt als jemals ein Mensch zuvor, und in genau dieses Nichts war sie auch wieder verschwunden. Der Alltag war wieder da, und Lee störte sich nicht daran. Es war ein Sonntag, das bedeutete dass seine Eltern schliefen und er Stalldienst hatte. Lee schlief niemals lange, so hatte es sich selbstverständlich ergeben, dass er sonntags früh hinter das Haus ging und die Pferde auf die Weide ließ. Sie sprangen mit derselben Begeisterung wie jeden Tag aus dem Stall, um liefen mit kräftigen Sprüngen den Berg hinauf. In der Ferne schrie irgendwo ein Uhu. Es war eigentlich zu spät, um ihn noch wach zu erleben. Lee lies trotzdem seinen Blick den Waldrand entlang schweifen. Die abergläubischeren unter den Einheimischen nannten den Uhu den Unglücksvogel. Über den Bäumen schien noch die Sonne, aber es wurde bereits Windig. Vielleicht hatte das kommende Gewitter in Lees Rücken den Vogel aufgebracht. Es würde auf jeden Fall kein schöner Tag werden. Der Sommer war warm gewesen bis jetzt, aber kein Wetter hielt sich ewig. Und auch wenn es so weit im Landesinneren keine Hurrikans gab, kannte man Stürme. Gewaltige Stürme, die über die Prärieähnliche Landschaft fegten und so viel Regen mit sich brachten, das bald jede Straße unter Wasser Stand. Lee lebte lange genug in der Gegend, um den Sturm kommen zu sehen, fast schon zu spüren. Und sein Gefühl sagte ihm, dieser Sturm würde besonders schlimm werden. Mit einem Schulterzucken ging er zurück ins Haus. Die Pferde konnten sich ja jeder Zeit im Stall verkriechen, wenn es ihnen draußen zu ungemütlich wurde.

Drinnen angekommen setzte er Kaffee auf. Sein Vater schwor auf klassischen Filterkaffee und lehnte es strickt ab, eine dieser modernen Kapselmaschinen anzuschaffen. Und wer Stalldienst hatte, hatte auch Kaffee zu machen. Lee störte sich auch an dieser Aufgabe nicht wirklich. Er wartete auf den Kaffee, nahm sich eine Tasse und verzog sich dann wieder in sein Zimmer. Er hatte keine Lust auf ein Familienfrühstück. Irgendwo oben hörte er wie sein Vater aufstand. Das war nichts ungewöhnliches, sein Vater ging mehr oder weniger regelmäßig sonntags in die Kirche. Lee hatte, auch wenn er sich als sehr amerikanisch ansah, nicht viel für Religion übrig. Ideen, die hunderte von Jahren alt waren sollten seiner Meinung nach nicht das Leben der Menschen im 21. Jahrhundert beeinflussen. Es war nicht so, dass sie alle dumm waren, aber viele hatten ihren Zweck nicht mehr. Nicht, das sein Vater besonders konservativ war. Er hatte mehr eine sehr persönliche Beziehung zu Gott, und das hatte mit einem Fall zu tun, der viele Jahre zurück lag. Lee war damals drei, vielleicht vier Jahre alt gewesen. Er hatte keine eigenen Erinnerungen daran.

Chris Perry war ein ganz gewöhnlicher Mann gewesen. Er hatte sein ganzes Leben in Butterfly Creek County zugebracht, und als Sattler einen Laden für Reitbedarf betrieben. Gemeinhin galt er als etwas kauzig, aber als nett, aufrichtig und einfach gestrickt. Das einzig gewöhnliche an Hannah Smith war ihr Name. Lee hatte einmal eine Fotografie von ihr gesehen. Sie war groß, hatte traumhafte rote Haare gehabt und bereits ihr Aussehen verfügte über ein gewisses Charisma. Sie war nach Perlington gezogen, und ziemlich bald lernte sie Perry kennen. Niemand hatte jemals begriffen, was sie an ihm fand, aber die beiden mussten eine sehr wilde Beziehung geführt haben. Perry war glücklich, mit Anfang vierzig doch noch einen Frau gefunden zu haben, und er begann ihre Hochzeit zu planen. Na ja, fast, dann fand er heraus, dass Smith bereits verheiratet war und einen sechsjährigen Sohn zusammen lebte. Perry schoss sie sofort in den Wind. Er war schwerer enttäuscht worden und fühlte sich stärker betrogen, als jemals zuvor. Er war ein einfacher Mann gewesen, und bis zu diesem Tag war auch sein Leben einfach gewesen. Vielleicht hart, aber auf jeden Fall nicht kompliziert. Und vielleicht lag es eben an seiner simplen Einstellung, dass er sich für diese ihm unvorstellbar große Demütigung rächen wollte. Er plante seine Rache lang und gewissenhaft. Er ermordete nacheinander Smith Sohn, ihren Mann und schließlich sie. Für die Polizei war es kein besonders komplizierter Fall. Kompliziert wurde der Fall erst für den Richter. Die Menschen in der Kleinstadt hatten sicher schon von Verbrechen dieser Art gehört, schauten mit Begeisterung CSI und Co, aber das jemand so etwas in ihrem kleinen Stück vom Paradies tat, war für sie unvorstellbar. Am Ende waren Richter Crow und der Verteidiger Perrys die einzigen beiden Menschen, die ihn nicht zum Tode verurteilen wollten. Alle Gutachter stuften Perry als absolut bei Sinnen ein, und Lees Vater konnte den Ausgang des Prozesses nicht aufhalten. Perry wurde zum Tode verurteilt, und Anthony Crow war ein gebrochener Mann. Er war immer ein offener Gegner der Todesstrafe gewesen, aber er hatte es immer für möglich gehalten, ein solches Urteil zu verhindern. Bis zu dem Tag war es das auch gewesen. Und genau an jenem Tag hatte er begonnen, sich an Gott zu wenden. Er brauchte die Religion als Ausgleich, um mit dem Druck seiner Arbeit fertig zu werden.

„Woran denkst du?“
Lee fuhr erschrocken herum. Er hatte nicht gehört, wie sein Vater die Treppe herunter gekommen war. Er fragte sich, wie lange er ihn wohl schon beim aus dem Fenster starren beobachtete.
„An den Perry Fall.“, antwortete er wahrheitsgemäß.
„Das muss an diesem Wetter liegen. Ich werde heute hier bleiben, ich glaube nicht, dass der Gottesdienst vor Beginn des Unwetters zu Ende ist. Irgendetwas Bedrohliches liegt in der Luft, ich habe kein gutes Gefühl.“, sagte Anthony mehr zu sich selbst.
„Da wären wir schon zwei.“, erwiderte Lee. Er musste an den Uhu denken. Auch wenn er den Namen Crow trug, gab es in seiner Familie kein Indianisches Blut. Aber in diesem Teil des Landes kam man um Begegnungen mit ihrer Kultur nicht herum, und gewisse Dinge färbten dabei auf einen ab. Man bekam ein gewisses Gefühl für die Landschaft, die als Ganzes ein bisschen lebendiger war als woanders.

~~~

Sie sollten Recht behalten, was das Wetter anging. Der Sturm wurde heftig. Lee störte sich nicht wirklich daran. Er setzte sich an den Computer und holte auf, was er in den letzten drei Wochen weniger gespielt hatte. Solange das Wetter ihm weder Strom noch Internet nahm, war es ihm herzlich egal, dass draußen die Welt unterging. Er musste schließlich nirgendwo hin. Also gab es für ihn nur noch Kaffee und Computer. Und obwohl er völlig in seinem Spiel versank, hörte er, als es an der Haustür klingelte. Er war viel zu neugierig, um an seinem Schreibtisch sitzen zu bleiben. Mit der Mentalität eines Fünfjährigen sprang er auf und flitzte die Treppe hinunter, während er: „Ich geh schon!“, rief. Schließlich musste es etwas wichtig sein, dass man auf einen Sonntag mitten durchs Unwetter bis raus auf die Crow Ranch fuhr.

Lee öffnete die Tür. Er starrte in das Gesicht eines sehr aufgeregten Ryan, eines besorgten Sherriff Dune und einer wie immer undeutbaren Staatsanwältin. Ryan war von allen am nassesten. Lee winkte das merkwürdigte Trio schnell rein und führte sie ins Wohnzimmer. „Ich denke, Sie wollen zu meinem Vater.“, sagte er.
„Ist er nicht da?“, fragte Ryan. Er wirkte zappelig, fast euphorisch. Auf jeden Fall schien es ihn nicht zu stören, dass er von oben bis unten durchnässt war. Er trug seine Uniform, was bedeutete er hatte Sonntagsdienst gehabt. „Doch.“ Lee holte Luft und rief: „Daddy, der Sherriff und sein Gefolge sind hier.“
Der Richter gesellte sich schnell zu ihnen. Er trug seine Lesebrille und einen Jogginganzug und wirkte ein wenig überfallen durch den Besuch. Er begrüßte die Leute beiläufig und fragte dann: „Was für einen Durchsuchungsbefehlt soll ich ausstellen. Da ihr unter diesen Umständen hier aufgekreuzt seid, glaub ich euch, dass es wichtig ist.“ Die Staatsanwältin aber schüttelte den Kopf. „So einfach ist das nicht, Anthony. Wir sind in einer weniger offiziellen Sache hier.“
Der Richter sah ein, dass er sie so bald nicht wieder loswerden würde. „Also schön, Monique. Sherriff, Ryan, setzt euch. Was kann ich für euch tun?“ Sie nahmen alle auf der kleinen Couch Platz. Lee dachte nicht daran, zu gehen, und es dachte auch keiner daran, ihn wegzuschicken. Er würde sowieso alles erfahren. Es war Ryan, der anfing zu berichten.
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Re: [ex 16] Drive Like That (Roadmovie/Action)

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„Ich hatte heute alleine mit Linsey Sonntagsdienst. Es war nicht viel los, keiner musste raus. Die meisten Leute hatten sich wohl entschieden, zu Hause zu bleiben und den Sturm abzuwarten. Linsey und ich machten uns daran, Papierkram zu erledigen, oder sie zeigte mir wie man Papierkram erledigt Auf jeden Fall landete auf meinem Stapel auch ein Brief, den gestern Abend jemand in unseren Kasten geschmissen haben muss. Jemand hatte nur mit Bleistift in Druckbuchstaben Sherriff's Office – Butterfly Creek County darauf geschrieben. Ich dachte mir nichts weiter dabei und machte ihn auf. Darin war ein Brief, ohne Unterschrift, ein Computerausdruck. Ich les am besten einfach mal vor.“

Der Sherriff reichte Ryan eine durchsichtige Beweismitteltüte. Ray begann zu lesen.
Lieber Deputy, Lieber Sherriff oder wer auch immer diesen Brief in die Hände bekommt. Ich weiß, wir stehen auf verschiedenen Seiten des Gesetzes, aber manchmal haben selbst wir dieselben Absichten. In der Stadt ist ein Mann aufgetaucht, der Bundesweit gesucht wird. Sein Name ist Freddy Daniels, und er ist ein Auftragsmörder für das Texanische Kartell um Spaggiari. Es ist für uns beide besser, wenn ich mich nicht selber um diese Angelegenheit kümmern muss. Auf jeden Fall haben die aus dem Süden nicht in meinem Gebiet rumzuspielen, ganz gleich was sie vorhaben. Vielen Dank für Eure Hilfe. Hochachtungsvoll. Drake Bush.

Ryan machte eine Pause um sicherzugehen, dass alle verstanden hatten, worum es ging. Drake Bush war so etwas wie der Pate des Mittleren Westens, wobei diese Bezeichnung ein wenig übertrieben war. So etwas wie Mafia gab es in Wyoming nicht. Wohl aber ein großes Drogenkartell. Hauptsächlich bauten sie Marihuana an, irgendwo in den Wäldern oder an anderen verlassenen Ecken, die niemand überwachen konnte. Das Land war so weit, wenn man sich nicht auffällig benahm konnte man sich überall verstecken. Auch vor der breiten Öffentlichkeit, die von der Existenz des Kartells nicht wusste.

„Aus vergangenen Fällen mit Bush wissen wir, das er in seinen Briefen nicht lügt, was mich zu der Annahmen führte, dass Daniels sich wirklich in Butterfly Creek County aufhält. Ich setzte ihn auf die Fahndungsliste, Drucke ein Bild von ihm aus und machte mich dann auf den Weg, um den Sherriff zu informieren. Die Sache schien mir so brisant, dass ich es besser nicht über Funk durchgeben wollte.“, fuhr Ryan mit seinem Bericht fort.
Im fliegenden Wechsel übernahm der Sherriff. „Ich wohne nur ein paar Häuser von meinem Büro entfernt, aber Deputy Washington war bereits nasser als die Fische in meinem Teich, als ich ihm die Tür öffnete. Er zeigte mir den Brief. Es war ausgesprochen klug von ihm gewesen, mich direkt zu informieren. Die Situation die wir hier haben, ist nämlich ein wenig komplizierter, als es scheint. Der Hinweis auf den Aufenthaltsort Daniels‘ ist zweifelsohne einer, dem wir nachgehen müssen. Gleichzeitig stellt dieser Brief auch einen Hinweis auf den Aufenthaltsort Bushs dar. Und das ist eine Gelegenheit, die wir uns auch nicht entgehen lassen dürfen. Der arrogante Kerl ist unnahbar, nicht mal sein realer Name ist uns bekannt. Bush könnte ihr Nachtbar sein.“, berichtete der Sherriff.
„Das glaube ich kaum. Mein einziger Nachbar ist eine alleinerziehende Crow Indianerin mit drei Kindern, “ erwiderte der Richter, „aber was an diesem Fall ist so dramatisch, dass ihr mich deshalb aufsuchen müsst?“

Es war die Staatsanwältin, die antwortete. Sie legte ihren derben Kopf schief wie ein Papagei. Monique Dancing Sparrow war eine halbe Cheyenne, die aber mit ihren Eltern außerhalb der Reservate aufgewachsen war. Die kantigen Züge hatte sie von ihrem Vater geerbt, die Art ihren Kopf grazil zur Seite zu legen von ihrer Mutter. Schön waren nur ihre langen, schwarzen Haare. Sie war nicht gerade ein anziehender Mensch, aber sie hatte Charisma und eine geheimnisvolle Aura. Niemand, egal ob indianisch oder nicht, konnte jemals sagen was in ihrem Kopf vorging. Ihre Stimme war wie ihr Äußeres ungewöhnlich, tief, ja fast Männlich.

„Das Problem an diesem Fall ist nicht Daniels. Wir kriegen ihn oder auch nicht. Das Problem ist Bush. Wir waren noch nie so nah daran, ihn zu bekommen. Das Problem ist aber, was wir tun wenn wir ihn fassen. Bush ist kein Mafioso, der Angst und Schrecken in der Öffentlichkeit verbreitet. Wenn wir ihn fassen, weil er uns eine Nachricht hat zukommen lassen, die zur Ergreifung eines Kriminellen geführt hat, werden wir ihn niemals für das verurteilen können, was er alles getan hat. Die Argumentation der Verteidigung wird in etwa so aussehen: Bush wurde gefasst, als er versuchte uns vor einem in seinen Augen gefährlichen Kriminellen zu warnen. Sein einziges Verbrechen ist der Anbau und Handel mit Marihuana, einer Droge, deren Status als solche umstritten ist. Dabei hat er uns in diversen Situationen Informationen zugespielt, die zur Ergreifung wirklich gefährlicher Elemente geführt haben. Wenn er besonders kühn drauf ist, sagt er noch er hat aus der Tatsache, sich als Marihuanaanbauer auf der anderen Seite des Gesetzes zu befinden, zum Wohl der Gesellschaft genutzt und redet was von Freiheit des Marihuanakonsums und seinem Mut. Das ist natürlich Schwachsinn, aber da Bush keine Brutalen Drive-Bye-Shootings veranstaltet, sondern Leute in seinem Umfeld lieber spurlos verschwinden, kennt ihn die Öffentlichkeit nicht. Wir werden wohl schwerlich einen Beweis für einen Mord finden. Bush lebt irgendwo tief in den Wäldern, und er kennt die Wildnis besser als irgendwer anders. Verschwinden kann man gut dort. Einfach irgendwo aussetzen, die Leute finden nicht zurück in die Zivilisation. Verirrt und verhungert...“,
Monique schüttelte sich. Es war zum Teil gespielt, Teil der Show der Staatsanwältin. Dann sprach sie weiter. „Wenn wir ihn schon fangen, will ich ihn wenigstens für alle erdenklichen Drogendelikte belangen können, die er begangen hat. Also brauche ich ihn in flagranti, mit Kokain im Wert von mehreren Millionen oder etwas vergleichbarem. Daraus wird er sich niemals rausreden können.“

Der Richter seufzte tief. „Ich weiß, worauf ihr hinauswollt. Ihn nicht zu verfolgen, bedeutet absichtlich einen gesuchten Kriminellen entkommen zu lassen. Was ein Vergehen von Seiten der Polizei wäre. Ihn jetzt zu verfolgen, beziehungsweise ihn jetzt in unsere Hände zu bekommen, ist der für die Staatsanwaltschaft unglücklichste Zeitpunkt überhaupt, denn er hat sich in letzter Zeit erstaunlich bedeckt gehalten.“
Anthony Crow lehnte sich in seinem Sessel zurück und schnalzte nachdenklich.
„Ich darf das eigentlich nicht einmal mit euch diskutieren. Ich darf als Richter ganz bestimmt nicht die Anklage beraten. Was ich mich frage ist, warum ihr euch so sicher seid, dass Bush persönlich in der Stadt war. Den Brief kann auch irgendeiner seiner Handlanger abgegeben haben. Schreibt ihn mit auf die Fahndungsliste, lasst die entsprechenden Leute Ausschau nach ihm halten. Aber kümmert euch in erster Linie um Daniels. Der Kerl ist bestimmt hier, und wenn man in Newtown nicht mehr vor einem Auftragskiller sicher ist, dann weiß ich es auch nicht mehr.“
Anthony Crow seufzte noch einmal. Es war Monique, die ihm antwortete. „Bush ist ein ungewöhnlich gewöhnlicher Mensch. Er ist ein Einheimischer, ohne das er irgendetwas Markantes an sich hat. Er fällt nicht auf und bleibt nicht im Gedächtnis. Er spielt sich nur in seinen Briefen auf, und wir haben exakt neun Bilder von ihm. Er erledigt viel persönlich, das wissen wir.“ Der Richter seufzte erneut. Der perfekte Verbrecher ist der perfekte Musterbürger. Unauffällig und Zurückhaltend. Wahrscheinlich gab es überhaupt keine Musterbürger, sondern nur Verbrecher, die Musterbürger spielten.

„Habt ihr ein Bild von ihm?“, fragte Lee neugierig. Keiner hatte ihn davon geschickt, also hielt er es für sein gutes Recht, mitzureden. Der Sherriff reichte ihm wortlos eine Akte. Lee schlug sie auf und blickte in das Gesicht eines Mannes von etwa sechzig, mit vergehendem, grauem Haar und einem Durchschnittsgesicht. „Sieht ein wenig aus wie Randy Blair, nur älter.“, sagte er. Ansonsten viel ihm nichts an dem Mann auf.
„Wer ist Blair?“, fragte Ryan. Lee sah ihn erstaunt an. Aber in Anbetracht der Aufregung, war es verzeihlich.
„Randy ist Harrys Vater.“, sagte er gedehnt. Zu den anderen gewandt: „Besitzer der Lonesome Pines Ranch.“
Der Sherriff erwiderte, halb im Scherz: „Oh, das stimmt. Hat der noch einen Vater?“
Ryan und Lee tauschten einen Blick aus und kicherten. „Grandpa Willi ist 78 Jahre alt. Und sitzt im Rollstuhl.“, sagte Ray schließlich.
Der Sherriff winkte ab: „Das wäre ja auch zu leicht gewesen. Hier ist übrigens das, was wir über Daniels haben:“ Er reichte dem Richter eine Akte. Während er las, bildete sich auf seiner Stirn eine kreisrunde Falte zwischen den Augenbrauen. Lee beunruhigte diese Falte zu tiefst. Sie bedeutete Ärger im großen Stil. Er reckte sie ein wenig, um einen Blick auf das Foto zu erhaschen, ohne das es zu auffällig wirkte. An Ryans Blick aber merkte er, dass es ziemlich auffällig und lächerlich aussah. Lee gefror urplötzlich „Diesen Kerl habe ich allerdings schon einmal gesehen.“
Sofort hatte er die Aufmerksamkeit aller Anwesenden.
„Wo?“, fragte der Scherriff schlicht.
„Als ich Sully am Montag abgeholt habe. Bei der Lodge der Familie O’Brien.“
Ryan warf ihm einen erschrockenen Blick zu. „Du willst also sagen, seit Montag wohnt bei Sully ein Bundesweit gesuchter Auftragskiller?“
Lee Schüttelte ein wenig den Kopf. „Ich sagte lediglich, ich habe ihn dort gesehen.“
„Na ja, das haben wir gleich!“, erwiderte Ray und angelte sich die Akte aus den Händen des Richters. Dann zückte er sein Smartphone, machte ein Foto und sendete es an Sully. Erstaunlicherweise funktionierte das trotz des apokalyptischen Wetters.
Zuletzt geändert von Lilly am Mi 27. Apr 2016, 16:05, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: [ex 16] Drive Like That (Roadmovie/Action)

Beitrag von Lilly »

-Kennst du diesen Mann?

-Wohnt bei uns seit letzten Sonntag. Heißt Corbin, Corbin irgendwas.

-Ist er zur Zeit da?

-Muss ich Mama fragen. Ich verbring nicht so viel Zeit unten. Was ist mit ihm?

-Behalts für dich und zeigs keinem. Er ist ein gesuchter Killer

-Mama meint der Kerl ist heute Morgen trotz der Sturmwarnung rausgegangen und noch weg.

-Ich denke wir kommen hoch, macht schon mal Kaffee.

-Keine Chance, Lonesome Pines Pass ist dicht.


Ryan erzählte kurz, was er erfahren hatte. Der Sherriff blickte resigniert in die Runde. „Und fliegen wird bei dem Wetter auch niemand da hoch. Das heißt, wir müssen warten, bis sich das Wetter gelegt hat. Bis dahin ist er über alle Berge.“
Lee zuckte mit den Schultern. „Da hoch kommt man relativ leicht von hier aus, mit dem Pferd oder zu Fuß. Schwieriger wird es sein, bei dem Wetter einen einzelnen Mann zu finden. Ich glaube kaum, dass er gefunden werden möchte.“
Lee beobachtete, wie sein Vater aus dem Fenster in den Regen starrte. Er dachte sicherlich dasselbe, wie alle anderen. Kein normaler Mensch ritt bei solch einem Wetter durch den Wald. Es war mehr als nur Unvernünftig.
„Würdest du das riskieren, Ryan?“, fragte der Sherriff. Ryan biss sich nachdenklich auf die Lippe. Lee musste an die Euphorie denken, mit der er das Haus betreten hatte. Ein Teil von ihm wollte das ganz sicher riskieren. Ein andere wollte nichts Falsches sagen.
„Ich denke schon. Wenn man bedenkt, dass der Kerl bei diesem Sauwetter in den Wald spazieren geht, dann bestimmt nicht, zu seiner Unterhaltung. Es besteht also Grund zur Annahme, dass er vorhat seinen Auftrag auszuführen und daher für irgendwen eine akute Gefahr besteht“
Der Sherriff nickte bedächtig. „Gute Argumentation, um es zu begründen falls es schief geht. Lee, wie drück ich das jetzt aus. Könntest du uns da rauf bringen?“
Lee merkte, wie sich sein Vater neben ihm versteifte. Ihm gefiel wohl gar nicht, dass sein Sohn bei einem Unwetter in den Wald reiten könnte. Lee selbst ließ seinen Blick aus dem Fenster schweifen. Es war mehr als bloß unvernünftig, sich bei solchem Wetter in den Wald zu begeben. Andererseits wollte er Ryan nicht allein losziehen lassen.
„Also schön. Sherriff, sie nehmen Party. Seien sie vorsichtig, der ist länger nicht mehr geritten worden. Ryan, du nimmst die alte Honey.“

~~~

Sie sattelten schnell und schweigend ihre Pferde. Lee schwitze unter seiner dicken Jacke, aber wenigstens hielt sie ihn halbwegs trocken. Die sonst mit allen Wassern gewaschenen Tiere hatten sich freiwillig in den Stall zurückgezogen und waren alles andere als begeistert, als die drei Männer das Sattelzeug herbeischleppten. Bis sie schließlich aufsaßen, sagte keiner ein Wort.
Ryans alte Stute weigerte sich, in den Regen zu treten, auch nachdem der Scherriff und Lee vorausgeritten waren. Ryan trat ihr etwas unwirsch mit den Sporen in die Flanken, und mit einem protestierenden quieken sprang sie aus der Scheune. Keiner sagte etwas dazu. Lee übernahm die Führung, und auf ging es in den Wald.

Das Wasser peitschte ihnen ins Gesicht, rann den Hals hinunter unter ihre Jacken und vermischten sich mit dem schweiß, und die Bloßen Hände fühlten sich binnen Sekunden an wie erfroren. Lee kannte sich aus im Wald und lenkte sie entschlossen querfeldein. Auf dem seit Wochen ausgetrockneten Boden staute sich das Wasser und bildete eine dünne, rutschige Schlammschicht. Die Pferde mühten sich ab, rutschten hin und wieder weg. Sie waren nicht schnell, aber an schnelleres Reiten war nicht zu denken. Die Aktion war schon wahnwitzig genug. Die alten Fichten ächzten und schlugen mit Ästen wie Peitschen um sich. Einer erwischte den Scherriff so unglücklich im Gesicht, dass er einen tiefen Kratzer auf seiner Stirn hinterließ. Er fluchte leise oder es klang leise, da er gegen das Pfeifen und Brausen der wütenden Natur nicht ankam. Die Welt war nicht auf ihrer Seite, jeder Baum ein drohendes Fallbeil. Irgendwo am Rande von Lees Bewusstsein dachte er über den Wahnwitz ihrer Handlung nach. Kein geistig gesunder Mensch ritt durch so einen Sturm, es sei denn sein Leben hing davon ab. Inzwischen fror er trotz der Winterjacke. Der Schweiß auf seinem Rücken war kalt.

Sie ritten fast eine Stunde schweigend vor sich hin.
„Was, wenn wir ihm hier begegnen?“, rief Ryan plötzlich gegen den Sturm.
„Das überlegen wir dann!“, rief der Scherriff zurück. Lee wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, als Duke aus heiterem Himmel die Beine in dem Boden stemmte. Das Pferd des Sherriffs war darauf nicht vorbereitet und rannte von hinten in ihn rein. Als Lee ihn energisch vorwärtstreiben wollte, rannte er rückwärts. Die anderen Pferde wurden von seiner Nervosität angesteckt. Lee war nicht in der Stimmung für irgendwelche Launen bei seinem tierischen Freund und war geneigt ihm mit den Zügelenden einen Schlag auf den Po zu verpassen, als er das Geräusch hörte.

Es war kein ferner Donner, sondern viel näher. Begleitet von einem gewaltigen Rauschen, als hätte der Sturm plötzlich zugenommen. Dann geschah alles in Sekunden. Vor ihnen ging ein gewaltiger Baum nieder. Lees Pferd und Ryans Stute wichen erschrocken ein paar Schritte weiter zurück. Das Pferd des Sherriffs hingegen machte eine Wende auf der Hinterhand und sprengte panisch den Berg hinunter. Lee fluchte mehr als jemals zuvor. Einen winzig kurzen Moment lang dachte er darüber nach, ihm zu folgen, aber das Risiko war zu groß. Er musste das Pferd alleine gebremst bekommen. Er redete Duke beruhigend zu und wechselte einen Blick mit Ryan, der entsetzt in die Richtung starrte, in die der Sherriff verschwunden war. Ihnen ging in etwa dasselbe Bild durch den Kopf: Wie das panische Pferd den halt verlor und Sherriff und Tier sich überschlugen.
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Re: [ex 16] Drive Like That (Roadmovie/Action)

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„Wir müssen hinterher!“, rief Ryan und wollte losreiten, aber Lee hielt ihn zurück.
„Woa, Woa, immer langsam. Ihm nachzujagen hilft nichts.“, ewiderte er, während er Duke umdrehte und sie den langsamen Abstieg begannen. So verrückt es klingt, aber es ist deutlich schwieriger einen Hang hinunter zu reiten als herauf. Sowohl Duke als auch Honey schlugen diese Richtung aber bereitwillig ein, schließlich glaubten sie auf dem Weg nach Hause zu sein.
Dem Sherriff nachzureiten klang einfacher als es tatsächlich war. Der Sinnflutartige Regen und der Sturm verwischten alle Spuren, die er hinterlassen haben konnte. Auf dem ausgetrockneten Boden bildeten sich an einigen Stellen spontan Bäche, in denen das Wasser den Berg hinabstürzte. Sie kamen unheimlich langsam voran, und es gab ein verdammt großes Gebiet, auf dem sich der Sheriff befinden konnte.
„Wir finden ihn nie“, meinte Ryan schließlich. „Halt die Klappe!“, rief Lee zurück. „Der Sheriff ist zäher als du denkst. Vor allem kann er verdammt gut reiten.“ Dann schwiegen sie wieder. Das Knarzen der Sättel, und der Brausende Sturm hatten etwas Einlullendes an sich. Vielleicht waren sie eine Stunde geritten, vielleicht auch erst zehn Minuten, als Lee seine Hand hob und Ryan so zum Stehen brachte. Angestrengt starrte er in den Wald vor ihm. „Was ist los?“, fragte Ryan.
„Da kommt wer.“
Ein Anflug von Angst strich über Ryans Gesicht. Seine Hand senkte sich in Richtung seiner Waffe.
„Lass das, du triffst mich sowieso nicht!“, sagte Dune, als er stoisch in die Mündung von Ryans Revolver blickte. Lee bewunderte den trockenen Humor des Sherriffs in so einer Situation. Aber er konnte nicht anders als zu kichern.
„Das ist nicht komisch.“, erwiderte Ryan, „Sie hätten sich sonst was tun können.“
„Habe ich aber nicht. Kann sein, dass das Pferd ein wenig lahm geht, aber das kann ich weiß Gott nicht sagen auf diesen Wegen hier.“
„Lass uns weiterreiten“, unterbrach Lee die beiden, „Das Wetter wird eher schlimmer als besser, und wir brauchen noch fast eine Stunde bis wir da sind.“

Mathias Talks Like Butterflies war ein junger Crow von vielleicht fünfzehn oder sechzehn Jahren, der einen Ferienjob in der Creek View Lodge der Familie O’Brien hatte und den Empfang bemannte. Eigentlich hatte er längst frei, aber er hielt es für keine gute Idee mit dem Fahrrad den Heimweg anzutreten, also blieb er auf seinem Posten. Die Gäste hatten sich alle auf ihre Zimmer verkrochen oder saßen um den kitschigen Kamin im Wohnzimmer. Mathias surfte gelangweilt im Internet. Er wäre fast vom Stuhl gefallen, als die drei Nassen gestalten in die Lobby stürzten. In ihren dicken Parkas erkannte er keinen der Männer. „Hey, warten sie, sie machen alles nass,“, rief er zu dem ältestem der Männer, der schnurstracks die Treppe zu den Privaträumen der Familie Sullivan hinaufstieg. Der Mann aber ignorierte ihn und lief weiter. Mathias sprang von seinem Stuhl auf, und wollte ihn aufhalten, aber einer der anderen Männer hielt ihn zurück.
„Schon gut, warte hier. Der Sherriff ist manchmal ein wenig stürmisch. Ich bin Deputy Washington.“
Ryan zog ein Foto von Daniels aus der Tasche und hielt es dem überrumpelten Indianer unter die Nase. „Hast du diesen Mann schon mal gesehen.?“
„Ja, das ist Mr. Ambrose. Er wohnt seit letzten Sonntag hier. Redet nicht viel, geht nur Jagen, und das immer allein. Ist ungewöhnlich, die meisten Leute die zum Jagen kommen, kommen mit Freunden oder schließen sich einer Gruppe an.“
„Ist der Kerl in seinem Zimmer?“
„Nein, der ist heute Morgen rausgegangen und noch nicht wieder da. Ist ihm was passiert?“
„Nein, aber wird mit bundesweitem Haftbefehl gesucht. Wir haben einen Tipp, bekommen, dass er sich in der Stadt aufhält. Was weißt du noch?“
„Er hat ein ziemlich großes Gewehr. So eins wie es manche Großwildjäger benutzen. Was auch immer er damit hier jagen will, Bären sind keine zum Abschuss freigegeben.“
„Bist du dir da sicher? Ein Großkaliber?“
„Keine Ahnung was das Ding für ein Kaliber hat. Es ist lang und sieht nach Hightech aus, nicht so eine Allerweltsflinte wie sie hier jeder im Schrank stehen hat. Hab’s nur einmal ausgepackt gesehen und das auch nur von weitem.“

Ryan und Lee tauschten einen langen Blick aus. Lee fühlte sich ein wenig fehl am Platze in dieser Polizeiaktion, aber ihnen ging in etwa das selbe durch den Kopf. Daniels jagte das gefährlichste Raubtier von allen. Aber wer in Butterfly Creek County hatte so viel Dreck am Stecken, dass ein Auftragskiller in die Stadt kam? Wen galt es zu retten?
Das Leben ist komplex; es hat einen reale und eine imaginäre Komponente

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Re: [ex 16] Drive Like That (Roadmovie/Action)

Beitrag von Lilly »

Der Sherriff kam zusammen mit Sully und seiner Mutter die Treppe hinunter. Misses O’Brien machte ein mehr als besorgtes Gesicht. „Regel Nummer eins für diese Aktion: Kein Wort zu den Gästen. Mathias, zurück auf deinen Posten. Officers – und Lee – Nasse Sachen ausziehen und in mein Büro.“, ordnete sie an. Lee widerstand dem Drang, ein sarkastisches Eye Eye, Sir zu erwidern. Folgsam taten die Jungs wie geheißen. In einer Reihe trotteten sie in das sogenannte Büro. Hinter einem gigantischen Schreibtisch, der wahrscheinlich genauso lange in diesem Zimmer residierte wie das Haus stand, saß Sully und spielte Computer. Ganz zufällig.
„Du weißt also, worum es geht. Nun denn, ich erfahr Neuigkeiten scheinbar immer als Letzte. Setzt euch.“
Die Jungs ließen sich in die Sessel um den kleinen Eckkamin fallen. Altamerikanischer Stil hatte auch so seine Vorteile.
„Also schön, ich will die ganze Geschichte hören, und zwar vom Sherriff.“
Dune setzte sie kurz ins Bild. Als er geendet hatte schüttelte Misses O’Brien verständnislos den Kopf.
„Und das in unserer Stadt. Also schön, was habt ihr nun vor, hier sitzen und warten?“
„Das weiß ich noch nicht so genau. Kommt drauf an. Er hat heute Morgen zum Jagen das Haus verlassen. Ist er weggefahren?“
„Nein, gegangen. Das ist nicht unüblich, schließlich verdiene ich viel Geld mit der Lage hier draußen.“
„Nun, da wir aber davon ausgehen, dass er nicht unbedingt Rehe jagen will, stellt sich die Frage, was man von hier aus zu Fuß erreichen kann.“
„Nicht besonders viel. Es gibt die Jagdhütten am Smaller-Great-Trout-Lake. Die Tankstelle Westende des Lonesome Pines Pass. Dieses kleine, alte Farmhaus hinter dem Land der Crow-Familie und natürlich das des Richters selbst, wo ihr hergekommen seid.“
„Hmmm, Anthony Crow mag auf den ersten Blick wahrscheinlich scheinen, allerdings ist mir kein Fall bekannt, der einen Bezug zur Unterwelt Dallas‘ haben könnte. Und eine Tankstelle würde ich nicht unbedingt zu Fuß aufsuchen. Am wahrscheinlichsten sind die Jagdhütten, ein super Ort für einen Fremden, um sich zu verstecken. Und wohnt wer in dem kleinen Haus?“
„In dem Haus wohnt eine alleinerziehende Mutter, eine Crow. Die Verkäuferin aus dem Blumenladen. Sie ist nicht die ärmste Indianerin die ich kenne, aber sicher auch nicht die kriminellste.“, antwortete Lee dem Sheriff.
„Also die Jagdhütten. Ist der Kerl mit einem Auto gekommen?“
„Nein, mit einem Motorrad. Er bat mich, es unterzustellen. Es steht im Geräteschuppen, und es ist auch noch da, ich habe ihn abgeschlossen.“
„Das legt nahe, dass er wiederkommt. Also werden wir hier warten und hoffen.“, sagte der Sheriff.
„Das scheint mir eine recht wage Idee. Und überhaupt, wir warten einfach ab, dass der Kerl seine Arbeit tut und wer auch immer dabei draufgeht, geht eben drauf?“, ewiderte Ryan energisch.
„Nicht so hitzig, natürlich nicht. Ich werde in Clestine County anrufen, Sheriff Fuller soll ein Zivilfahrzeug schicken und die Leute warnen. Von der Seite sollte man besser rankommen, auch wenn das eigentlich noch auf meiner Seite der Grenze liegt. Aber ich will den Kerl nicht verschrecken. Im Wald kriegen wir den bei dem Wetter nie. Und es tut mir sehr leid, Aber wir werden die Gäste einweihen müssen. Ich will keine Schießerei im Wohnzimmer riskieren, wenn die Hälfte der Gäste bewaffnete Jäger und die andere ältere Paare im Sommerurlaub sind. Die Leute sollen nach Oben in die Zimmer. Wir kesseln ihn in der Lobby ein. Einer muss hinter den Tresen, entweder sie oder Sully. Einer wartet oben auf dem Treppenabsatz, der Rest im Wohnzimmer hinter geschlossener Tür. Sully oder Misses O’Brien, einen von ihnen brauche ich an der Rezeption. Der Junge darf auf keinen Fall dazwischenstehen. Und ich brauch sie alle. Hoffentlich nur als Backup, aber einem wie dem will ich nicht alleine genüberstehen.“
Sully tauschte einen langen Blick mit seiner Mutter. Schließlich sagte sie. „In Ordnung. Sully übernimmt den Tresen, ich steh da nie. Aber beten sie zu Gott, dass sie keine Schießerei in der Lobby anfangen, dieses Haus ist eine einzige Antiquität. Ganz zu schweigen von der Idee, das Sully mitspielt.“
„Schön. Ich habe nicht vor, zu schießen, aber bei so einem Gegner garantiere ich gar nichts. Lee, was ist mit dir?“
„Sag kein Wort zu meinem Vater.“, antwortete der nur.
„Also schön. Ihr drei seit nun offiziell deputized. Hier kommt mein Plan.“

Der Sherriff legte eine einen ausführlichen Plan vor, um auf möglichst viele Reaktionen des Killers vorbereitet zu sein. Natürlich hoffte er, dass der Mann wie jeder andere Vernünftige Mensch nicht versuchen würde, zu fliehen, wenn sich fünf Waffen auf ihn richteten. Nachdem er geendet hatte, machten sich die Leute daran, alles vorzubereiten. Misses O’Brien brachte die Gäste in die Obere Etage und organisierte Waffen für die Unbewaffneten. Danach bezog sie Stellung hinter der Tür des Büros. Lee manipulierte die Türklinke so, dass man die Haustür nicht mehr von innen öffnen konnte und setzte sich dann auf den Oberen Treppenabsatz. Der Sheriff positionierte sich im Wohnzimmer, während Lee auf der Toilette saß und seine Waffe überprüfte. Und Sully gab sich alle Mühe, sich in Anbetracht seiner Aufgabe nicht zu übergeben. Er musste seine Nervosität unter Kontrolle halten, schließlich durfte Daniels ihm nichts anmerken.
Das Leben ist komplex; es hat einen reale und eine imaginäre Komponente

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